Thomas Bernhard 1988 während einer Probe zu "Heldenplatz" am Burgtheater.

Foto: Österreichische Nationalbibliothek

In seinem Testament machte Thomas Bernhard seine Haltung zur Heimat noch einmal klar: "Ich verwahre mich gegen jede Annäherung dieses österreichischen Staates meine Person und mein Werk betreffend in alle Zukunft." Ob ihm also gefallen hätte, was da am Freitag verkündet wurde? Jahrzehntelang von Bernhards Halbbruder Peter Fabjan verwaltet, wandert der Nachlass des 1989 verstorbenen Autors für 2,1 Millionen Euro in die Österreichische Nationalbibliothek. Sie berappt 500.000 Euro, das Kulturministerium zahlt 1,6 Millionen.

Die erste Seite des Typoskripts mit Korrekturen zu "Alte Meister".
Foto: ÖNB

Nahezu vollständig überliefert, decke das Konvolut die gesamte literarische Produktion Bernhards ab und bilde "eine unverzichtbare Materialbasis, aus der der Zusammenhang zwischen Leben und Werk deutlich wird", heißt es seitens der ÖNB. Enthalten seien neben Notizen und autobiografischen Aufzeichnungen alle veröffentlichten und unveröffentlichten Werke sowie Korrespondenzen. In 15 Archivboxen finden sich Briefe von Ingeborg Bachmann, Heinrich Böll, Elias Canetti, Peter Handke, Marlen Haushofer, Hans Werner Henze oder Claus Peymann. Der Bestand zählt 30.000 Blätter mit Handschriften und Fahnenkorrekturen.

Ohne Zustimmung einsehbar

Bernhards Nachlass gehört zu den wichtigsten der österreichischen Literatur. 1998 hatte Fabjan als Alleinerbe eine Privatstiftung gegründet, im Jahr darauf begann dessen Aufarbeitung. Aus Bernhards Wohnung in Gmunden übersiedelten die Bestände 2001 in die vom Land Oberösterreich zur Verfügung gestellte Kleine Villa Toscana, die Personalkosten deckte eine Förderung, die 2012 auslief. Eine 22-bändige Gesamtausgabe datiert aus der Zeit. Die Nachfolgekonstruktion löste Fabjan 2014 auf, seither war die Zukunft des Nachlasses unklar.

Von 2015 bis 2018 digitalisierte ihn die Akademie der Wissenschaften, einsehbar war er bisher trotzdem nur mit Zustimmung Fabjans. Das ändert sich nun für die Forschung. Auf zehn Jahre an die Zustimmung der Erben gebunden bleibt nur der Briefwechsel mit Lebensmensch Hedwig Stavianicek: 381 Briefe von Bernhard an Stavianicek und 245 Briefe von ihr an ihn.

60 Prosawerke, 50 Stücke

Kommen bisher 150 unveröffentlichte Texte nun also auf den Markt? Bernhard Fetz, Direktor des Literaturarchivs der ÖNB, bremst. Fabjan hat als Rechtsnachfolger weiterhin die Rechte an ihnen, ohne seine Zustimmung dürfe nichts ediert werden. Natürlich plane man aber Veröffentlichungen. Material bieten die etwa 60 Prosaerzählungen und Entwürfe, rund 50 dramatischen Arbeiten sowie Lyrik genug. Der Großteil stamme wohl aus den frühen Schaffensjahren. Man könne daran sehen, "wie Bernhard zu Bernhard wurde", sagt Fetz. Mit einer Thomas-Bernhard-Forschungsstelle, die derzeit an der Akademie der Wissenschaften eingerichtet werde, würde man gerne eng zusammenarbeiten.

Seit 2016 habe sich die ÖNB um den Nachlass bemüht, 2020 stellte das Kulturministerium konkret Budgetmittel in Aussicht. Der Erwerb sei "auch ein Auftrag", erklärt Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) in einer Aussendung, "das Werk Bernhards (...) immer wieder aufs Neue auf seine Aktualität hin zu befragen".

Der Kaufpreis orientiert sich an einem externen Gutachten. Der Nachlass verlange "nach einem seriösen Ort der Aufbewahrung", erläutert Fabjan seine Entscheidung für die ÖNB. Dem Deutschen Literaturarchiv Marbach den Nachlass "leihweise" für "die erste Aufarbeitung" zu überlassen, wie Fabjan angedacht hatte, was eine "bedeutende Kostenersparnis für die ÖNB" bedeutet hätte, habe der Kulturminister blockiert, erklärt Fabjan weiter. (Michael Wurmitzer, 16.12.2022)