Die Notenbanken – und damit auch EZB-Chefin Christine Lagarde – haben derzeit die Wahl zwischen Pest und Cholera: Der Kampf gegen die Inflation zeitigt Kollateralschäden wie das Abwürgen der Konjunktur.

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Frankfurt – Die US-Notenbank Fed nimmt etwas Tempo bei den Zinserhöhungen heraus. Die mächtigste Notenbank der Welt hob den Leitzins auf der letzten Sitzung vor der Jahreswende um einen halben Prozentpunkt an – auf die neue Spanne von 4,25 bis 4,50 Prozent. Zuvor hatte sie viermal in Folge größere Zinsschritte gemacht – um jeweils 0,75 Prozentpunkte. Fed-Chef Jerome Powell machte klar, dass die Zinsen weiter steigen müssen, um die Inflation zu zügeln.

Die Europäische Zentralbank (EZB) zieht nach. Auch sie drosselt das Tempo nach den Jumbo-Zinsschritten um 0,75 Prozentpunkte im September und Oktober, schaltet einen Gang zurück und hebt den Leitzins ebenfalls um 0,5 Prozentpunkte – auf nunmehr 2,5 Prozent. Dreimal in Folge haben die Euronotenbanker die Leitzinsen im Währungsraum zuletzt angehoben. Der Schritt wird nicht der letzte sein, die Zinsen steigen also weiter.

Inflation höher als erwartet

Was heißt das nun für die Teuerung? Mit einem deutlichen Rückgang der Teuerung rechnen Ökonomen vorerst nicht. Die Teuerungsrate im Euroraum wird heuer nach Einschätzung der EZB noch höher ausfallen als vor drei Monaten erwartet. Die Notenbank rechnet inzwischen mit durchschnittlich 8,4 Prozent Inflation 2022, wie sie am Donnerstag mitteilte. In ihrer Septemberprognose hatte sie noch eine Rate von 8,1 Prozent vorhergesagt. Für das kommende Jahr rechnet die EZB im Jahresschnitt nun mit 6,3 Prozent. Für 2024 sagt sie eine Inflationsrate von 3,4 Prozent voraus. In der erstmals für 2025 vorlegten Prognose wird von 2,3 Prozent ausgegangen.

Im laufenden und im kommenden Quartal könnte die Wirtschaft im Euroraum nach Einschätzung der EZB schrumpfen. Allerdings werde eine Rezession relativ kurz und milde sein. Insgesamt wird die Wirtschaft im Euroraum der neuesten EZB-Vorhersage zufolge im kommenden Jahr um 0,5 Prozent wachsen.

Löhne und Preise schaukeln sich hoch

Bis die Eurowährungshüter ihr Ziel von mittelfristig zwei Prozent Inflation im Euroraum erreichen, dürfte es noch einige Zeit dauern. Es brauche 18 bis 24 Monate, bis die geldpolitischen Maßnahmen Wirkung zeigten, hat jüngst der französische Zentralbankchef François Villeroy de Galhau erklärt. Im November lagen die Verbraucherpreise im Euroraum um zehn Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. Hierzulande lagen sie im November mit 10,6 Prozent sogar darüber.

Gegen die explodierenden Energiepreise, die hauptverantwortlich für die Teuerung sind, sind Notenbanken weitgehend machtlos. Die Notenbank kann aber zumindest dazu beitragen, dass die Teuerungsrate nicht dauerhaft hoch bleibt. Das Problem wäre dabei, dass die Lohnforderungen immer höher würden, Unternehmen diese aber in Form höherer Preise wieder weitergeben müssten. Mit anderen Worten: Löhne und Preise würden sich gegenseitig hochschaukeln. "Wir haben in den 1970er-Jahren eine Phase erlebt, in der wir die Kontrolle über die Inflation verloren haben. Wir wissen, was es kostet, die Kontrolle über die Inflation zu verlieren. Das müssen wir vermeiden", mahnte der frühere EZB-Präsident Jean-Claude Trichet im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.

Sparzinsen steigen

Welche Folgen haben die Zinserhöhungen für Sparer? Die Sparzinsen steigen wieder, wenn auch auf niedrigem Niveau. Für Neukunden bieten so manche Banken für täglich verfügbares Geld zumindest bis zu zwei Prozent. Für Tagesgeld liegt die Bandbreite laut dem Vergleichsportal Durchblicker je nach Bank aktuell bei 0,01 bis 1,25 Prozent. Bei Bindung der Spareinlagen auf ein Jahr hat sich demnach die Bandbreite der Verzinsungen seit Oktober von 0,50 bis 2,15 Prozent auf 1,40 bis 2,85 Prozent erhöht, bei fünf Jahren von 1,15 bis 3,0 Prozent auf 2,07 bis 3,45 Prozent. Nach Abzug der Teuerungsrate bleibt damit dennoch ein dickes Minus, das Ersparte verliert jeden Monat an Wert.

Teurer wird hingegen das Leihen von Geld. Für variabel verzinste Kredite zahlt man aktuell laut Durchblicker 2,0 Prozent Zinsen statt noch 0,25 Prozent vor einem Jahr. Andreas Ederer, Leiter der Abteilung Immobilienfinanzierung bei Durchblicker, geht davon aus, dass sich die variablen Zinsen bereits im Jänner weiter auf 3,0 Prozent erhöhen werden. Das ist insofern von Bedeutung, als noch mehr als ein Drittel der Immobilienkredite in Österreich nach wie vor variabel verzinst ist.

Finanzierung von Immobilien wird schwieriger

Leicht entspannt hat sich die Lage bei fix verzinsten Krediten. Zahlte man vor einem Jahr je nach Laufzeit noch 0,75 bis 1,125 Prozent Zinsen, waren es im Dezember 2022 laut Durchblicker 3,50 Prozent. Seit Mitte Oktober sind allerdings die Fixzinssätze für Neuverträge um bis zu 0,375 Prozentpunkte gefallen. Alles in allem werden Immobilien für Privathaushalte weniger erschwinglich. Nachdem die Zinsen wahrscheinlich weiter anziehen, werden die Gesamtkosten für den Immobilienkauf steigen. Höhere Zinsen treffen aber nicht nur jene, die ein neues Darlehen brauchen, sondern auch Menschen, die eine Anschlussfinanzierung für einen Immobilienkredit brauchen.

Folgen haben höhere Zinsen auch für die Konjunktur – denn erhöht eine Notenbank die Zinsen, wird der Wirtschaft Geld entzogen. Das dämpft in aller Regel das Wachstum. Der deutsche Bundesbank-Präsident Joachim Nagel, Mitglied des EZB-Rates, ist dennoch der Ansicht, die Geldpolitik dürfe nicht zu früh nachlassen: "Die Inflation ist eine harte Nuss, die es zu knacken gilt. Wenn wir sie knacken wollen, muss auch die Geldpolitik hart sein." Die EZB geht nach jüngsten Angaben ihres Chefvolkswirts Philip R. Lane davon aus, dass eine mögliche Rezession "mild und von kurzer Dauer sein wird". (Regina Bruckner, 15.12.2022)