Um das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu erhöhen, setzte die Polizei auch auf verstärkte Streifen und mehr Präsenz. Tatsächlich werden die realen Gefahren aber überschätzt.

Eigentlich ist Österreich eines der sichersten Länder dieser Erde. Die Kriminalitätsrate ist niedrig, die soziale Sicherheit hoch. Das politische System ist im internationalen Vergleich äußerst stabil, die Gesundheitsversorgung sogar besser als in den meisten anderen EU-Ländern.

All das bestätigen diverse internationale Rankings wie etwa der Global Peace Index, der jährlich vom Thinktank Institute for Economics and Peace erstellt wird. Er bewertet nicht nur die Kriegsgefahr, sondern auch Faktoren wie Beziehungen zu Nachbarländern, interne wie externe Konflikte, politische Stabilität und Kriminalität. Österreich liegt darin seit Jahren im absoluten Spitzenfeld, im heurigen Ranking auf Platz fünf. Weltweit nehmen nur Island, Neuseeland, Irland und Dänemark noch höhere Plätze ein. Von 2018 bis 2020 lag Österreich sogar drei Jahre in Folge auf Platz drei.

Kollektive Traumata

Mit dem subjektiven Sicherheitsempfinden sieht es allerdings anders aus. Nicht nur nährt der Ukraine-Krieg Ängste vor einer Ausweitung des Konflikts. Auch die oft zitierten "multiplen Krisen" der vergangenen Jahre haben zu einer tieferliegenden Verunsicherung beigetragen: Finanz- und Wirtschaftskrise; Terror; die großen Flucht- und Migrationsbewegungen ab 2015; das kollektive Trauma der Corona-Pandemie; dazu noch die dramatischen Auswirkungen des Klimawandels als permanentes Damoklesschwert. All das hat Spuren hinterlassen – nicht zuletzt in unseren Köpfen.

Eine Studie des Wiener Ifes-Instituts zum subjektiven Sicherheitsgefühl in Österreich, die noch vor Beginn des Ukraine-Krieges durchgeführt wurde, kommt etwa zu dem Schluss, dass Angst vor Wohlstandsverlust wieder stark zunimmt. Die ökonomische Situation des Landes wird von den Befragten als schlecht bewertet, besonders wenig Vertrauen hat man in die Sicherheit der Pensionen. Die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie würden insgesamt "tief verwurzelte Ängste in der österreichischen Gesellschaft" schüren, heißt es. Soziale Ängste seien weit verbreitet, viele davon würden auf das Thema Zuwanderung projiziert. Und bezogen auf Kriminalität fühlen sich die Österreicherinnen und Österreicher ohnehin nicht besonders sicher.

Dabei hat das Land nicht nur im internationalen Vergleich eine äußerst niedrige Kriminalitätsrate. Auch in Österreich selbst weist die Statistik seit Jahren stark nach unten – während die Aufklärungsquote steigt. Im vergangenen Jahrzehnt war diese Entwicklung besonders deutlich. Lag die Zahl der Anzeigen im Jahr 2001 noch bei fast 523.000, sank sie über die Jahre kontinuierlich auf nur noch knapp 411.000 im Vorjahr. Gleichzeitig stieg die Aufklärungsquote in diesen zehn Jahren von knapp 42 Prozent auf mehr als 55 Prozent.

Halbierung bei Einbrüchen und Raubüberfällen

Bei einigen – nicht ganz unwesentlichen – Delikten nahm die jährliche Anzahl in der vergangenen Dekade besonders stark ab. So gab es 2012 noch fast 3600 Anzeigen wegen Raubes, 2021 nur noch 1780. Das entspricht einer Halbierung binnen zehn Jahren. Ähnlich sieht es bei Haus- und Wohnungseinbrüchen aus: Waren es im Jahr 2012 rund 15.000, gab es 2021 nur noch 4700. Die extrem niedrige Zahl des Vorjahres hat zwar wegen der Corona-Lockdowns nur begrenzte Aussagekraft. Doch auch im Vor-Pandemie-Jahr 2019 hatte sich die Zahl mit 8800 im Vergleich zu 2012 schon fast halbiert. Autodiebstähle gingen innerhalb der Dekade sogar von 3800 um zwei Drittel auf knapp 1200 zurück. Und die Eigentumskriminalität insgesamt sank von 237.000 auf 109.000 Straftaten. Warum aber gehen das persönliche Sicherheitsempfinden und die tatsächliche Bedrohungslage so auseinander?

"Die Berichterstattung der Medien beeinflusst das subjektive Sicherheitsgefühl signifikant", sagt Medienpsychologe Jörg Matthes von der Uni Wien im STANDARD-Gespräch. "Und weil wir uns da gefühlt im Dauerkrisenmodus befinden, ein negatives Ereignis das nächste jagt, entsteht in der Bevölkerung der Eindruck einer übersteigerten, omnipräsenten Bedrohung." Denn in Medien würden besonders spektakuläre Ereignisse überproportional vorkommen. In der Boulevardpresse käme noch eine besonders dramatische Darstellung und Emotionalisierung hinzu.

Aber nicht nur seitens der Medien, auch aufseiten der Rezipientinnen und Rezipienten gibt es leicht nachvollziehbare Logiken, die zum Überschätzen von Gefahren führen. Denn evolutionsbiologisch hatte es für den Menschen eine wichtige Schutzfunktion, bei potenziellen Bedrohungen besonders aufmerksam zu sein. "Deshalb nehmen wir bis heute Gefahren mitunter größer wahr, als sie tatsächlich sind", sagt der Psychologe. Und: "Wir haben einen sogenannten Negativitätsbias, der unsere Informationsverarbeitung verzerrt." Heißt: Negatives und Gefährliches bleiben bei uns aus evolutionären Gründen stärker hängen als Positives.

Persönlicher Bezug

Bei den sozialen Medien kommt noch eine weitere Ebene dazu: die persönliche Verbindung zu vielen Menschen, die dort posten. "Wenn ein Freund von mir am Praterstern ausgeraubt wird", sagt Matthes, "dann beeinflusst das mein individuelles Sicherheitsgefühl stärker als ein Bericht in einer Zeitung." Denn Schilderungen in sozialen Medien würden als besonders authentisch wahrgenommen. Dazu seien sie häufig auch unmittelbarer und zeitnaher als klassische Medienberichte – und kämen von Personen, "die ich so wahrnehme wie du und ich", sagt der Medienpsychologe.

Die meisten Verbrechen und traumatischen Erlebnisse wie Terroranschläge erfahren wir schließlich nicht am eigenen Leib, sondern über die Kanäle verschiedener Medien. Bei Ereignissen, die in unserem Umfeld stattfinden, kommt noch etwas anderes dazu, wie Medienpsychologe Bernad Batinic von der Uni Linz erklärt: "Die Verfügbarkeitsheuristik führt dazu, dass wir Dinge einfach danach bewerten, was da ist." Verfüge man über keine Statistiken, wie wahrscheinlich etwa ein Terroranschlag oder ein Mord sei, bewerte man die Wahrscheinlichkeit nach Gefühl. Durch die Überrepräsentation solcher spektakulären Ereignisse in den Medien komme es da fast automatisch zu einer Überschätzung der Zahlen, sagt der Experte. (Martin Tschiderer, 15.12.2022)