Eine im Zuge der Razzia verhaftete Person wird am 7. Dezember von Polizisten aus einem Hubschrauber zum Bundesgerichtshof in Karlsruhe gebracht.

Foto: Uli Deck

Bei Razzien in elf deutschen Bundesländern sowie in Italien und Österreich wurden vor einer Woche 25 Personen aus dem rechtsradikalen Milieu festgenommen, rund 50 gelten als Verdächtige. Doch der Einsatz tausender Beamter dürfte nur der Anfang langwieriger Ermittlungen gewesen sein. Diese Woche wurde auch der Fund von 93 Waffen, darunter Faustfeuerwaffen und Langwaffen, sowie von Feindeslisten bekannt. Der Extremismusexperte und Autor Dirk Laabs warnt schon lange vor rechtsextremen Netzwerken, vor allem jenen im Staatsdienst.

STANDARD: Anfang dieser Woche wurde bekannt, dass bei der Razzia vergangene Woche doch mehr Waffen, nämlich 93, gefunden wurden. Angesichts der weiten Verzweigung dieses Netzwerks: Ist das nicht immer noch eine sehr geringe Zahl?

Laabs: Wir hatten ja sehr ähnliche Fälle, etwa als 2017 mehrere 10.000 Stück Munition entdeckt wurden. Man muss sich natürlich fragen: Was gibt es noch für Arsenale, die man noch nicht gefunden hat? Und was ist mit legalen Waffen? Das sollte nicht ausgeblendet werden, denn ob man von einer legalen oder einer illegalen Waffe erschossen wird, ist am Ende egal. Außerdem läuft man Gefahr, die falsche Diskussion zu führen, wenn nur mehr vor ausgewachsenen Netzwerken gewarnt wird, weil diese aktuelle Gruppe besonders groß war. Man braucht nur eine Person, die bereit ist, einen Terroranschlag zu begehen. Auch diese Gefahr muss überall ernst genommen werden.

STANDARD: Sie haben in Ihren Büchern und Dokus, etwa über Rechtsextremisten im Polizeiapparat und bei der Bundeswehr oder über die NSU-Morde, wiederholt die Gefahr von rechtsextremen Netzwerken aufgezeigt. Manche Medien haben noch immer Scheu, von rechtsextremen Terroristen zu schreiben, als seien die Reichsbürger keine Rechtsextremen. Warum?

Laabs: Es ist ein Phänomen, dass der innere Feind nicht so ernst genommen wird wie jene, die von außen kommen. Ich wundere mich auch immer, wenn es heißt, die Rechtsextremen seien wieder da. Die waren nie weg. Andererseits war das beim Islamismus, mit dem ich mich ja auch lange beschäftigt habe, auch so. Schon die ersten Hassprediger in Hamburger Moscheen haben gezeigt, dass es um die Bekämpfung aller sogenannten Ungläubigen ging – aber erst nach dem ersten Anschlag in Europa wurde das wirklich begriffen. Ähnlich ist das bei den Reichsbürgern: Sie sind Antidemokraten, zu oft bereit, Andersdenkende zu töten. Gefährlich sind sie aber schon seit langem. Wenn man sich jemanden wie Horst Mahler, der die Reichsbürger im Jahr 2000 erfunden hat, ansieht: Der geht jetzt wahrscheinlich nach einer langen Strafe gleich wieder ins Gefängnis, weil er noch immer den Holocaust leugnet. Wenn jemand sein Leben und seine Freiheit für seine Idee aufgibt, dann muss uns das Sorge machen. Man muss die Überzeugung ernst nehmen, genau wie bei Salafisten. Der Grad der Überzeugung ist das Entscheidende. Dazu muss man in Deutschland von weit über 10.000 hundertprozentigen Neonazis ausgehen.

STANDARD: Ein pensionierter Prinz, ein Starkoch, eine Richterin – viele nennen die Zusammensetzung der Gruppe der jetzt Verhafteten bizarr und daher nicht ernst zu nehmen. Ist das nicht leichtsinnig?

