Nach dem Halbfinalmatch Frankreich – Marokko: Französische Spieler umarmen marokkanische, marokkanische die französischen, der französische und der marokkanische Trainer tauschen auch freundschaftliche Gesten aus, es ging sportlich fair zu.
Und das, obwohl zehntausende marokkanische Fans im Stadion praktisch bei jedem Ballbesitz der Franzosen gepfiffen haben, obwohl man nach dem Ausscheiden der Marokkaner verzweifelte, weinende Zuschauer sah – und obwohl das ganze Spiel ungeheuer symbolisch aufgeladen war (aufgeladen wurde): das arabische Afrika gegen Europa, die ehemals Kolonialisierten gegen die ehemaligen Kolonialherren (Unabhängigkeit erst 1956), die Outsider gegen den Weltmeister.
Dazu die Verschränkung durch Migration. Etliche marokkanische Nationalspieler sind in Frankreich geboren, leben dort, haben Doppelstaatsbürgerschaft. In Frankreich leben 1,2 Millionen Marokkaner und Marokkanischstämmige, in Spanien 750.000, in Italien 500.000, in Belgien 350.000, in den Niederlanden 350.000.
Und dann gab es die schwere Randale durch marokkanische Jugendliche aus den französischen und belgischen Banlieues (wörtlich: Bannmeilen), nach dem Sieg gegen Portugal, jetzt wieder. Dass die Spielerstars, die selbst meist aus diesen Vorstädten stammen, miteinander zivilisiert umgingen – vielleicht bewusst –, hatte offenbar keine Vorbildfunktion. Da ist ein fundamentaler Frust. (Hans Rauscher, 15.12.2022)