In den frühen Morgenstunden geht es in der Einsiedlergasse los: Der Schneepflug ist montiert, der Streumitteltank auf der Ladefläche gefüllt.
Foto: Helena Lea Manhartsberger

Für Wiener Autofahrerinnen und Autofahrer ist die Sache klar: Eine Straße hat schwarz zu sein. Ist dem nicht so, dann bekommen sie Angst. Schon ein Zentimeter Schnee reicht dafür aus. Das ist kein plattes Klischee, es ist die jahrelange Erfahrung der MA 48. Bis zu 1.400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schickt sie in den kalten Monaten zum Winterdienst aus. Sie räumen Schnee, streuen – und sorgen so dafür, dass Angst erst gar nicht aufkommt.

Auf der Straße bringt ihnen das Respekt ein. Eigentlich hätte Thomas Suppan in seinem orangefarbenen Lastwagen samt massiven Schneepflug an der Front und Streumitteltank auf der Ladefläche an der engen Kreuzung in Matzleinsdorf Nachrang. Doch der querende Pkw lässt ihn fahren. "Wenn mir einer mit so einem Pflug entgegenkommt, wäre ich auch nett", scherzt Suppan. Der 28-Jährige lenkt sein Räumfahrzeug um die Kurve und wird wieder ernst: "Es gibt solche und solche, aber im Grunde sind die Leute freundlich zu uns."

Auf Abstand zum Salz

Draußen ist es stockfinster und bitterkalt. Kurz nach sechs Uhr hat Suppan in der MA-48-Garage in der Einsiedlergasse den Motor seines Räumfahrzeugs gestartet. Vor ihm liegen 50 Kilometer Strecke, er ist für eine Kontrollfahrt eingeteilt. Das heißt: Suppan fährt auf einer genau festgelegten Route durch die Margaretener Gassen auf die Triester Straße hinaus – bis zur Stadtgrenze und wieder retour.

Kurz nach sechs Uhr in der MA-48-Garage in der Einsiedlergasse: Die große Ausfahrt beginnt.
Foto: Helena Lea Manhartsberger

Die Fahrbahn ist zwar aper, Suppan hat sie dennoch genau im Blick: "Ich schaue, dass es nirgends glitzert, nirgends gefroren ist." Bei der Kontrolle hilft ihm eine Temperaturanzeige am Armaturenbrett. Ein Sensor auf der Lastwagenunterseite misst, wie kalt oder warm die Fahrbahn ist: zwei bis drei Grad. Bei Werten wie diesen ist Suppan entspannt. "Die Straße ist leicht feucht, aber es ist zu warm, als dass es wo friert."

Sollte er dennoch eine eisige Stelle entdecken, dann wandern seine Finger zu einem grauen Kästchen mit Knöpfen. Damit kann Suppan die Streuanlage steuern. Das ist jener Moment, in dem am Lastwagenheck eine orangefarbene Warnleuchte angeht – und der Respekt der anderen vor dem Räumfahrzeug noch größer wird: "Die meisten halten Abstand wegen des Salzes."

Sicherheit versus Umweltschutz

Salz ist jenes Streumittel, das in Wien hauptsächlich zum Einsatz kommt. Und zwar in Gestalt von Sole mit etwa 20 Prozent Sättigung, die auf die Fahrbahn gespritzt wird und dort den Gefrierpunkt senkt. "Das heißt, dass in einem Liter Wasser nur etwa 20 Prozent Sole enthalten sind", sagt Winterdienstleiter Andreas Kuba. Er erklärt das nicht zufällig so genau, sondern, um einen alle Jahre wiederkehrenden Vorwurf zu entkräften: dass zu viel umweltschädliches Salz gestreut werde.

Die Tendenz gehe in Richtung mehr streuen und weniger räumen, sagt Winterdienstleiter Andreas Kuba. Er ist für 1.4000 Mitarbeitende verantwortlich, etwa zehn Prozent davon sind Frauen.
Foto: Helena Lea Manhartsberger

Tatsächlich entzieht versickerndes Streusalz Bäumen und Sträuchern Wasser, sie können dadurch absterben. Obendrein belastet es das Grundwasser. Deshalb dürfen weder die MA 48 noch Private natriumhaltige Streumittel in einem Radius von zehn Metern um Wiesen, Baumscheiben und andere unversiegelte Flächen verwenden.

