Typische Long-Covid-Symptome sind Erschöpfung oder Konzentrationsprobleme, ein sogenannter Brain-Fog. Die gute Nachricht: Bei den allermeisten Betroffenen bessern sich die Symptome im Laufe der Zeit.

Foto: Getty Images/iStockphoto

Erschöpfung, Kurzatmigkeit, Geschmacksverlust, Gehirnnebel, Konzentrationsprobleme: Etwa zehn Prozent aller Corona-Genesenen beklagen diese und ähnliche Symptome, die auch noch Monate nach der Infektion anhalten – selbst wenn die Krankheit milde verlaufen ist und die Betroffenen zuvor jung, gesund und leistungsstark waren. Neueste Studien zeigen zudem, dass eine Corona-Infektion auch zu einer beschleunigten Alterung des Gehirns führen kann. Das könnte bedeuten, dass die Zahl der Demenzerkrankungen in den nächsten Jahren erheblich steigt.

Diese alarmierenden Erkenntnisse zeigen, dass Long Covid eine neue Volkskrankheit ist – über die aber noch immer viel zu wenig bekannt ist. Einer, der sich damit gut auskennt, ist Martin Korte. Der Neurobiologe forscht am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung an der TU Braunschweig und untersucht die Interaktion von Immunsystem und Nervensystem im Kontext der Alzheimer-Krankheit. Mit seiner Arbeitsgruppe konnte er als einer der Ersten zeigen, dass virusbedingte Atemwegserkrankungen zu langfristigen Konsequenzen im Gehirn führen. Mit diesem Wissen hat er das Buch "Long Covid. Wenn der Gehirnnebel bleibt" verfasst. Im Interview erklärt er, was man schon alles über das Krankheitsbild weiß, was Betroffene tun können und wie man das Risiko minimieren kann, selbst Long Covid zu bekommen.

STANDARD: Wenn man von Long Covid spricht, meinen die Menschen sehr viele unterschiedliche Symptome und Krankheitsbilder. Auch die Definition der WHO ist eher schwammig, sie spricht von Symptomen, die mindestens drei Monate nach der Genesung anhalten und nicht anders erklärbar sind. Wie definieren Sie das Problem?

Korte: Das Krankheitsbild setzt natürlich voraus, dass man eine Sars-CoV-2-Infektion hatte. Nachdem das Virus im Körper nicht mehr nachweisbar ist, zeigen Menschen aber noch Symptome, die sie vorher nicht hatten. Das können ganz unterschiedliche Symptome sein, Geruchs- und Geschmacksverlust, Kurzatmigkeit, Schmerzen, Herzrasen, Müdigkeit, Konzentrations- und Gedächtnisprobleme, Schlafstörungen, Schwindel, aber auch ausgeprägte Erschöpfung wie ein Fatigue-Syndrom. Wie viele Symptome das sind und welche im Speziellen, das unterscheidet sich von Person zu Person. Und ja, das ist alles noch etwas schwammig. Aber erst wenn man mehr über die Ursachen von Long Covid weiß, kann man hier genauer zuordnen. Bisher geht man davon aus, dass die meisten Symptome, die mit Long Covid assoziiert sind, etwas mit entzündlichen Prozessen im Gehirn zu tun haben.

STANDARD: Wie lange müssen Betroffene mit diesen Problemen zurechtkommen?

Korte: Die meisten können davon ausgehen, dass sich das im Lauf der Zeit bessert. Nur sechs Prozent der Betroffenen haben auch eineinhalb Jahre später noch Symptome. Beim Großteil wird die Anzahl geringer, und die Effektstärke nimmt ab. Aber gerade Fatigue kann sehr hartnäckig sein, und wir wissen nicht, ob sich diese Betroffenen wieder vollständig erholen werden.

STANDARD: Was weiß man bisher über die Ursachen für Long Covid?

