AHS-Lehrer und Historiker Georg Cavallar plädiert im Gastkommentar für einen für alle verpflichtenden, interkonfessionellen Religionsunterricht.

Kürzlich wurde bekannt, dass eine Wiener Schule die Kinder nach ihrer Glaubensrichtung zu eigenen Klassen zuteilt. Begründet wird das mit organisatorischen Problemen. Die Aufregung war groß. STANDARD-Redakteurin Muzayen Al-Youssef plädiert in der Folge dafür, den Religionsunterricht überhaupt aus Schulen zu verbannen, denn Religion sei Privatsache.

Hans Rauscher hält dagegen, dass Religionsunterricht deshalb unverzichtbar sei, weil ein Wissen um Religionen und ihre kulturhistorische Bedeutung einfach Teil einer Allgemeinbildung sein sollte. Ich stimme der These zu, dass besonders Judentum und Christentum wesentliche Bestandteile unserer Kultur sind, halte sie jedoch für unvollständig. Drei weitere und meiner Meinung nach zentralere Argumente lauten aber anders.

Streitpunkt Religion: Braucht es einen Religionsunterricht in den Schulen, oder ist Religion Privatsache? Und: Kann ein Ethikunterricht diese Aspekte mitbehandeln, oder nicht?
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Zeitgeistiges Geschwurbel

Erstens: Gelungener Religionsunterricht kann das metaphysische, religiöse oder spirituelle "Bedürfnis" oder Interesse, das bei vielen (jungen) Menschen vorhanden ist, in kritische Bahnen lenken. Wer sich mit dem Sektenunwesen oder manchen esoterischen Strömungen auseinandergesetzt hat, weiß, wie wichtig das wäre. Hier handelt es sich fast immer um ein zeitgeistiges Geschwurbel, um Gedanken, die keinen Inhalt haben, aber so tun, als böten sie tiefe Weisheit und Erleuchtung.

"In kritische Bahnen lenken" bedeutet: differenziert denken, etwa zwischen persönlichen, subjektiven Erlebnissen und objektiver Wissenschaft und Erkenntnis unterscheiden können. Zu lernen, dass es nur im Bereich möglicher Erfahrung Erkenntnis und Wissen geben kann. Anzuerkennen, dass jenseits der Erfahrung, im Bereich der Metaphysik, endliche Wesen wie wir Menschen meinen, glauben und hoffen dürfen – aber auf die Vermessenheit verzichten sollten, hier wissen zu können.

Im Idealfall lernen Jugendliche, auf dogmatische Behauptungen zu verzichten. Also nicht mehr: "Ich weiß, dass Religionen Blödsinn sind" oder "Meine Religion ist allen anderen überlegen", sondern ein: "Ich glaube, dass …" oder "Ich kann damit nichts anfangen" – aber "wir sind bereit, andere Formen des Glaubens zu respektieren, solange diese mit den Prinzipien des demokratischen und säkularen Rechtsstaates vereinbar sind".

Zweitens: Gelungener Religionsunterricht kann jene humanistische Religiosität plausibel machen, wie sie von vielen Aufklärern wie etwa den Aufklärern Jean-Jacques Rousseau, Gotthold Ephraim Lessing oder Immanuel Kant vertreten wurde. Er wäre ein Beitrag zur humanistischen Bildung. Die europäischen Aufklärer des 18. Jahrhunderts haben mehrheitlich Religion oder Religionen nicht pauschal abgelehnt, wohl aber Aberglauben, religiösen Fanatismus und dogmatische Haltungen. Im Mittelpunkt dieser humanistischen Religiosität stehen die Achtung und der Respekt für andere Menschen und ihre Würde sowie die Sorge um unsere Umwelt.

Drittens: Ohne schulischen Unterricht wandert die religiöse Ausbildung oder Bildung ins Private ab. Sie entzieht sich damit auch jeder öffentlichen oder politischen Kontrolle. Es wäre naiv zu glauben, dass sie damit verschwindet. Sie findet nur woanders statt. An einem konkreten Beispiel: Islamischer Religionsunterricht findet dann nicht mehr in der Öffentlichkeit einer Schule mit approbierten Schulbüchern und Lehrkräften statt, die an Universitäten und Pädagogischen Hochschulen akademisch ausgebildet wurden. Sondern in den Hinterzimmern der Moscheen, und wenn wir Pech haben, ist der Lehrer Salafist oder Fundamentalist, spricht kein Deutsch, und der Unterricht ist de facto Indoktrination.

Abschreckendes Beispiel ist das laizistische Frankreich, das Religionsunterricht oder religiöse Symbole aus der Öffentlichkeit verbannt hat. Für sinnvoller halte ich die "hereinnehmende Neutralität" des Staates, der Räume der Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördert.

Ausschließende Neutralität

Eine ausschließende Neutralität des Staates liefe auf eine Diskriminierung religiöser Lebensformen hinaus, die damit das Prinzip Religionsfreiheit selbst gefährden würde. Laizismus kann zu einer "laizistischen Staatsideologie" (der Philosoph und Theologe Heiner Bielefeldt) oder einem "säkularen Fundamentalismus" (der Historiker Timothy Garton Ash) führen, wo religiöse Lebensformen zugunsten einer quasireligiösen republikanischen "Zivilreligion" diskriminiert werden. Zugegeben: Frankreichs Laizismus ist nicht die einzige Ursache für die Probleme des Landes mit der Migration.

Ich schlage einen für alle verpflichtenden interkonfessionellen Religionsunterricht vor, von Vertreterinnen und Vertretern unterschiedlicher Religionen gehalten, die einander abwechseln. Parallel dazu ein verpflichtender Ethikunterricht (ebenfalls zwei Wochenstunden). Oder alternierend Religionsunterricht und Ethikunterricht. (Georg Cavallar, 19.12.2022)