Die Industrialisierung ging in Galizien nur schleppend voran, viele verließen das Land: Foto von Julius Dutkiewicz, Ostgalizien um 1880.

Volkskundemuseum Wien / Photoinstitut Bonartes

Mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine rückte mehr denn je die Geschichte dieses für europäische Verhältnisse riesigen Landes in den Fokus. Dass jene Region, die heute als Ukraine ihr Selbstbestimmungsrecht verteidigt, durch die Jahrhunderte immer wieder Spielball der sie umgebenden Großmächte war, ist dabei ein trauriges Kontinuum.

Nicht nur Russland, auch Österreich wohlgemerkt hatte über 150 Jahre hinweg Anteil an der binnenkolonialistischen Einverleibung des Landes. 1772 gelangtenin der sogenannten ersten Teilung Polens das Gebiet Galizien (heutige Westukraine mit Hauptstadt Lemberg/ Lwiw) später auch die Bukowina (heutige Südwest-Ukraine und Teile Rumäniens) zum Habsburgerreich, wo sie bis zum Ende des Ersten Weltkriegs formell verblieben.

Das Wiener Volkskundemuseum zeigt in einer Ausstellung in Kooperation mit dem Photoinstitut Bonartes Fotografien aus dieser Zeit, rückt diese in zeitgemäß kritisches Licht und leistet damit einen sinnvollen Beitrag, um die identitätspolitische Problematik der Region besser verstehen zu können.

Galizien und die Bukowina waren zur Zeit der Habsburgermonarchie multiethnische Gebiete, in denen Polnisch und Ukrainisch (damals in Österreich als "Ruthenisch" bezeichnet), aber auch Rumänisch, Deutsch und Jiddisch gesprochen wurde. Eine von Moskau ausgehende panslawische Strömung, die das Gebiet für sich reklamierte, entstand erst im späteren 19. Jahrhundert.

Typisierung der Völker

Die ausgestellten Fotografien stammen zum Großteil von Julius Dutkiewicz, der in Galizien ansässig war und das Bild der Kronländer durch seine dokumentarische Arbeit maßgeblich prägte. Mit Typenfotografie verschiedener (tatsächlicher oder zusammengereimter) Volksgruppen wie der "Huzulen", die in den ostgalizischen Gebirgsregionen lebten, kam er dem erstarkenden Bedürfnis nach, die Untertanen des Vielvölkerstaats in ihren Besonderheiten wahrzunehmen. Gerade Kronprinz Rudolf betätigte sich mit seinem "Kronprinzenwerk", das alle Völker der Monarchie beschreiben sollte, als Förderer der frühen Ethnologie. Heute in ihrem Paternalismus kritisch zu beäugen, bezeichnet die Ausstellung die Fotos mittlerweile als "Streitobjekte".

Foto: Volkskundemuseum Wien / Photoinstitut Bonartes

Als zumindest umstritten muss heute auch die Politik gelten, die die Habsburger in der Westukraine verfolgten – auch wenn Kaiser Franz Joseph zumindest Interesse zeigte und sie besichtigte. Mittels Bildungs- und Kulturoffensiven wurde versucht, das Gebiet "voranzubringen", durch den Ausbau der Eisenbahn und die Ansiedlung von Betrieben wollte man das Agrarland in die industrielle Moderne katapultieren. In der Praxis aber ging das nur langsam vonstatten. Einige Wohlgeborene profitierten, die Massen blieben arm, viele wanderten aus.

Was Dutkiewicz jenseits der Typenfotografie dokumentierte, ist die Ausbeutung der Rohstoffe in der Region: Holz zunächst, später auch Erdöl. Im 19. Jahrhundert stieg der Petroleumbedarf rasant an, riesige Förderanlagen wurden gebaut, auf einer Landesausstellung 1894 in Lemberg wurde ein hochmodernes Bohrsystem kanadischer Bauweise vorgestellt. Bald sprach man mit Blick auf Galizien vom "Pennsylvania des Ostens". (Stefan Weiss, 15.12.2022)