Korte: Die Ursachen können entzündliche Prozesse direkt im Gehirn sein, das konnte man durch Gehirnuntersuchungen mit bildgebenden Verfahren feststellen. Aber mindestens genauso oft sind Veränderungen am Gefäßsystem der Grund. Vor allem an den kleinen Blutgefäßen, den Kapillaren, kommt es zu Verengungen. Davon ist das Gehirn wiederum besonders stark betroffen, weil sich dort von allen Organen im Körper die meisten kleinen Gefäße befinden. Diese verstopfen dann, das hat einen indirekten Effekt auf das Gehirn. Es besteht dadurch ein höheres Risiko, einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall zu erleiden. Und das Risiko, später an Alzheimer zu erkranken, ist durch diese Verengungen der Kapillaren erhöht.

Außerdem kann es zu Autoimmunreaktionen im Körper kommen. Auch diese können bis ins Gehirn hineinreichen und dort zu entzündlichen Reaktionen führen. Diese Autoimmunreaktionen können aber auch an anderen Stellen im Körper passieren, sie werden außerdem womöglich noch einmal verstärkt durch andere Viren, die sich im Körper befinden, aber nicht aktiv sind. Das Epstein-Barr-Virus ist so ein Erreger, der wieder aktiviert werden kann. Das tragen 95 Prozent der Menschen in sich, es kann über Jahre in den Zellen sitzen, ohne aktiv zu sein, und wird bei manchen durch eine Sars-CoV-2-Infektion angeregt, sich wieder zu teilen.

STANDARD: Und warum ist das möglich?

Korte: Es liegt wahrscheinlich daran, dass das Immunsystem sehr stark reagiert hat und dann durch Erschöpfung heruntergefahren wird. Das nutzen scheinbar gerade Herpesviren, zu denen ja auch Epstein-Barr gehört, aus.

STANDARD: Sie sprechen von Autoimmunreaktionen. Heißt das, wenn womöglich die Anlage zu einer Autoimmunerkrankung in einem schlummert, dass eine Sars-CoV-2-Infektion diese dann zum Ausbruch bringen kann?

Korte: Ja, diese Möglichkeit besteht. Das sieht man auch daran, wer ein erhöhtes Risiko hat, Long Covid zu bekommen: Frauen, die ein viel höheres Risiko haben, eine Autoimmunerkrankung zu bekommen, und Menschen, die bereits nachweislich an einer Autoimmunerkrankung leiden.

STANDARD: Das klingt sehr schicksalshaft. Kann man irgendetwas was dagegen tun?

Korte: Ja, mit Vorsorge. Sehr oft sind eben Reaktionen des Immunsystems im Körper, die dann entzündliche Prozesse im Gehirn auslösen, der Grund für Long Covid. Die Impfung reduziert dieses Risiko um zumindest 20 bis 50 Prozent. Und man sollte sich in engen, schlecht gelüfteten Innenräumen mit Maske schützten. Denn je seltener man sich infiziert, desto geringer ist das Risiko, an Long Covid zu erkranken. Die Daten zeigen, dass jede neuerliche Infektion wieder ein Risiko für Langzeitfolgen birgt.

STANDARD: Aber wenn ich Long-Covid-Symptome habe, was kann ich konkret tun, damit sich dieses Problem wieder bessert oder ich besser damit umgehen kann?

Korte: Da gibt es verschiedene Ansätze. Bei Geruchsverlust etwa kann man in neun von zehn Fällen damit rechnen, dass sich das spontan wieder gibt. Man kann das aber auch beschleunigen, indem man ein Geruchstraining macht. Man füllt vier Fläschchen mit ätherischen Ölen und schreibt drauf, was drin ist. Das ist am Anfang frustrierend, weil man kann lesen, was drin ist, riecht es aber nicht. Aber es beschleunigt die Besserung, das zeigen verschiedene Untersuchungen.

