Emmanuel Macron kam Kylian Mbappé sehr nahe.

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Auch für Trainer Didier Deschamps gab es kein Entkommen.

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Es ist ein wahrer Spruch: "Man soll den Sport nicht politisieren." Gewiss, was der französische Präsident Macron zum WM-Auftakt deklariert hatte, bezog sich auf die Boykottaufrufe gegen das Weltturnier in Katar. Man könnte es aber auch auf jene Politiker münzen, die versuchen, aus dem Erfolg ihres Nationalteams Kapital zu schlagen. Gemeint ist nicht der argentinische Präsident Alberto Fernandez, der nicht zum Finalspiel nach Doha reiste, um Messis Mannen, wie er andeutete, vor Unglück zu verschonen.

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DER STANDARD

Nein, gemeint ist Macron selbst. Frankreichs agiler Staatschef reiste nicht nur ans Final in Doha, er begab sich nach dem Spiel gleich noch auf den grünen Rasen, um Kylian Mbappé zu trösten. Dann hielt er den "Bleus" in ihrer Kabine vor laufenden Kameras einen ellenlangen, aber letztlich nichtssagenden Diskurs von der Art: "Ich bin stolz auf euch."

Das war gar etwas viel der präsidialen Vereinnahmung für die persönlichen und damit politischen Zwecke. Obwohl die Funktion des Staatschefs in Frankreich etwas Sakrosanktes hat, hagelt es Kritik in den TV-Talkshows und Sportkanälen. Macrons Verhalten sei "übertrieben", "deplatziert", heißt es. "Sein Platz ist nicht auf dem Fußballfeld", meinte der Sportberater Marc Libbra.

Zweimal Paris–Doha und zurück

Macron, der zweimal nach Doha jettete, um die Blauen zu "unterstützen", hatte zuvor sogar die Präsentation seiner hochumstrittenen Rentenreform von Mitte Dezember auf Jänner vertagt. Zuvor wollte er noch vom WM-Bonus profitieren. Modell stand ihm Ex-Präsident Jacques Chirac, dessen Popularität beim ersten WM-Titel Frankreichs 1998 um 15 Prozent hochgeschnellt war. Bloß hat es Macron nun übertrieben. Seine langatmigen Auftritte vor 24 Millionen französischen TV-Zuschauern – Rekord für Frankreich – wirkten nicht spontan wie bei Chirac, sondern einstudiert, künstlich, allzu kalkuliert. Macron wird zweifellos nicht von einer länger anhaltenden Hausse seiner Popularität profitieren. Vielleicht wird er nach seinem bemühten Auftritt sogar Beliebtheitspunkte einbüßen.

Das wäre die Rache des Fußballs. Die Königsdisziplin aller Sportarten hat am Sonntag eines der spannendsten, umwerfendsten, emotionalsten Finalspiele überhaupt geboten. Wer da nicht mitfieberte, war selber schuld. Aber die Botschaft dieses großargigen Finales war auch: Politische Trittbrettfahrer sind unnötig und auch nicht erwünscht.

Politische Vereinnahmung

Die Fifa, die Katar-Lobby und andere haben das Umfeld dieser Sportart korrumpiert; auch Macrons Vorvorgänger Nicolas Sarkozy hatte sich auf sehr obskure Weise für die WM-Vergabe an Katar eingesetzt. Die Essenz und die Magie des Fußballs konnten sie nicht zerstören. Dennoch wurde die politische Vereinnahmung in Katar auf die Spitze getrieben: Messi erhielt ein arabisches Gewand umgehängt, und Mbappé musste sich der aufdringlichen Umarmungen seines Präsidenten erwehren.

Nützlich wäre vielleicht ein kleines Schild an den Umkleidekabinen: "Politiker unerwünscht". Selbige können dafür über die sehr richtige Feststellung sinnieren: Sport soll wirklich nicht politisiert werden. Wer es trotzdem tut, wird – wie jedenfalls der abergläubische Präsident Argentiniens glaubte – von den Fußballgöttern bestraft. Wer weiß, haben die Bleus am Sonntag vielleicht deshalb verloren? (Stefan Brändle aus Paris, 20.12.2022)