Um Unabhängigkeit und Überparteilichkeit bei einem Qualitätsmedium zu sichern, ist Transparenz sehr wichtig.

Foto: REUTERS/ELIJAH NOUVELAGE

Im Transparenzblog "So sind wir" berichtet die STANDARD-Redaktion über die eigene Arbeitsweise. Nach welchen medienethischen Grundregeln handeln wir? Aus welchen Fehlern lernen wir? Wir machen unsere Selbstreflexion öffentlich.

Vor der Gründung des STANDARD habe ich mehrere Jahre in New York gelebt und als Leser täglich die New York Times genossen. Als ich beschloss, wieder nach Hause zu kommen, hat mich die Aussicht abgeschreckt, eine der besten Zeitungen der Welt gegen die damaligen Blätter in Österreich einzutauschen. Das war eines der Motive zur Überlegung, ob die Gründung einer Qualitätszeitung für Österreich möglich wäre.

Da ich auch öffentlich von der Times als Vorbild sprach, habe ich es schlaumeierischen Kritikern leicht gemacht. Ich wurde gelegentlich genüsslich darauf hingewiesen, dass der STANDARD von der selbst gelegten Latte noch ein Stück entfernt sei. Dabei war es allen und daher auch mir klar, dass der kleine österreichische Markt eine Redaktion mit 1400 Journalistinnen und Journalisten nie finanzieren kann. Es macht zum Beispiel einen Unterschied, ob man für einen Artikel tage-, manchmal wochenlang recherchieren kann. Qualität hat auch mit Quantität zu tun.

Journalismus ohne "Hidden Agenda"

Aber nicht nur. Noch wichtiger ist der Zugang zum Journalismus. Wird er nach bestem Wissen und Gewissen betrieben? Agiert er ohne "Hidden Agenda"? Ist er anständig? Ist er fair? Werden Fehler richtiggestellt? Ich wollte, dass es in Österreich endlich eine von allen Interessengruppen unabhängige, liberale, überregionale Qualitätszeitung gibt, die mit den Leserinnen und Lesern auf Augenhöhe kommuniziert – wie die New York Times. Und in all diesen Aspekten entsprechen wir unserem Vorbild seit dem ersten Tag.

Bei aller Unabhängigkeit und Überparteilichkeit: Eine Zeitung wird von Menschen gemacht, die politische Überzeugungen haben. Ich habe bei jeder Anstellung versucht, nur nach professionellen Kriterien zu urteilen, nie habe ich jemanden zur politischen Einstellung gefragt. Bei manchen konnte ich es mir ausrechnen: Einige kamen von der kurz zuvor eingegangenen Süd-Ost-Tagespost, dem Organ der steirischen ÖVP. Als etwas später auch die Arbeiterzeitung unterging, griff ich wieder zu.

Private Gesinnung versus Berichterstattung

Ein Wirtschaftsredakteur der APA ließ mich beim Anstellungsgespräch wissen, dass er SPÖ-Sympathisant sei. Mein Kommentar: Das ist mir gleichgültig, ich will es nur nicht in seinen Texten erkennen. Als mir ein Kollege mitteilte, dass er bei der letzten Wahl FPÖ gewählt hat, musste ich doch schlucken. Er ist bis heute ein wertvoller Redakteur der Zeitung.

Aber es ist nicht nur die Politik, von der wir unabhängig berichten wollen. Wir alle sind eingebettet in Netzwerke von Freundschaften, Vereinigungen und Verpflichtungen. Und wir müssen uns bemühen, dass dies auf die Berichterstattung keinen Einfluss hat. Das betrifft uns alle: von der Redaktion bis zu den Eigentümern. Wenn ich zum Beispiel ein Thema für einen Artikel vorschlage, das mit meinem Bekanntenkreis zu tun hat, lege ich das offen; die Redaktion kann dann ihre Rückschlüsse ziehen.

Transparenz und verlorene Freunde

Auf der anderen Seite erwarte ich, dass jemand, der bei einer Geschichte irgendwie befangen ist, dies ebenfalls bekanntgibt, damit gemeinsam entschieden werden kann, ob nicht lieber jemand anderer übernehmen soll. Und immer gilt: Eine Geschichte muss die dahinterliegende Recherche wiedergeben, auch wenn sie zu einem anderen Ergebnis führt, als man am Beginn der Arbeit angenommen oder erhofft hat.

Diese Bemühung um Unabhängigkeit von unseren eigenen Vorlieben ist nicht immer leicht – auch vom zwischenmenschlichen Standpunkt. Alle unsere Freunde finden es natürlich prinzipiell löblich, dass wir Verhaberung und Freunderlwirtschaft ablehnen – nur im eigenen Fall ist das etwas ganz anderes.

Aber ich habe die Erfahrung gemacht: Freunde, die man auf diese Art verliert, waren wohl keine. (Oscar Bronner, 20.12.2022)