Die Streiks sind abgewendet, die neuen Gehälter in trockenen Tüchern und die Adventumsätze besser als in den Jahren der Pandemie. Von Weihnachtsfrieden ist im österreichischen Handel dennoch nichts zu spüren.

Das Weihnachtsgeschäft steht in Österreich heuer unter einem wirtschaftlich besseren Stern als in den beiden Vorjahren. Für viele Beschäftigte ist es die stressigste Zeit im Jahr.
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Zündstoff für harte Konflikte innerhalb der Sozialpartner birgt eine aktuelle Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo und des Meinungsforschungsinstituts Ifes für die Arbeiterkammer (AK). Diese nahm die Arbeitsbedingungen der Branche seit Beginn der Pandemie unter die Lupe. Ihr Attest fällt für viele Arbeitgeber des Handels wenig schmeichelhaft aus.

Wirtschaftskammer sowie Handelsverband sind empört. Von reiner Stimmungsmache gegen Händler ist die Rede, von Pauschalierung und weltfremden Forderungen.

"Stimmung am Tiefpunkt"

Dem Ifes zufolge sind zwei Drittel der Handelsangestellten mit ihrem Job zwar grundsätzlich zufrieden. Dennoch sei die Stimmung so schlecht wie seit zehn Jahren nicht mehr. Als Maßstab dafür dient unter anderem der Arbeitsklimaindex.

Die Zahl jener, die sich durch die Arbeit erheblich belastet sehen, hat sich der Studie zufolge seit der Corona-Krise mehr als verdoppelt. Für alarmierend hält AK-Präsidentin Renate Anderl, dass sich die Zahl der Tage, an denen trotz angeschlagener Gesundheit gearbeitet wurde, beinahe vervierfacht habe.

Allein im ersten Halbjahr seien dies heuer im Schnitt fast elf Tage gewesen – und damit deutlich mehr als in anderen Branchen, zieht Ifes-Chefin Eva Zeglovits Bilanz. Offenbar fehle es im Einzelhandel an personellen Puffern. "Viele Angestellte wollen ihre Kollegen trotz Krankheit nicht hängen lassen."

Erst galt es, Ausfälle durch Covid-Infektionen zu kompensieren. Nun werde die Grippewelle den Druck zusätzlich erhöhen, fürchtet Anderl.

Viele Beschäftigte müssten mittlerweile bereits im Wochentakt für ihr kranken Kollegen einspringen, ergänzt Barbara Teiber, Bundesvorsitzende in der Gewerkschaft GPA.

"Alles nur Einzelfälle"

Man möge ihm einen Betrieb zeigen, der von Angestellten verlange, trotz Darmgrippe in der Arbeit zu erscheinen, sagt Rainer Trefelik. Der WKO-Handelsobmann spricht von Umfragen, die der AK nicht würdig seien. "Was, bitte schön, heißt gesundheitlich beeinträchtigt? Dass mich der Arzt krankgeschrieben hat oder ich ein bisserl Kopfweh habe?" Mit Fakten habe dies nichts zu tun. Vielmehr würden ideologisch motivierte Schlüsse gezogen.

Anderl schildert aktuelle Fälle der Rechtsberatung in der Arbeiterkammer Wien. Dort sei der Handel auf Platz zwei jener Branchen, aus denen sich Beschäftigte an Arbeitnehmervertreter wenden. Sie berichtet über Arbeitstage von bis zu 14 Stunden, über unbezahlte Vor- und Nacharbeiten und zu wenige Pausen während der Dienste. Teils würden Vordienstzeiten nicht richtig angerechnet, teils bemesse sich das Gehalt an einfachen Tätigkeiten – tatsächlich werde jedoch Arbeit an der Kassa verrichtet. "Arbeitsrechte einzuhalten wäre schon einmal ein großer Schritt", resümiert Anderl.

Für Trefelik sind dies hochstilisierte Einzelfälle. "Der Handel zählt 500.000 Mitarbeiter. Warum stellt man hier eine ganze Branche an den Pranger?" Diese bestehe nicht allein aus Lebensmittelketten – Arbeit im Handel lasse sich nicht auf Semmelaufbacken reduzieren. "Wer von all unseren Betrieben lässt seine Mitarbeiter tatsächlich um fünf Uhr in der Früh antanzen?"

Die Arbeitnehmervertreter leiten aus den ihrer Erfahrung nach immer stärker belastenden Arbeitsbedingungen klare Forderungen ab. So brauche es etwa angesichts der hohen Teilzeitrate von bis zu 50 Prozent Zuschläge ab der ersten Stunde Mehrarbeit. Bisher ließen dies lange Durchrechnungszeiträume nicht zu, sagt Teiber. Sie pocht zudem auf einen Tag Freizeit für Samstagsdienste in der darauffolgenden Woche. Auch Handelsangestellte hätten ein Recht auf eine Fünftagewoche.

"Betteln um Vollzeitkräfte"

Für Handelsverbands-Chef Rainer Will trifft Kritik an hohen Teilzeitquoten die Falschen. Die Realität sei, dass viele Betriebe regelrecht um Vollzeitkräfte bettelten. Es seien Beschäftigte, die mehr Wert auf Teilzeitstellen legten, ist sich Will sicher. Praxisfern sei der Wunsch der Gewerkschafter nach einer Anpassung der Öffnungszeiten an die Betreuungspflichten der Mitarbeiterinnen. "Händler können Geschäfte nicht mit Schulschluss schließen."

Anderl fordert für Handelsangestellte vor allem mehr Respekt ein. Mit Applaus allein ließe sich keine Miete bezahlen. Er helfe auch nicht bei angeschlagener Gesundheit.

Mittlerweile heizten gestiegene Preise das Klima im Verkauf vielerorts auf. Teiber berichtet von zunehmender verbaler Aggression bis hin zu Handgreiflichkeiten. "Beschäftigte dürfen sich nicht alles gefallen lassen – ihre Arbeitgeber müssen hinter ihnen stehen." (Verena Kainrath, 15.12.2022)