Umstrittenes Sujet eines offiziellen Demenz-Folders: Bilder wie diese verbreiteten Angst, findet die Betroffene Angela Pototschnigg – als ob die Krankheit gleich das Ende bedeute.

Foto: Heribert Corn

Es begann damit, dass der Kaffee für den Nachtdienst fehlte. Plötzlich ließ Angela Pototschnigg jene Verlässlichkeit vermissen, die ihr einen so guten Ruf beschert hatte. Schon fragten die Kolleginnen, was denn mit der Abteilungshelferin los sei. Im Getriebe eines Spitals muss auch jedes kleine Rädchen greifen.

Die Diagnose eines Burnouts ließ die Wahlwienerin mit norddeutschen Wurzeln in die Frühpension flüchten, die Symptome aber blieben. Das Gedächtnis spielte ihr weiterhin Streiche, die Suche nach den richtigen Worten geriet zur Hürde. Eine neuerliche Untersuchung brachte schließlich Gewissheit: Pototschnigg ist, so wie an die 150.000 andere Menschen in Österreich (siehe Infokassen unten), an Demenz erkrankt.

Wer der nunmehr 70-Jährigen an guten Tagen gegenübersitzt, kann das glatt übersehen. Um sich Antworten zurechtzulegen, hat sie vor dem Treffen mit dem STANDARD um schriftliche Fragen gebeten, doch auch abseits des Skripts geht der Faden kaum verloren. Das wäre wohl anders, hätte sie auf ihre seinerzeitige Ärztin gehört, glaubt die Pensionistin. Nach Kapitulation klang die Empfehlung, nun am besten leiser zu treten.

Nicht länger still bleiben

Seit gut zehn Jahren schlägt Pototschnigg den Ratschlag in den Wind – so auch an diesem Donnerstagnachmittag im Wiener Bezirk Leopoldstadt. "Früher waren wir still, aber jetzt begehren wir auf", ruft sie in die Runde, die sich im Klubraum des medizinischen Selbsthilfezentrums der Stadt versammelt hat. Zweimal im Monat treffen sich hier Menschen mit beginnender oder früh einsetzender Demenz, um sich auszutauschen – etwa über Strategien für das Leben mit der Vergesslichkeit.

Das beginnt bei simplen, aber effektiven Vorkehrungen für den Alltag. Um Herdplatten oder Bügeleisen, die sich selbstständig abschalten, geht es da, oder um Etiketten für bestimmte Wertsachen: "Wenn Sie diesen Schlüsselbund finden, rufen Sie mich bitte an."

Lockerheit und Leidensdruck

Nicht allen in der vom Verein Alzheimer Austria organisierten Selbsthilfegruppe scheint die Erosion der eigenen Fähigkeiten aufs Gemüt zu schlagen. Manchmal drehe er sich nur einmal um und habe bereits wieder vergessen, was ihm eben gesagt wurde, berichtet ein 80-Jähriger, der auf die Hilfe seiner Frau zählen kann: "Ist halt so – und aus."

Einer anderen Teilnehmerin hingegen schießen die Tränen in die Augen, als sie erzählt, wie die Polizei einst den Wienerwald nach ihrem verlorengegangenen demenzkranken Vater durchkämmen musste. Die Erinnerung an den Schrecken habe sie umgehend Rückhalt suchen lassen, als auch ihr zunehmend Namen und Begriffe zu entfallen begannen.

Er komme mit seinem Schicksal immer noch sehr schwer zurande, sagt der erst 50-jährige Thomas. Bergab gegangen sei es, seit er bei seiner Arbeit als Konstrukteur eine neu eingeführte Software nicht verstehen konnte – worauf ihn die Firma prompt vor die Tür gesetzt habe. Kaum habe er sich an eine Schwäche gewöhnt, steigere die Krankheit den Leidensdruck von neuem. So mache ihm zu schaffen, dass er sich nun ständig verlaufe: "Ich erkenne Häuser nicht wieder, an denen ich hundertmal vorbeigegangen bin."

Leichter fiele das Leben, wenn die Suche nach der passenden Unterstützung – vom Gedächtnistraining bis zur Sozialhilfe – nicht zur mühsamen Herausforderung würde: "Doch da fühle ich mich ziemlich alleingelassen."

