Das Café Nil in Wien-Neubau, mit dem von der Zigarette bekannten Logo, wurde unter altem Namen ganz neu.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Seit 1989 gibt es in der Siebensterngasse das Café Nil. Der Schriftzug auf blauem Grund (ziemlich schamlos vom Logo der gleichnamigen – heute nur noch in Deutschland erhältlichen – Austro-Edelzigarette inspiriert), die großen Fensterflächen, die alten Thonet-Stühle: Das Nil wirkte all die Jahre klassisch, unaufdringlich elegant, zeitlos. Als ob es immer schon da gewesen sei und noch eine Ewigkeit so bleiben würde. Dass daran vorbeizugehen im Zweifel mehr Freude bereitete, als tatsächlich drin zu sitzen, stimmte aber auch.

Kleine Tische voller Köstlichkeiten

Plötzlich war es dann doch zu. Nach längerem Leerstand sieht es seit ein paar Wochen ein bisserl anders aus, das merkt man aber nur beim genauen Hinschauen. Der Schriftzug und die großen Fenster blieben unverändert, am Auffälligsten sind aufs Erste die Forum-Stadtpark-Stühle statt der Thonets. Auch das neue Nil ist ein niederschwelliger Ort, wo man auf eine Tasse Tee oder ein Bier (leider nur aus der Großkonzern-Tanke) ebenso willkommen ist wie auf einen Abend, an dem die viel zu kleinen Tische vor Köstlichkeiten übergehen.

Die schickt Salwa Ghobiral aus der Küche, die Mutter von Architekt Mina und dessen Bruder Bischoy Yaney. Die Herren agieren im Service, während Vater Nabil (im Bild oben) vorzugsweise an der Bar ordiniert. Salwa ist eine ganz fantastische Köchin, das hat sie schon im winzigen, leider längst wieder verschwundenen OSB-Imbiss auf der Billrothstraße bewiesen. Im neuen Nil aber kann sie aus dem Vollen schöpfen.

Kibbeh, Chimichurri und Falafel

Baba Ganoush mit Zitrone und Minze.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Die Karte liest sich orientalisch, mit frankophilen Schlenkern. Die eine oder andere Zutat darf aber ganz nonchalant darauf hinweisen, dass Dogmen und Kastldenken hier fehl am Platz sind: Zu den großartigen Kibbeh, nach libanesischer Art mit zimtduftigem Rind gefüllten, knusprig gebackenen Bulgur-Torpedos, wird neben gerösteten Mandeln und Tahina auch argentinisch inspiriertes Chimichurri gereicht; die ofengebackene Süßkartoffel bekommt neben Dijonsenf-Creme auch einen Schlenker vom steirischen Kürbiskernöl verpasst.

Das Herz der Küche schlägt aber im Mittleren Osten. Die Vorspeisen heißen Mezze, es gibt bekannte Standards wie Falafel (extrem knusprig, nicht ganz so luftig wie im Elissar), Labneh mit Minze und Za’atar oder fantastische gefüllte Weinblätter, die brennheiß serviert werden und ihre minzduftige, köstlich fermentierte Aromatik auf diese Art noch einmal so intensiv transportieren. Baba Ganoush kommt als ganze, bis auf den Stiel gehackte, gegrillte Melanzani in einer Emaille-Backform zu Tisch (siehe Bild), mit Zitrone, Minze, Sesam: extrem frisch, sehr hübsch anzusehen, vielleicht ein bissl zu kühlschrankkalt. Das dazu servierte Pita ist warm, erinnert aber dennoch an Karton. Egal, schmiert man es sich eben auf die Falafel – und gut ist, sehr gut.

Ersatzlos vegan

Crushed Lamb & Beef sind saftig gegrillte Kebabs mit gerösteten Zwiebeln, bissl ölig gegartem Basmati ("Ägyptischer Reis") und köstlicher Tahina-Creme. Okra-Eintopf zeigt souverän, wie vegane Küche geht, die sich nicht von der Ersatzbank bedient: mit richtig viel Gemüse, mit zarter Schärfe und köstlich satter Würzung, ein Topf heißen Glücks. Apropos Schärfe: Die hausgemachte Harissa heizt mit fruchtigen Chilis unwiderstehlich nachhaltig ein – kein Vergleich zu der säuerlichen Ätzpaste, die sonst unter gleichem Namen aus bunten Tuben gedrückt wird.

Hinterher ist arabischer Kaffee angezeigt, dazu sollte man sich Knafeh nicht entgehen lassen: Unter knusprig splitternder Engelshaar-Pasta verbirgt sich eine Fülle aus Haselnüssen, Kokos, Zimt und Pistazien. Süß, schwer, wahnsinnig gut – und reicht locker für zwei! (RONDO, Severin Corti, 23.12.2022)