Dystopische Weltansicht: In Jelineks jüngstem Theaterstück "Sonne, los jetzt!" ist die Erde nur noch am Strand zwischen Wüste und halbwegs kühlendem Wasser bewohnbar.

Foto: Philip Frowein

Am Ende wird's das gewesen sein. Ein überdimensionales Bärtierchen kriecht über die finstere Bühne, nachdem die Menschheit sich verabschiedet hat. Mit einem langen, traurigen Epitaph beschließt Nicolas Stemann seine Jelinek-Uraufführung am Zürcher Schauspielhaus – es ist die erste, seit er hier Co-Intendant ist: ein hinzugefügter Nekrolog auf die ausgestorbenen und noch aussterbenden Arten. "Eisbär, ausgestorben 2025; Pferd, ausgestorben 2057." Nur das unverwüstliche Bärtierchen verspricht einen Neustart; besser ohne Menschheit.

Sonne, los jetzt ist ein rund zwanzigseitiger, auf eine Anregung von Doris Uhlich zurückgehender Bühnenessay, in dem die Sonne sich als fleißige Arbeiterin vorstellt. Oder als Arbeiter, das Geschlecht changiert, "Geschlecht egal, denn nach uns wird kein Geschlecht mehr kommen", hält they fest. Zuverlässig jeden Tag zur Stelle, aber jetzt hat sie genug. Sie ist der Erde und der Menschen überdrüssig: "Dieser lächerliche Fettklops voll Klopapier, Dreck, Schaum und Abschaum, und dieses Stück Sand hier, das alle Menschen gemeinsam geschaffen haben, extra für mich haben sie geschaufelt und gebaggert, sogar mit schwerem Gerät, damit jetzt sie wen anbaggern können."

Erbarmungslos brennen

Die Sonne brennt erbarmungslos alles nieder, bewohnbar ist die Erde nur noch am Strand zwischen Wüste und halbwegs kühlendem Wasser. Sie spricht auch mal davon, wie sie den Frauen den Bikini in die Haut einsengt oder droht mit Jelinek'schem Wortwitz: "Besorgt sind sie alle. Ich werde es ihnen schon noch besorgen!" Das ist kein liebliches Himmelsgestirn, auch wenn sie auf der Bühne wie im Märchen auftritt mit einem goldenen Strahlenkranz ums Haar, auch kein "Bruder Sonne", wie ihn Franz von Assisi besungen hat. Den sie im Übrigen selbst gern zitiert, geradeso wie griechische Mythologie, Goethes Faust ("nach alter Weise" / "In Brüdersphären Wettgesang") und Ludwig Wittgenstein. Sie hat einen weiten Horizont, aber, was man auch feststellen muss, einen rein europäischen Horizont.

Zu dem freilich auch die Klimajugend gehört. Stemann spürt sie in Jelineks Folgetext Luft auf, der sich schärfer als "Sonne" und bestimmter an der Klimakatastrophe reibt und mit dem er seine Inszenierung in Auszügen unterfüttert. Stemann sucht die Anschauung, die Konkretion, die Jelineks Vorlage nicht unbedingt hat, weniger als andere ihrer Texte, die sich greifbareren Missständen widmen. So darf jetzt Greta Thunberg auf dem Videoscreen dem Zürcher Publikum die Leviten lesen ("We'll not let you get away with this").

Sonnenfetzen

So erklingen immer wieder, mit eindringlicher Hartnäckigkeit, T. S. Eliots Gedichtworte: "This is the way the world ends, not with a bang but with a whimper." Vor allem aber brennt die Sonne vor unser aller Zuschauer-Augen regelrecht aus: in einer spektakulären Bühneninstallation von Katrin Nottrodt, einer mit Folie bespannten Gestirnsscheibe, die sich im Verlauf der Vorstellung langsam auflöst, am Ende hängen da nur noch Sonnenfetzen.

"Es ist zu spät", flüstern eingangs alle auf der komplett finsteren Bühne. Der Weltuntergang besiegelte Sache, die säuerliche Sonnen-Suada allenfalls noch ein altweltliches Hochkulturschmankerl? Gleichwohl gewinnt Stemann dem Pessimismus einiges an skurriler Komik ab, wenn Alicia Aumüller im Bikini über die Bühne huscht und uns kurzerhand nach Malle versetzt, wenn Sebastian Rudolph mit szientistischem Ernst die abstrusesten Weltrettungsfantasien entwickelt, Karin Pfammatter vapend der schmelzenden Sonne ein ironisches Gesicht gibt oder Daniel Lommatzsch Philosophie niederschwellig unter die Leute bringt: "Das ist Wittgenstein. Deswegen haben wir gedacht, wir singen das."

Schmelzendes Bühnenbild

Lena Schwarz und Patrycia Ziółkowska haben ihre eigenen Glanzauftritte; Thomas Kürstner und Sebastian Vogel liefern den stilistisch weit aufgefächerten Soundtrack dazu, vom glasklaren Choralsatz bis zur Punkrock-Überwältigung. Dem Regisseur Stemann ist jedes Mittel recht, wenn es nur deutlich genug ist; formale Rundung nicht sein erstes Anliegen. Wir leben ja in einer absurden Situation, wir wissen, dass es bald zu spät ist, handeln gleichwohl eher nicht – dieses Gefühl treibt Stemann offensichtlich um, das hievt er mit aller Kraft auf die Bühne.

Mit Menschen in Schutzanzügen oder auch mal im Eisbärkostüm, mit diesem Bühnenbild, das vor unsern Augen schmilzt, mit nachdrücklicher, eindringlicher Textgestaltung, die auch vor ermüdenden Repetitionen nicht zurückschreckt. Das will uns etwas einhämmern, das ist Theater, das uns aus der Komfortzone rausrütteln will. (Andreas Klaeui aus Zürich, 16.12.2022)