ORF-Radiodirektorin Ingrid Thurnher übernimmt von Landesdirektor Robert Ziegler nach Vorwürfen, er habe in Beiträge eingegriffen, vorerst die Verantwortung für die aktuelle Berichterstattung im ORF Niederösterreich.

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ORF-Niederösterreich-Landesdirektor Robert Ziegler.

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Wien – Ingrid Thurnher übernimmt vorerst im ORF-Landesstudio Niederösterreich von Landesdirektor Robert Ziegler die Verantwortung für die aktuelle Berichterstattung, teilte der ORF Montagabend mit.

"Unbelastete journalistische Arbeit"

ORF-General Roland Weißmann ließ Montagabend per Aussendung verlauten: "Landesdirektor Robert Ziegler hat mich heute gebeten, seine Zuständigkeiten hinsichtlich der aktuellen Berichterstattung, insbesondere der Berichterstattung zur Landtagswahl am 29. Jänner 2023, bis zum Vorliegen des Berichts der Evaluierungskommission jemand anderem zu übertragen."

Weißmann hat "seinen Vorschlag angenommen und Hörfunkdirektorin Ingrid Thurnher damit beauftragt". Mit diesem Schritt sei "sichergestellt, dass die Redakteurinnen und Redakteure des ORF Niederösterreich unter der Leitung von Chefredakteur Benedikt Fuchs unbelastet ihrer journalistischen Arbeit nachkommen können", erklärte der ORF-General.

Ingrid Thurnher präsentierte lange "ZiB" und "ZiB 2", sie moderierte ORF-Diskussionsformate, Wahlkonfrontationen und "Sommergespräche". Sie war Chefredakteurin von ORF 3, bevor sie mit Jahresbeginn 2022 Radiodirektorin des ORF wurde. Sie hat im ORF Niederösterreich begonnen: Thurnher hat die allererste Ausgabe von "Niederösterreich heute" am 2. Mai 1988 präsentiert.

Ingrid Thurnher 1988 bei der Premiere von "Niederösterreich heute".
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Untersuchungskommission, geleitet von Ex-Landesdirektor

ORF-Generaldirektor Weißmann setzte zur Klärung der Vorwürfe gegen den vormaligen Chefredakteur und jetzigen Landesdirektor des Landesstudios Niederösterreich, Robert Ziegler, eine Evaluierungskommission ein. Die Kommission wird vom ehemaligen ORF-Informationsdirektor sowie Kärntner Landesintendanten und steirischen Landesdirektor Gerhard Draxler geleitet, wie der ORF am Montag bekanntgab.

Draxler wurde einer breiteren Öffentlichkeit bekannt mit dem sogenannten "Selbstinterview" von Jörg Haider: Im Herbst 2001 gab der damalige Landeshauptmann von Kärnten seinem eigenen Pressesprecher bei einem New-York-Besuch eine Art "Interview", der ORF Kärnten sendete es in "Kärnten heute".

Ebenfalls in der Kommission sind der emeritierte Universitätsprofessor für Zivilrecht, Martin Schauer, der Direktor des ORF-Landesstudios Wien, Edgar Weinzettl, die ORF-Compliance-Beauftragte Pia Scheck-Kollmann und die ORF-Personaljuristin Elma Osmanovic. Die Evaluierungskommission werde ihre Arbeit noch diese Woche aufnehmen, heißt es. Festgehalten werde, "dass die redaktionelle Verantwortung für jegliche Berichterstattung des Landesstudios weiterhin bei Chefredakteur Benedikt Fuchs und nicht beim Landesdirektor liegt".

Redaktionsrat fordert Suspendierung

Der Redaktionsrat des ORF hatte am Montag die sofortige Suspendierung von Ziegler als Direktor des Landesstudios Niederösterreich gefordert. Ziegler wird eine Bevorzugung der seit Jahrzehnten regierenden Landes-ÖVP in der Berichterstattung vorgeworfen.

"Es geht dabei nicht um eine Vorverurteilung Zieglers, sondern darum, möglichst weiteren Schaden vom ORF und der Glaubwürdigkeit der Berichterstattung des Landesstudios abzuhalten", heißt es in einer Aussendung des ORF-Redaktionsrats. "Es besteht sonst die Gefahr, dass die Causa Ziegler und damit der ORF zum bestimmenden Thema des Wahlkampfs in Niederösterreich wird." Ziegler dementiert die Vorwürfe gegen seine Person.