Alleingelassen nach der Diagnose

Jedem jage die Diagnose den Schrecken in die Glieder, ergänzt Pototschnigg: "Die Demenz steht vor der Tür und sagt: 'Du wirst mich noch kennenlernen.'"

Umso schlimmer, dass Ärzte ihre Patienten zwar mit Medikamenten, aber ohne taugliche Informationen nach Hause schickten. Sie selbst habe ein Jahr lang alle möglichen Veranstaltungen abgeklappert, ehe sie endlich auf Hilfsangebote stieß, die sich nicht bloß an Angehörige richteten. Dabei wäre es so wichtig, von Anfang an alle Möglichkeiten auszuschöpfen: Wer den Geist trainiert und Kontakte sucht, statt sich aus Frust und Scham zu verkriechen, kann die Erosion der Fähigkeiten bremsen.

Ein "postidagnostisches Angebot" müsse zum Standard werden, fordern Pototschnigg und ihre Verbündeten, das Gleiche gelte für persönliche Assistenz. Für Menschen mit körperlicher Behinderung fördert der Staat in Gestalt der Bundesländer diese individuellen Dienstleister, die Teilhabe am Arbeits- und Alltagsleben ermöglichen sollen. Wer aber eine kognitive Beeinträchtigung habe, kritisiert Johanna Püringer von Alzheimer Austria, bleibe außen vor.

Kampf, der nicht zu gewinnen ist

Mit Neid schaue sie zu anderen Interessengruppen, sagt Pototschnigg: "Wien hat zum Beispiel einen Radverkehrsbeauftragten, für uns aber gibt es niemanden." Bis heute habe sich ihr nicht erschlossen, warum sich sämtliche Bezirke demenzfreundlich nennen. Hier könnten alle so sein, wie sie wollten, habe sie in der Gemeinde als Auskunft bekommen. Keine überzeugende Begründung, findet Pototschnigg: "Bleibt mir denn etwas anderes übrig?"

Nicht nur heimische Amtsträger klappert die hartnäckige Aktivistin ab, auch EU-weit kämpft sie mit einer Arbeitsgruppe von Betroffenen um Aufmerksamkeit. Das Credo, über die Krankheit offen zu sprechen, vertritt sie in Konferenzen in Brüssel ebenso wie in persönlichen Beratungsstunden für andere Schicksalsgenossen. Denn Verschweigen führe unweigerlich in Einsamkeit und Isolation.

Was sie Menschen mit anklingender Krankheit, die in der Folge weitaus gravierender und rasanter verlaufen kann als bei ihr selbst, noch rate? Es bringe nichts, sich an das alte Leben zu klammern, sagt sie: "Ich führe keinen Kampf gegen die Demenz, denn den kann ich nie gewinnen." Statt zu hadern, habe sie zu versucht, diese andere Art des Alterns zu akzeptieren – und das tiefe Loch nach der Diagnose mit Erfreulichem zu füllen: "Ich habe erst einmal Dinge gemacht, die ich immer schon tun wollte – zum Beispiel einen Kurs, um endlich Walzer tanzen zu lernen. Ich kann immer noch ein gutes Leben führen."

Krankheit ist nicht nur Verlust

Natürlich habe auch sie am Anfang das Gefühl überwältigt, dass alles, was sie für die Pension geplant hatte, zusammenbreche – und der Blick in die Zukunft ängstige sie nach wie vor. Weil die Dynamik der unheilbaren, chronischen Erkrankung nun einmal ins Heim führen werde, stattet sie bereits jetzt Häusern Erkundungsbesuche ab. Blatt vor den Mund nimmt sie sich auch da keines: "Wenn ich nachfrage, ob Bettfixierungen üblich sind, mache ich mich nicht unbedingt beliebt."

Doch auch wenn es in manchen Ohren seltsam klingen mag, habe ihr die Demenz nicht bloß Verlust gebracht. Sei sie früher eine ruhige Frau gewesen, so habe sie das Engagement gelehrt, öffentlich über ihr Leben zu reden. "Außerdem war ich ein sehr logisch denkender Mensch", sagt Pototschnigg, "darauf kann ich mich nicht mehr verlassen. Dafür aber habe ich Bauchgefühl gewonnen." (Gerald John, 29.12.2022)