Laabs: Absolut! Die Frage ist: Reden wir von der Gefahr, dass ein Staatsstreich Erfolg hat, oder von der Gefahr, dass ein verheerender Terroranschlag verübt wird? Und wie leicht wäre es vor dem Hintergrund tatsächlich, in den Bundestag einzudringen, dort ein Blutbad anzurichten? Wir wissen aus der Geschichte, dass auch kleine Gruppen große Anschläge ausführen können, gesteuert aus dem Hintergrund. Auch hier wieder die Parallele zu den Islamisten, da waren ebenfalls die größten Knalltüten darunter. Trotzdem haben sie viel Leid angerichtet. Wir können doch nicht immer wieder die gleichen Diskussionen führen. Wer sich über die aktuelle Gruppe lustig macht und die Gefahr nicht erkennt, begeht einen großen Fehler.

Extremismusexperte Dirk Laabs über Reichsbürger: "Sie glauben, sie sind im Recht und müssen dieses Land im Auftrag des Volkes befreien."
Foto: Thomas Duffé

STANDARD: Ein vergangene Woche verhafteter Elitesoldat soll Teil des Kommandos Spezialkräfte (KSK) gewesen sein. Sie haben sich mit diesem immer wieder auffällig gewordenen Kommando beschäftigt. Was können Sie uns über die Geschichte des KSK erzählen?

Laabs: Es wurde Mitte der 90er-Jahre aufgestellt, bestehende Einheiten wie die Fallschirmjäger wurden einbezogen. Es stellte sich heraus, dass die bereits von Rechtsextremen durchsetzt waren. Obwohl man das wusste, hat man das lange verheimlicht. Gerade auch Rot-Grün hatte es ab 1998 versäumt, in der Bundeswehr aufzuräumen. So blieben Rechtsextremisten für die Ausbildung neuer KSK-Soldaten verantwortlich. Wenn ich mit faulen Eiern einen Kuchen backe, darf ich mich nicht wundern, dass der Kuchen nicht schmeckt. Das Führungsversagen wurde hier nie aufgearbeitet.

STANDARD: Die Öffentlichkeit glaubt, das KSK sei vor allem dazu da, Geiseln zu befreien.

Laabs: Das ist ein Missverständnis. Es geht nicht nur um Geiselbefreiung. Kommandosoldaten sind nicht zuletzt für Sabotageakte hinter feindlichen Linien verantwortlich. Das können Sprengungen sein, Tötungen auf große Distanz, oder getarnt in einem feindlichen Land zu operieren.

STANDARD: Aber die Sabotage dürfte von einigen dann im eigenen Land, nicht hinter feindlichen Linien geplant worden sein.

Laabs: Ja, sie fühlen sich jedoch wie in einem Land, das Feinde übernommen haben. Sie glauben, sie sind im Recht und müssen dieses Land im Auftrag des Volkes befreien. Die Mitglieder der RAF haben sich auch eingebildet, dass sie die Arbeiterklasse befreien – die das aber gar nicht wollte.

STANDARD: Glauben Sie, man hat diese Einheit genug untersucht?

Laabs: Das Problem ist, langgediente rechtsradikale Soldaten, die eine große Rolle gespielt haben, sind immer noch eine Bedrohung. Die sitzen zu Hause, langweilen sich, noch immer geübt im Umgang mit Waffen, vor allem noch immer rechtsextrem. Die könnten am Ende gefährlicher sein als rechtsradikale Soldaten, die noch aktiv im Dienst sind. Wer hat denn Attentate wie jenes an Walter Lübcke begangen? Angeblich abgekühlte Rechtsextreme. Wir müssen außerdem wissen, in welchen Auslandseinsätzen diese Leute unterwegs waren. Wie oft haben sie wo getötet? Bei welchen Operationen waren KSK-Soldaten dabei, die inzwischen als Rechtsextremisten enttarnt wurden?

STANDARD: Gibt es Anzeichen dafür, dass man das je untersuchen wird?