Dann kommt es vor, dass sich Menschen während einer Sars-CoV-2-Infektion eine falsche Atemtechnik angewöhnen. Die haben dann eine Sauerstoffminderversorgung – nicht weil die Lunge schlechter funktioniert oder das Virus noch da ist, sondern weil sie nicht tief genug atmen. Die müssen einfach wieder üben, über das Zwerchfell tief in den Bauch zu atmen. Wer zum Beispiel schon einmal Yoga gemacht, weiß ganz genau, wie das geht.

STANDARD: Aber was tut man bei Symptomen wie Brain Fog, also wenn man sich einfach nicht konzentrieren kann und Gedächtnisprobleme hat, was auch viele Betroffene beschreiben?

Korte: Das kommt eben von der starken Immunreaktion des Körpers, die sich auf das Gehirn auswirkt. Man kennt das auch von Menschen, die eine Chemotherapie gegen Krebs hatten, da nennt man es Chemo Brain. Von diesen Menschen weiß man, dass Gedächtnis-, Konzentrations- und Koordinationsübungen und auch Physiotherapie helfen. Bei dieser leichten sportliche Belastung muss man sich gleichzeitig konzentrieren, damit erzielt man gute Erfolge.

Und auch hier kann womöglich eine Impfung helfen. Man hat bei einer Reihe von Betroffenen gesehen, dass eine Impfung während einer Long-Covid-Erkrankung die Symptome gebessert hat, weil dadurch das Immunsystem noch einmal aktiviert wird. Wie genau das funktioniert, weiß man nicht, aber man nimmt an, dass dadurch entweder Sars-CoV-2-Viren, die im Darm oder in anderen Organen noch überlebt hatten, endgültig entsorgt werden, oder weil dadurch andere Viren, die durch die Infektion wieder aktiv geworden sind, bekämpft werden.

Martin Korte ist Neurobiologe und forscht an der TU Braunschweig zu virusbedingten Atemwegserkrankungen und ihren langfristigen Konsequenzen im Gehirn. Er hat das Buch "Long Covid. Wenn der Gehirnnebel bleibt" verfasst.
Foto: Marek Kruszewski

STANDARD: Solche Langzeitfolgen treten ja auch nach anderen Viruserkrankungen auf, der Influenza etwa, aber nur sehr selten. Ist die Gefahr von Langzeitfolgen bei eine Sars-CoV-2-Infektion tatsächlich so viel höher?

Korte: Das ist noch nicht ganz klar. Aber durch die hohen Infektionszahlen, die wir hatten, betrifft es einfach sehr viele in sehr kurzer Zeit. Bisher hat etwa eine von zehn infizierten Personen Langzeitfolgen entwickelt. Durch die Impfung und die etwas milderen Varianten sieht es so aus, als würden sich diese Zahlen noch einmal reduzieren, dann entwickelt womöglich nur noch eine von 20 Personen Langzeitfolgen.

Wenn sich aber weiterhin in Österreich eine Million Menschen pro Jahr mit Sars-CoV-2 infiziert, dann erfüllt mich das schon mit Sorge. Denn das erhöht langfristig auch das Risiko, an Alzheimer zu erkranken. Das muss man unbedingt im Auge behalten, nicht dass wir die ohnehin schon steigenden Alzheimer-Zahlen noch einmal befeuern und in zehn, 20 Jahren die Folgen sehen.

STANDARD: Wie sieht es beim Fatigue-Syndrom aus? Kann man da auch etwas tun? Man hat den Eindruck, da ist die Lage ziemlich hoffnungslos ...

Korte: Ja, dieses Problem muss man auf jeden Fall gesondert ansprechen. Denn bei den davon Betroffenen sind Trainingsprogramme mit leichter sportlicher Belastung, um das Potenzial wieder langsam zu steigern, absolut kontraindiziert. Fatigue-Betroffene haben ein ganz niedriges Energieniveau, das ist, als hätte man nur noch zehn Prozent Füllung im Tank und muss jetzt damit haushalten, weil es einfach keine Tankstelle gibt. Sie dürfen sich entsprechend möglichst wenig bewegen, und wenn sie etwas unternehmen wollen, müssen sie das sehr genau planen.