"Unsere Routen sind genau durchgeplant. Wir wissen genau, wo wir Sole aufsprühen können und wo nicht", sagt Kuba. "In der Hauptallee werden wir es jedenfalls nicht tun." Entlang derartiger Flächen kommt schonenderes Kaliumkarbonat zum Einsatz. Warum nicht überall? "Es hat nicht dieselben tauenden Eigenschaften wie Salz und ist etwa 15-mal so teuer." Wie viel Salz die MA 48 pro Saison verbraucht, schwankt stark: Die Bandbreite reicht von 2.500 bis 20.000 Tonnen.

Der Großteil des Wiener Salzvorrats, rund 45.000 Tonnen, ist in einer Lagerhalle am Hafen Freudenau gelagert.
Foto: Hafen Wien

Das Streuen werde die MA 48 in Zukunft mehr beschäftigen als das Schneeräumen, ist Kuba überzeugt. "Wien bekommt Hamburg-ähnliches Wetter: Es gibt wenig Schnee, aber unheimlich viele Eistage."

Schlitterfahrt

Dabei würde Lenker Suppan den Pflug gern öfter verwenden: "Wer spielt nicht gern mit Schnee?" Zu unterschätzen sind die Einsätze auf den weißen Straßen allerdings nicht. Denn es liegt in der Natur der Sache, dass Suppan und seine Kolleginnen und Kollegen mit den tonnenschweren Lastwagen auf ungeräumtem Terrain unterwegs sind. Suppan nimmt es gelassen: "Man muss halt an die Verhältnisse angepasst fahren."

Er habe sich mit seiner Arbeit bei der MA 48 einen Kindheitstraum erfüllt, erzählt Suppan. "Wir sind eine Unterstützung für die Bürger. Das hab ich schon als Bub cool gefunden." Heutigen Kindern gehe es mitunter ähnlich: "Die winken mir oft." Im Sommer lenkt Suppan Müllwagen oder Kehrmaschinen. Weiteres Betätigungsfeld für die Winterdienstler: der Transport von Biomüll, der in den warmen Monaten – Stichwort Grünschnitt – wieder mehr anfällt.

"Wer spielt nicht gern mit Schnee?", fragt Räumfahrzeuglenker Thomas Suppan.
Foto: Helena Lea Manhartsberger

Wie viel Personal an Wintertagen hinausgeschickt wird, hängt vom Wetter ab. Über den Tag verteilt, bekommt die MA 48 sechs Prognosen – von der ZAMG und vom Flughafen Schwechat. Ergänzt werden diese mit eigenen Messungen: An elf Stellen in Wien zeichnen Bodensensoren die Witterung auf.

So lässt sich ziemlich genau abschätzen, wie glatt oder verschneit die Straßen in welchen Stadtteilen am nächsten Morgen sind. Ein kleiner Überraschungseffekt ist aber immer dabei: "Ein halbes Grad kann ausschlaggebend sein", sagt Kuba.

Private Hilfe per SMS

Je nach Witterung gibt es bei der MA 48 mehrere Eskalationsstufen. Mit 15 Großfahrzeugen können die Fahrbahnen in Höhenlagen, allen voran die Höhenstraße, und die eisanfälligen Brücken betreut werden. Mit 53 weiteren können sämtliche großen Straßenzüge abgedeckt werden – wobei die Stadtautobahnen der Asfinag überlassen sind. Jedes dieser insgesamt 68 Fahrzeuge braucht drei bis vier Stunden, um wieder zu seinem Ausgangspunkt zurückzukommen – und bei Bedarf von vorn zu beginnen.

Thomas Suppan ist seit sechs Jahren bei der MA 48. Wenn er nicht mit dem Räumfahrzeug unterwegs ist, fährt er Müllwagen, Waschwagen oder Kehrmaschinen.
Foto: Helena Lea Manhartsberger

Schneit es stark, wird diese Umlaufzeit halbiert: Dann aktiviert die MA 48 per SMS private Räumdienste. Dazu kommen 150 kleine Fahrzeuge, die kleinere Straßen, Gassen und Radwege betreuen, sowie Schneeschauflerinnen und Schneeschaufler.

Nur eingeschränkt zuständig ist die MA 48 für Gehsteige: Sie sind grundsätzlich Sache der Liegenschaftseigentümerinnen. Ist das, wie bei Kindergärten, die Stadt, kann der MA 48 diese Aufgabe zukommen. Obendrein kümmert sie sich überall dort um Gehsteige, wo es keine Anrainerinnen gibt – etwa entlang von brachliegenden Flächen. Und vor der eigenen Türe kehren, das muss sie natürlich auch. (Stefanie Rachbauer, 19.1.2023)