Beim Schengen-Veto zeigte sich für die Altenbetreuerin Roxana R., wie wenig ihre Arbeit geschätzt wird.

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Auch eine Woche nach Österreichs Nein zum Schengen-Beitritt Rumäniens gehen die Wogen weiter hoch: Ein EU-Abgeordneter aus Rumänien will Österreich vor dem Europäischer Gerichtshof (EuGH) verklagen. In vielen rumänischen Dörfern und Städten werden österreichische Produkte boykottiert. Die Wut ist teils begründet in den praktischen Folgen, die das Veto für etliche Menschen hat. Darunter fallen gerade die 24-Stunden-Betreuerinnen, auf die Österreich eigentlich angewiesen ist. DER STANDARD hat mit der 54-jährigen Roxana R. über die Symbolik des Vetos und die praktischen Auswirkungen für sie und ihre Kolleginnen gesprochen. Ihre Erzählung im Wortlaut:

Klatschen vorbei

"Für mich ist es eine große Enttäuschung, dass Österreich gegen den Beitritt Rumäniens gestimmt hat. Ich sage nicht, dass die Politik in Rumänien die beste ist, wir haben auch unsere Fehler, und ich bin unzufrieden mit der Regierung. Aber wir haben eine Beziehung zu Österreich: Wir sind 30.000 Rumäninnen, die in der 24-Stunden-Betreuung in Österreich arbeiten. In der Pandemiezeit haben uns alle gelobt und beklatscht. Es hieß sogar, wir hätten die Pflege gerettet. Davon merkt man heute nichts.

Ich arbeite in der Branche seit 24 Jahren. Zehn Jahre war ich in Deutschland. Von dort kam ich nach Vorarlberg, dann nach Wien und vor vier Jahren wieder nach Vorarlberg. Am Samstag geht mein nächster Turnus los. Über Weihnachten bin ich dieses Jahr bei meiner Klientin. Die Jahre davor habe ich immer mit den Familien ausverhandelt, dass ich zu Weihnachten nicht arbeiten muss. Ich habe selbst drei Töchter und Enkelkinder in Timișoara. Aber weil die Dame sonst allein wäre, verbringe ich Weihnachten heuer mit ihr.

24 Stunden Fahrtzeit

Manchmal nehme ich den Flieger. Wenn ich mit dem Bus fahre, brauche ich mindestens 24 Stunden von Vorarlberg in mein Dorf. Bis die ganzen Kolleginnen eingesammelt sind, vergeht viel Zeit. Und dann müssen wir oft stundenlang an der Grenze warten. Oft ist auch die Polizei da und kontrolliert alle. Es sagt dir niemand, warum. Das letzte Mal habe ich eine Stunde beim Zoll gewartet. Aber es waren auch schon sechs Stunden. Während der Pandemie war es noch schlimmer.

Das gleiche Prozedere haben wir bei der Rückfahrt nach Österreich. Und da ist es auch schon passiert, dass die Klienten auf uns haben warten müssen, weil wir an der Grenze feststeckten. Es passiert sogar öfter, dass wir in Österreich an der Grenze kontrolliert werden als in Ungarn, wo die Schengen-Außengrenze ist. Es wäre so viel leichter, wenn das Pflegepersonal einfach durchfahren könnte.

Auf Facebook haben sogar Betreuerinnen geschrieben, dass wir alle in Rumänien bleiben sollen über Weihnachten. Als Streik.

Österreich hat sehr viele ökonomische Interessen in Rumänien und braucht unsere Arbeiter. Am Bau, im Tourismus und in der Gastronomie: Überall arbeiten Rumäninnen und Rumänen. Daher wäre es etwas anderes für mich gewesen, wenn etwa Holland gegen den Schengen-Beitritt gestimmt hätte. Von Österreich hätte ich das einfach nicht für möglich gehalten.

Wechsel in die Schweiz

Ich hoffe, dass unsere Politiker jetzt verhandeln und es doch noch zu einer Lösung kommt. Aber ich habe mir auch schon überlegt, in die Schweiz zu gehen. Hier sind wir einfach billige Arbeitskräfte. Am Schluss werde ich gerade einmal 200 Euro Pension bekommen.

Seit dem Veto sind die Leute auch im Dorf sauer. Eine Familie, die jedes Jahr nach Österreich in den Skiurlaub fährt, hat den Urlaub heuer storniert. Andere haben ihre österreichischen Bankkonten aufgelöst. Ich hätte das auch gemacht, hätte ich eines.

Auf Facebook haben sogar Betreuerinnen geschrieben, dass wir alle in Rumänien bleiben sollen über Weihnachten. Als Streik. Ich find die Idee zwar gut, aber man müsste es einen Monat vorher anmelden. Sonst trifft es nur die armen Leute, nicht die Politiker." (Elisa Tomaselli, 15.12.2022)