Heuer im März stürmen Cobra-Beamte eine Wohnung in Wien-Donaustadt. Die persönlichen Daten des Besitzers klingen auf den ersten Blick nicht aufregend: 39 Jahre alt, griechischer Staatsbürger, russische Wurzeln, der Sohn eines Diplomaten. Ins Blickfeld der Verfassungsschützer gerät der Mann aber, weil er im Verdacht steht, für den russischen Militärgeheimdienst GRU in Österreich spioniert zu haben. Schon sein Vater sei ein Nachrichtendienstmitarbeiter Russlands gewesen. Nun droht dem Verdächtigen hierzulande ein Gerichtsprozess.

Frage: Was wird dem mutmaßlichen Spion konkret vorgeworfen?

Antwort: Der 39-Jährige dürfte in Österreich als eine Art Stimmungsbarometer gedient haben. Verfassungsschützer hegen den Verdacht, dass der angebliche russische Spion für das Regime Wladimir Putins unter anderem Reaktionen von Politik und Gesellschaft hinsichtlich eines Angriffskrieges in der Ukraine eruiert haben könnte. Als Indiz dafür werten Behörden, dass der Verdächtige im Vorfeld des Krieges nach Moskau bestellt worden sein dürfte. Er soll auch mit Diplomaten und Nachrichtendienstmitarbeitern anderer Länder in Kontakt gestanden sein.

Frage: Nach welchem Delikt könnte der Verdächtige bestraft werden?

Antwort: Der mutmaßliche Spion hat womöglich sensible Informationen weitergegeben, die Österreich betreffen. Damit könnte Paragraf 256 im Strafgesetzbuch schlagend werden. Das Delikt des geheimen Nachrichtendienstes zum Nachteil Österreichs trifft schon zu, wenn ein solcher Dienst "unterstützt wird". Es geht um Haft von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

Zwei Einsatzteams der Anti-Terror-Einheit Cobra waren in der Causa rund um den mutmaßlichen russischen Geheimagenten in Wien im Einsatz.
Foto: APA/ Robert Jäger

Frage: Erhielt der Staatsschutz einen Tipp aus dem Ausland?

Antwort: Im Staatsschutz verweist man lediglich auf die eigenen Ermittlungsstränge, auch auf die Kooperation mit anderen Diensten – nennt sie aber nicht.

Frage: Was weiß man noch über den Verdächtigen?

Antwort: Nach Informationen des Staatsschutzes dürfte der mögliche Spion offiziell kaum gearbeitet und in Österreich nur geringe Sozialgelder bezogen haben. Dennoch soll er seit 2018 dutzende Male gereist sein und Liegenschaften in Wien, Russland und Griechenland besitzen.

Frage: Agierte der Verdächtige in einem breiteren Netzwerk?

Antwort: Darüber ist bisher wenig bekannt. Der Staatsschutz kommunizierte, dass Informationen an konspirativen Orten in Wien ausgetauscht worden sein sollen. Dort sei auch diplomatisches Personal Russlands zugegen gewesen. Aktuell wird nur der Spion als mutmaßlicher Einzeltäter verfolgt. Vielleicht ändert sich das noch: Bei ihm wurden Millionen Dateien sichergestellt und ausgewertet.

Frage: Warum ist der angebliche Spion auf freiem Fuß?

Antwort: Laut Staatsanwaltschaft Wien wurde der Verdächtige nie festgenommen. Für eine Untersuchungshaft würden die Voraussetzungen fehlen, sagt eine Sprecherin. Man sieht keinen dringenden Tatverdacht, U-Haft-Gründe seien derzeit nicht erfüllt. Grundsätzlich gilt für den EU-Bürger Reisefreiheit. Für die Justiz sei er aber "greifbar". Ob und wann es zu einem Prozess kommen könnte, lässt sich allerdings nicht sagen. Der Fall sei nicht abgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft wartet etwa noch auf das Ergebnis eines Rechtshilfeersuchens, das man an die USA gerichtet hat. Seit 15. Dezember liegt der Abschlussbericht der Staatsschützer vor.

Frage: Und wie bewerten Experten den angeblichen Spionagefall?

Antwort: Der Geheimdienstexperte Thomas Riegler glaubt, in der aktuellen Causa zweierlei zu erkennen. Aus Rieglers Sicht könne die jüngste Spionageabwehr Österreichs ein Warnsignal an Russland sein, es mit den Spionagetätigkeiten in Österreich nicht zu übertreiben. Aber auch eines an die übrigen westlichen Geheim- und Nachrichtendienste, gegenüber Russland nicht zu tolerant zu sein. Immerhin galt Österreich, insbesondere die russische Botschaft in Wien, schon lange vor dem Krieg als Drehscheibe für Spionage aus Moskau.

Frage: Gab es schon ähnlich gelagerte Fälle mit Österreich-Bezug?

Antwort: Durchaus. Im Jahr 2018 wurde bekannt, dass ein bereits pensionierter Bundesheer-Oberst über etliche Jahre Militärgeheimnisse an Russland verkauft hatte. Der über 70-Jährige wurde zu drei Jahren verurteilt. Auch der flüchtige Wiener Jan Marsalek, eine zwielichtige Ex-Größe des implodierten Wirecard-Konzerns, hielt zeitgleich gute Kontakte nach Russland und auch zu den österreichischen Sicherheitsbehörden. (Jan Michael Marchart, 19.12.2022)