Das Landesstudio Niederösterreich solle bis auf weiteres "von einer untadeligen Person übernommen werden", sagte der Redaktionsrat. Zudem solle eine Kommission die Vorwürfe gegen Ziegler aufklären. Ein Naheverhältnis zwischen einem Chefredakteur und einer politischen Partei "wäre für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit seiner Verpflichtung zur Unabhängigkeit nicht akzeptabel".

Mit der Kommission soll sichergestellt werden, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landesstudios Niederösterreich "angstfrei und auf Wunsch unter Schutz ihrer Identität über die Vorfälle" aussagen können. "Diejenigen, die Missstände in der Redaktion an die Öffentlichkeit bringen, dürfen dafür nicht bestraft werden", heißt es.

"Keinerlei Beschwerden"

Auch die ORF-NÖ-Redaktionssprecher sprachen sich am Wochenende für eine Untersuchung aus, wehrten sich aber gegen eine "pauschale Vorverurteilung der gesamten Redaktion des ORF Niederösterreich". Der ORF reagierte am Freitag mit der Feststellung, dass ORF-intern keinerlei Beschwerden gegen Ziegler vorliegen, den anonym erhobenen Vorwürfen aber "selbstverständlich nachgegangen" werde.

Die Causa rief bereits am Freitagabend politische Reaktionen hervor. SPÖ und Grüne forderten den Rücktritt von Mikl-Leitner. Zudem forderten sie wie die FPÖ die Suspendierung bzw. den Rücktritt Zieglers. Die FPÖ kritisierte auch das ORF-Gesetz, das derzeit ein Anhörungsrecht für Landeshauptleute vor der Bestellung eines ORF-Landesdirektors vorsieht. Die Neos fordern ein Bekenntnis der ÖVP, "ob sie weiter den ganzen Staat und alle Institutionen mit in den Abgrund reißen will – oder bereit ist für Aufklärung und echte Reformen".

Fritz Hausjell, Präsident von Reporter ohne Grenzen, forderte am Sonntag "klare Ansagen" der Politik und die Stärkung der journalistischen Unabhängigkeit.

Lockl fordert "umfassende Prüfung"

Lothar Lockl, Vorsitzender des ORF-Stiftungsrats, forderte im Gespräch mit der APA eine "umfassende Prüfung" der Vorwürfe. Denn die Unabhängigkeit der Berichterstattung sei ein Grundpfeiler des ORF. Die Einsetzung der Kommission erachte er als richtig. Diese müsse aber rasch zu einem Ergebnis gelangen, so Lockl. Auch Heinz Lederer, Leiter des SPÖ-"Freundeskreises" im ORF-Stiftungsrat, unterstützt auf Anfrage die eingesetzte Untersuchungskommission. Er forderte höchste Transparenz bei der Aufarbeitung, eine rasche Analyse sowie Vorlage des Berichts im Februar.

Helga Krismer, Landessprecherin der niederösterreichische Grünen, hat sich am Montag in einem offenen Brief an ORF-Generaldirektor Roland Weißmann gewandt. Die Vorwürfe gegen Ziegler seien schwerwiegend und würden dem ORF massiv schaden, hält sie fest. "Da der Landesdirektor selber daraus keine Konsequenzen zieht, erwarten wir von Ihnen Herr Generaldirektor im Interesse des ORF, Herrn Robert Ziegler von seiner Funktion 'freizustellen'", so Krismer. Gerade in den nächsten Wochen, vor einer Landtagswahl, "ist es aus unserer Sicht wichtig, die Unabhängigkeit der Berichterstattung des ORF Niederösterreichs sicherzustellen".

Udo Landbauer, Landespartei- und Klubobmann der FPÖ NÖ, sprach am Montag in einer Pressekonferenz in St. Pölten vom "größten parteipolitischen Medienskandal dieses Landes" und von einem "demokratiepolitischen Super-GAU". "Jetzt braucht es sofort eine Neuaufstellung, die für Ausgewogenheit, Objektivität und Fairness in der Berichterstattung sorgt", verlangte der Freiheitliche. Landbauer pochte erneut auf ein Ende der GIS-Gebühren und der Landesabgabe. (luza, fid, red, APA, 19.12.2022)