An der Wand hängt das gerahmte Bild einer fein handgezeichneten Fassade. Auf dem Boden davor liegen ein blauer Gymnastikball und ein Sprungseil. Hinter der Tür links türmen sich große Architekturmodelle, hinter der Tür rechts sind Umkleidekabinen in Punschkrapferl-Rosa zu sehen. Gegenüber: ein großer Raum, der wie die Bauhaus-Variante eines Flashdance-Aerobic-Videos aussieht. Breite Glasfront, großer Spiegel, ein abstraktes Arrangement aus Edelstahlstangen. Hinter der Spiegelwand: der Arbeitsalltag des Büros Caruso St John Architects.

Weißer Eishockey-Palast: Nomadische Zelte dienten als Inspiration für die im Herbst eröffnete Swiss Life Arena der Zürcher ZSC Lions.
Foto: Philip Heckhausen

Nein, das, was hier auf einer Büroetage in Zürich zusammenkommt, ist nicht die veredelte Version der Tischfußball-Tischtennis-Grundausstattung angestrengt kumpelhafter Start-up-Firmen, sondern das kreative Ergebnis eines kontrollierten Downsizings. Caruso St John Architects, 1990 in London gegründet, haben ihre 2010 gegründete Schweizer Filiale halbiert, und es geht ihnen dabei sehr gut.

Bekannt geworden sind Adam Caruso und Peter St John mit zwei feinen Galeriebauten im London der 1990er-Jahre, bevor sie mit Bauten wie der Zürcher Europaallee und der Bremer Landesbank in großem Maßstab auftraten. Ihre Bauten sind weder vom Hochglanz des absolut Neuen überstrahlt noch nostalgisch verklärend, sie erschließen sich erst nach längerem Hinschauen. Einen besonderen Ruf haben sich Caruso St John im Umgang mit historischer Bausubstanz erarbeitet, vom Londoner Sir John Soane’s Museum bis zu einer barocken Klosterkirche in St. Gallen.

Eishockey-Palast

Im Herbst 2022 haben sie eines ihrer größten Projekte eröffnet: die Swiss Life Arena, Heimat des Zürcher Eishockeyvereins ZSC Lions. 33 Meter hoch und mit 12.00 Sitzplätzen sitzt sie breit und ausladend zwischen Bahnstrecke, Kleingärten, Abfallverwertung und Bürocampus im Limmattal. Sie sieht nicht aus, wie man sich eine Eishockey-Arena vorstellt.

Keine wuchtige Stahlhalle, sondern ein rätselhafter Palast aus weißem Sichtbeton, der sich weich wie ein Vorhang um runde Bullaugenfenster faltet. Man assoziiert die feierliche Wucht Londoner Art-déco-Kinos der 1920er-Jahre, doch inspiriert wurden Caruso St John unter anderem von Nomadenzelten in der arabischen Wüste. Im hochdotierten Wettbewerb für die Arena hatten sie Stars wie David Chipperfield und Bjarke Ingels ausgestochen. Ein Karrieresprung in die globale Kongresszentrum-in-Baku-Liga also? Nein.

Arbeiten am liebsten mit Vorgefundenem: Adam Caruso (li.) und Peter St John und ...
Foto: Blossom Architects

"Eigentlich wollen wir gar keine Neubauten mehr machen", sagte der gebürtige Kanadier Adam Caruso, als er im November die voluminöse, in senffarbenes Leinen gebundene Monografie präsentierte, die das Werk der ersten 15 Jahre Caruso St John versammelt. Die Präsentation des Buchs fand passenderweise auch nicht vor dem Zürcher Geldadel in der VIP-Lounge der Swiss Life Arena statt, sondern auf einem Sofa in einer kleinen Hinterhofwerkstatt im Viertel Wiedikon, umringt von junger Kunst-Crowd. Dem unscheinbaren Hinterhaus an der Erikastraße haben Caruso St John soeben einen kecken silbernen Dachgupf aufgesetzt, die Räume darunter aufs Minimalste umgebaut, die Werkstatt blieb fast unberührt.

Schönheit im Zerfall

Fast fühlte man sich in das London von 1990 transportiert, als Caruso St John im Umfeld der Young British Artists wie Damien Hirst ihre Karriere starteten, in einer vom Thatcherismus verwüsteten Stadt, die reichlich leerstehende Fabrikhallen bot. "Die jungen Künstler haben uns ihren Blick auf die Stadt beigebracht", erinnert sich Caruso. "Wir lernten von ihnen, das Schöne im Zerfall zu sehen und aus den Materialien und Resten etwas Neues, Wertvolles zu machen."

... ihr Dachaufbau in Zürich-Wiedikon.
Foto: Philip Heckhausen

Dem sind die beiden bis heute treu geblieben. Keine scheinbar geniale, aus dem Nichts inspirierte Serviettenskizzenarchitektur, sondern ein Arbeiten mit dem, was man vorfindet. Eine Haltung, die heute aktueller denn je ist, vor allem aus ökologischen Gründen. Am 19. September forderten deutsche Architekten in einem offenen Brief an Bundesbauministerin Klara Geywitz ein Abrissmoratorium. Die Bauwirtschaft ist für rund 40 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich, und das, so der dringende Appell, könne so nicht weitergehen.

Kultur und Klima

Für Adam Caruso ist die Frage "Kultur oder Klima?" kein Entweder-oder. "Wenn der Abbruch eines Hauses so viel kosten würde, wie er die Umwelt wirklich kostet, würde kein Investor mehr abreißen. Aber das Technische ist nie ein Hindernis für das Formale und Gestalterische." Doch auch Caruso St John haben sich immer mehr einer Art Abrissmoratorium angenähert, sagt er. "Noch vor drei oder vier Jahren hätte ich beim Umbau eines bestehenden Gebäudes gesagt: Diese oder jene Bauteile sind nicht so gut, die werfen wir weg. Heute denke ich: Ich will überhaupt nichts mehr wegwerfen. Ich mag die Herausforderung, in jedem Ding einen Wert zu sehen. Das ist auch unsere Verantwortung als Architekten, denn wir legen diesen Wert fest."

Das funktioniert auch im großen Maßstab: In Brüssel adaptieren Caruso St John derzeit gemeinsam mit Bovenbouw Architectuur den ehemaligen Firmensitz der Versicherung Royale Belge aus dem Jahr 1970, ein Gebirge aus Spiegelglas und Beton, das noch vor wenigen Jahren wohl jeder Investor gesprengt hätte, nicht zuletzt aufgrund der schlechten Energiebilanz von 70er-Jahre-Fassaden. Doch die lässt sich auch ohne Abriss reparieren.

Umbauten als Hausaufgabe

Kein Wunder, dass Caruso, der seit 2011 als Professor an der ETH Zürich lehrt, diesen Wertewandel auch an die nächste Generation weitergibt. Während woanders noch der große Entwurf auf dem leeren weißen Papier gelehrt wird, bekommen Carusos ETH-Studierende schon seit Jahren nur noch Umbauten als Hausaufgabe. Das funktioniert sehr gut, sagt er. "Bei Ihnen in Wien wird der Umbau fast gar nicht gelehrt. Das finde ich unglaublich in einer Stadt, wo so viele großartige Bauten der Architekturgeschichte im Grunde Umbauten sind." Wie sagte schon Hermann Czech vor 50 Jahren: "Alles ist Umbau". Heute mehr denn je. (Maik Novotny, 16.12.2022)