Die Ursache dafür sind sehr wahrscheinlich entzündliche Prozesse im Gehirn, wodurch die Energieproduktion extrem heruntergefahren ist. Es scheint, dass dadurch die Mitochondrien, also die Kraftwerke der Zellen, in Mitleidenschaft gezogen werden. Das sind aber alles noch keine gesicherten Daten, das ist meine Hypothese. Weil das Chronic Fatigue Syndrom hat man im Grunde bis heute nicht wirklich verstanden. Aber da besteht jetzt die Hoffnung, dass sich durch diese Häufung der Long-Covid-Symptome, die der Fatigue ganz ähnlich sind, im Verständnis und in der Forschung dazu einiges tut.

STANDARD: Aber was können Betroffene tun, bis man mehr Erkenntnisse hat?

Korte: Leider sehr wenig. Hier muss unbedingt mehr geforscht werden, denn das Leben dieser Menschen ist auf allen Ebenen beeinträchtigt, sowohl das Arbeitsvermögen als auch die Freizeit.

STANDARD: Auf der Suche nach Besserung probieren Menschen die unterschiedlichsten Dinge. Man liest zum Beispiel in manchen Foren, dass Vitamin D sehr gute Wirkungen erzielen soll. Gibt es dazu irgendeine wissenschaftliche Evidenz?

Korte: Das ist nicht so klar, aber man kann sich das durchaus rational vorstellen. Gerade in Mitteleuropa haben erstaunlich viele Menschen einen Mangel. Das muss man aber bitte vom Arzt im Blut feststellen lassen. Ist das der Fall, sollte man Vitamin D einnehmen, egal ob man Long Covid hat oder nicht.

Ob es bei Long Covid hilft, dazu gibt es derzeit keine Daten. Das muss aber nicht heißen, dass es nichts bringt. Hätte ich Long Covid, würde ich meinen Vitamin-D-Spiegel bestimmen lassen und auch meinen Zink-Level. Denn diese beiden Werte sind für die Funktionalität des Immunsystems wichtig. Ich würde aber den Menschen davon abraten, dafür Geld auszugeben, ohne zu prüfen, ob ein Mangel besteht. Studien zeigen nämlich, dass es keinen positiven Effekt hat, wenn man zu viel davon zu sich nimmt. Ich nehme die Vitamin-D-Frage sehr ernst, das ist nicht abwegig, aber ich warne die Menschen davor, in der nächsten Apotheke einfach jede Menge Nahrungsergänzungsmittel zu kaufen, wenn sie womöglich gar keinen Mangel haben. Das bringt dann ja nichts.

Hat jemand Long Covid, sollte die Person ohnehin alles sehr eng mit ihrem Arzt abstimmen. Es kann nämlich sein, dass womöglich Medikamente helfen, die Thrombosen lösen. Aber auch das muss man mit dem Arzt oder der Ärztin besprechen, einfach sechs Aspirin am Tag zu schlucken bringt nichts, das hat ja auch Nebenwirkungen.

STANDARD: Das klingt im Großen und Ganzen, als wüsste man doch schon einiges zu Long Covid ...

Korte: Man weiß tatsächlich schon eine ganze Menge, aber es bleibt natürlich auch noch viel offen. Ich schreibe das auch in meinem Buch, dass sich der Wissensstand dazu permanent weiterentwickelt. Aber man hat inzwischen einige Biomarker festmachen können, etwa dass das Cortisol runtergeht, Botenstoffe des Immunsystems wie Interleukin, Zytokine oder IL 8 gehen rauf. Da kommt man langsam in Bereiche der Erkenntnis, in denen sich Mediziner auch wohler fühlen und an denen man Behandlungsansätze festmachen kann. Aber natürlich wüsste man gerne noch viel mehr. (Pia Kruckenhauser, 19.12.2022)