Laabs: Auch in der gegenwärtigen Regierung sind Parteien, denen vor allem das Schicksal der Staatsdiener am Herzen liegt. Insofern bin ich da sehr, sehr skeptisch. Keine Regierungspartei hat zudem große Lust, sich aktuell mit der Bundeswehr anzulegen. Die ganze Geheimhaltung rund um die Einsätze des KSK ist ein weiteres großes Problem – warum muss etwa ein Einsatz, der 2004 in Afghanistan stattgefunden hat, geheim bleiben? Wenn man etwa weiß, es sind rund zwei Dutzend Rechtsextremisten aus dem KSK entfernt worden, dann müssten deren Auslandseinsätze eigentlich alle unabhängig überprüft werden. Diese Überprüfung sollte man nicht der Bundeswehr überlassen – dafür ist schon zu viel schiefgegangen.

STANDARD: Andere waren schon bekannt aus der Querdenkerszene. Wie stark sehen Sie da die Verbindungen?

Laabs: Ja, einer der Verschwörer, ein Oberst, war bekannt aus der Querdenkerszene. Aber diese Querverbindungen sind gar nicht so entscheidend. Wir haben es mit einer militanten Bewegung zu tun, deren Ziel es ist, diesen Staat abzuschaffen, die aber nicht zentral gesteuert wird. Die größte Sorge bereiten mir daher Kleinstgruppen, die von den Behörden übersehen werden. Auch Al-Kaida wurde lange überschätzt in Sachen Organisationsgrad. Gefährlich war die Idee. Genau wie beim IS. Bei der rechtsextremen Szene ist es jetzt wieder so. Nicht die Struktur, die Idee ist die größte Gefahr. Wenn du anonym allein vor dich hinarbeitest, kannst du auch gefährlich sein.

Polizisten am Rande der Razzia am 7. Dezember vor einem Objekt in Frankfurt am Main.
Foto: APA/dpa/Boris Roessler

STANDARD: Hätten die nun Verhafteten Ihrer Meinung nach einen Tag X realisieren können?

Laabs: Wir werden es nie erfahren. Aber diese Personen sind natürlich gefährlich, selbst wenn einige über 70 Jahre alt sind. Sie können etwa Mitläufer aus dem Gefängnis heraus inspirieren und so indirekt anstiften.

STANDARD: Glauben Sie, dass die Kontakte nach Österreich sich tatsächlich auf die beiden Esoteriker in Niederösterreich und den Münchner Starkoch in Kitzbühel beschränken?

Laabs: Die rechtsextremistischen Szenen sind eng verwoben. Es ist kein Zufall, dass Franco A. in Wien verhaftet wurde. Internationale Verbindungen sind ebenfalls nicht neu, die gibt es seit den 1970er-Jahren. Seit den 1980ern wird die Szene zudem von einflussreichen transnationalen Rassisten dominiert, denn viele Rechtsextremisten sind vor allem Rassisten und nicht mehr in erster Linie Nationalisten.

STANDARD: In Wien wurden dieses Jahr der rechtsradikale Rapper Mr. Bond und sein Bruder, der Listen von "Feinden der weißen Rasse" führte, zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Solche Listen erinnern an das Narrativ vom Tag X.

Laabs: Seit den 1980ern werden Feinde katalogisiert, um sie dann umbringen zu können. Das war der Geist der Anti-Antifa. Die begann schon, Listen von Richtern, Politikern und Journalisten anzulegen. Am Ende stehen feige Morde am politischen Feind, an Menschen, die anders denken. Momentan schießen Rechtsextreme sich auch extrem auf die Transszene ein. Es geht immer gegen ausgegrenzte Menschen.

STANDARD: War das jetzt ein ernstzunehmender Schlag gegen die Szene?

Laabs: Ja, das war sauber durchgeführt. Ob man es den Beamten besonders schwer gemacht hat, steht auf einem anderen Blatt. Aber eine Frage drängt sich trotzdem auf: Warum ist man nicht schon so konsequent gegen andere Gruppen vorgegangen? (Colette M. Schmidt, 14.12.2022)