Im Gastblog analysiert Christian Kreil die fragwürdigen Aussagen von Daniele Ganser im Kontext von Covid-19, dem Holocaust und dem Krieg in der Ukraine.

Der Holocaust scheint für Daniele Ganser eher ein lokales Phänomen zwischen "Nazis und Juden" gewesen zu sein. Der Schweizer Autor und Vortragende sitzt in einer Sequenz des Films Pandamned auf einer Bank und lässt bei einer lockeren Plauderei in ein paar Sätzen Religionskriege, Holocaust und die Verbrechen der Roten Khmer passieren für das Publikum. Sein Fazit:  Den "Wahnsinn gab es immer lokal in einzelnen Ländern." Und dann kommt das große Aber: "Jetzt gibt es weltweit Wahnsinn, das ist neu, dass es jetzt in dieser Welt diese Spaltung gibt zwischen Geimpft und Ungeimpft." Wie zwei Armeen würden diese Gruppen gegeneinander ziehen.

Ganser kennt sein Publikum und in dem Fall ist es das Publikum der Querdenker-Schmonzette Pandemned. Sucharit Bhakdi, Ulrike Guérot und andere Szenestars kommen in der Filmdoku zu Wort. Die von der Universität Dublin geschasste Forscherin Dolores Cahill erzählt in dem Film ohne Widerrede oder kritische Anmerkung, dass jeder, der eine mRNA-Impfung erhalten hat, innerhalb von drei bis fünf Jahren sterben wird. In solchen Milieus tritt nur auf, wer den Applaus von Querdenkern, Impfgegnern sowie Verschwörungsgläubigen sucht.  

Ganser weiß, wie er sein Publikum triggert

Ganser putzt den Schwurbel-Streifen als "Friedensforscher" und Historiker auf. Er ist gebildet genug um zu wissen, dass der Holocaust nichts mit einer "Spaltung der Gesellschaft" zu tun hat, sondern mit dem rassistischem Furor einer totalitären Diktatur. Ganser ist auch intelligent genug, um zu wissen, dass das Schicksal Ungeimpfter nicht mit Opfern des Nationalsozialismus zu vergleichen ist. Aber Ganser ist auch gerissen genug, um zu wissen, wie er seine Szenefans bei Laune halten kann. 

Personen mit dem sogenannten Judenstern bei einer Demonstration in Wien.
Foto: imago images/aal.photo

Diese Menschen sind sehr dünnhäutig, wenn sie ihr angebliches Leid als Ungeimpfte beklagen, beweisen aber einen recht starken Magen, wenn sie sich en passant mit den Opfern eines geplanten, millionenfachen und industriellen Mordes vergleichen. Das geraunte "Wir sind die neuen Juden" der Impfgegner, die "Judenstern"-Aufnäher, in denen das Wort Jude mit dem Wort "Ungeimpft" ersetzt ist, verursacht bei den Sausen dieses Soziotops seit fast zwei Jahren Brechreiz. Ganser triggert diese Leute ganz bewusst. Das ist Teil des Geschäftsmodell eines Verschwörungsplauderers.

Ganser nimmt Verlust der Reputation offenbar in Kauf

Der Verlust des wissenschaftlichen Ansehens als Historiker wird offensichtlich in Kauf genommen, wenn man mit absurden Erzählungen Säle füllen kann. Die akademische Karriere Gansers liegt schon länger auf Eis. In den Universitäten Basel und St. Gallen darf er keine Vorlesungen mehr halten, mit seiner Habilitation ist er abgeblitzt. Aktuell relevante wissenschaftliche Veröffentlichungen im Fach Geschichte gibt es von ihm nicht. Das erwarten seine Fans auch nicht. Sie erwarten von Ganser eine Bestätigung ihrer eigenen Verschwörungsplaudereien und ihres holzschnitzartigen Weltbilds.

Im Jänner und März plant Ganser eine Vortragstour durch Österreich. Reserviert sind durchaus große Säle. 40 Euro bezahlt, wer von Ganser eine Antwort auf die Frage will: "Warum ist in der Ukraine ein Krieg ausgebrochen?"  

Irgendwie sind immer der Westen und die USA schuld 

Wer Gansers bisherige Veröffentlichungen kennt, der weiß: Irgendwie steckt der Westen dahinter und natürlich die USA. Wer sich die 40 Euro für einen Vortrag sparen will, kann sich Aufzeichnungen bisheriger Vorträge zum Krieg zu Gemüte führen, die Ganser auf Youtube veröffentlicht hat.

Ganser legt vordergründig Wert darauf, nicht den plumpen Putinversteher zu mimen. Er plädiert zunächst dafür, auch Putin "die rote Karte zu zeigen" für die Invasion. Aber auch hier kommt das große Aber: Er verteilt dann viele weitere rote Karten für die Kriegsschuld. Die gibt es für Olaf Scholz, Bill Clinton, Wolodymyr Selenskyj und vor allem: für Joe Biden und Barack Obama. Die beiden hätten im Jahr 2014 "den Putsch am Maidan in Kiew gemacht." Ganser verurteilt Waffenlieferungen an die Ukraine und plädiert salopp für Friedensverhandlungen, auch um den Preis, dass "danach die Ukraine ein bisschen kleiner und Russland ein bisschen größer ist." Vermutlich würde sogar Putin rot werden vor Scham, wenn ihm ein Redenschreiber im Kreml so etwas auf den Tisch legt. Ganser zeigt keinen Genierer, er genießt den Applaus für derlei Kalauer.

Kritik durch Wissenschaft und Politik

Renommierte Historiker und Historikerinnen nehmen sich zu ihrem ehemaligen Kollegen Ganser kein Blatt mehr vor den Mund. Ganser fehle "jegliche fachliche Expertise, um über dieses Thema öffentlich zu sprechen," sagt Frithjof Benjamin Schenk, Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität Basel. "Ganser verbreitet immer wieder Positionen der russischen Staatspropaganda."

Gegenwind für Ganser gibt es auch in Österreich. In Steyr wurde die Reservierung für Gansers geplanten Auftritt im Stadttheater von der Kulturstadträtin Katrin Auer storniert. Auer ist selbst Historikerin, seit der Absage wird die Politikerin mit empörten Schreiben von Ganserfans bombardiert. Tenor: Was bilde sie sich ein, einen renommierten Forscher wie Ganser auszuladen. Sie stellt klar: "Wir haben als Stadt hier eine klare Linie. Ganser verbreitet Verschwörungstheorien, relativiert die russische Aggression und scheut auch vor geschmacklosen Vergleichen rund um den Holocaust nicht zurück. So jemandem geben wir keine Bühne." (Christian Kreil, 20.12.2022)

Weitere Beiträge im Blog