Nina Katzemich sieht verbesserungswürdige Transparenzregeln.
Foto: Lobbycontrol

Eva Kaili, Ex-Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, habe vermutlich gedacht, sich einfach alles erlauben zu können. Zu diesem Befund kommt Nina Katzemich vom Verein Lobbycontrol. Dass es auch in dem eigentlich sehr transparent agierenden Haus zu Korruption kommt, habe sie nicht überrascht. Die Dimension des aktuellen Skandals findet sie dennoch erstaunlich. Der nun entstandene Imageschaden könne dem Parlament lange nachhängen. Bei den Regeln und deren Kontrolle gäbe es jedenfalls Verbesserungsbedarf.

STANDARD: Hat Sie überrascht oder sogar erschüttert, was jetzt aufgedeckt wurde?

Katzemich: Ja. Das Europäische Parlament hat eigentlich keine schlechten Regeln. Mich überraschen aber die Art und Weise sowie das Ausmaß. Dass jemand so plump versucht, Abgeordnete zu bestechen, ist schon überraschend. Es ist wie in einem schlechten Krimi. Natürlich sehen wir schon seit Jahren, dass gerade autoritäre Staaten versuchen, auf fragwürdige Weise ihren Einfluss auszuüben, und dass sie damit hin und wieder auch durchaus Erfolg haben. Aber diese Dimension ist doch erstaunlich.

STANDARD: Welche autoritären Staaten meinen Sie zum Beispiel?

Katzemich: Ein Beispiel aus dem Europarat ist Aserbaidschan, das Geld dafür gezahlt hat, dass gegen gewisse Resolutionen gestimmt wurde. Ein anderes gutes Beispiel ist Russland. Russland hat quer über den europäischen Kontinent Ex-Politiker als Seitenwechsler eingekauft, die dann dafür gesorgt haben, dass die russischen Pipelines überall abgenickt werden.

STANDARD: Sind die Regeln verbesserungswürdig, oder werden die Regeln schlecht kontrolliert?

Katzemich: Es gibt Verbesserungsbedarf. Bisher mussten die Abgeordneten – im Unterschied zu den Kommissaren – beispielsweise ihre Finanzen nicht offenlegen. Die Kommissare müssen sogar veröffentlichen, welche Funktionen ihre Familienmitglieder innehaben, und das finde ich auch durchaus sinnvoll. Abgeordnete im Europäischen Parlament dürfen keine Lobby-Nebentätigkeit haben. Das ist schon einmal gut. Was wir allerdings oft beobachten, sind Nebentätigkeiten, die de facto Lobbyismus sind: zum Beispiel wenn jemand in einer Anwaltskanzlei genau für Kunden ar beitet, die Interessen im Zuständigkeitsbereich der Abgeordneten haben.

STANDARD: Abgeordnete müssen ja, im Gegensatz zu ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, auch ihre Lobbytreffen nicht offenlegen.

Katzemich: Das ist ein wichtiger Punkt. Bisher mussten das nur Ausschussvorsitzende, Berichterstatter und Schattenberichterstatter, die anderen nicht. Aber alle Abgeordneten sollten ihre Lobbytreffen offenlegen. Viele machen das auch schon freiwillig, die anderen sollten dazu verpflichtet werden.

STANDARD: Wo zieht man denn die Trennlinie zwischen legitimer Interessenvertretung und illegitimer Beeinflussung oder Korruption?

Katzemich: Korruption ist immer dann gegeben, wenn man für eine Gegenleistung bezahlt wird. Das ist aber oft schwer nachzuweisen, und es gibt auch viele Grauzonen. Um auf das Beispiel Aserbaidschan zurückzukommen: Da fuhren Abgeordnete in schicke Luxushotels und sagten danach, dass die Wahlen dort frei und fair waren. Es ist offensichtlich, dass da etwas schiefläuft. Aber es ist juristisch schwer aufzuzeigen. Legitim ist letztlich alles, was transparent ist und wo die Auftraggeber klar sind. Auch Lobbycontrol schickt Abgeordneten zum Beispiel Vorschläge, was man tun könnte, um die Transparenzregeln zu verbessern. Und wenn diese Vorschläge als sinnvoll empfunden und übernommen werden, freuen wir uns.

STANDARD: Wie gehen denn die Staaten oder Unternehmen vor, die illegitimen Einfluss nehmen wollen?

Katzemich: Das Erste, was diese Staaten tun, ist, sich dubiosere Lobbyisten zu suchen, die ihnen behilflich sind. Die wissen ja, an welche Abgeordneten man herantreten kann. Dabei sind sie selbstverständlich sehr vorsichtig. Dann gibt es wahrscheinlich einmal erste Treffen, bei denen man die angesprochenen Leute ein bisschen kennen- und einzuschätzen lernt. Und dann entwickelt sich etwas. Wir wissen, dass Katar das auch so gemacht hat. Aber wir können im Lobbyregister sehen, dass Katar niemanden offiziell beauftragt hat. Wohl weil man von Anfang an Illegales geplant hat. Aber eigentlich hätte sich jede Agentur, die Katar berät, dort eintragen müssen.

STANDARD: Wem melden Abgeordnete, wenn sie vermuten, dass jemand Korruptes vorhat?

Katzemich: Eigentlich bräuchte es ein starkes Gremium, auf das man direkt zugehen kann. Das Ethikgremium, das die EU-Kommission zum Einstand von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen versprochen hat, soll ja eigentlich ein Gremium für alle drei Institutionen werden. Das Parlament hat in dem Sinne zwar einen Vorschlag gemacht, seitdem hat sich aber nichts getan.

STANDARD: Wie groß ist der Imageschaden durch den aktuellen Skandal?

Katzemich: Enorm. Das wird dem Parlament noch lange nachhängen. Wie gesagt, eigentlich hat das EU-Parlament sehr gute Transparenzregeln, zum Teil durchaus besser als in Deutschland. Und doch kann so etwas passieren. Wegen zu schwacher Kontrollen und des Gefühls, dass man sich alles erlauben kann.

STANDARD: Was war Eva Kailis größter Fehler?

Katzemich: Es war einfach sehr ungeschickt und dumm, Bestechungsgeld zu Hause her umliegen zu haben, während gleichzeitig klar ist, dass man im Parlament sehr auffällige Po sitionen vertritt. (Manuela Honsig-Erlenburg, 17.12.2022)