Helfer der Royal National Lifeboat Institution (RNLI) bringen im Ärmelkanal gerettete Migranten an der englischen Küste an Land.

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Asylbewerber ohne jedes Verfahren aus Großbritannien nach Ruanda abzuschieben ist rechtmäßig, individuelle Fälle müssen aber überprüft werden. Mit diesem Urteil hat der Londoner High Court am Montag eine hochumstrittene Maßnahme der konservativen Regierung von Premierminister Rishi Sunak bestätigt, gleichzeitig aber Innenministerin Suella Braverman weitere Hausaufgaben aufgegeben. Die Labour-Opposition hält den Plan für "unausführbar, unethisch und total überteuert".

Das Gericht hatte bereits im Frühjahr dem Plan grundsätzlich zugestimmt. Den Abflug eines bereits gecharterten Fliegers in das zentralafrikanische Land verhinderte im Juni eine einstweilige Anordnung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. Da die Brexit-Insel weiterhin dem Europarat angehört, behält der EGMR seine Zuständigkeit. Man werde sich auch in Zukunft an die Straßburger Schiedssprüche halten, teilte Kabinettsminister Oliver Dowden am Wochenende mit.

Widerstand geht weiter

Die Entscheidung des High Court betraf zwei unterschiedliche Klagen. Den grundsätzlichen Einspruch mehrerer Menschenrechtsgruppen wiesen die beiden Richter ab: Wer auf "irregulärem Weg", also nicht mittels eines der anerkannten Regierungsverfahren, auf die Insel komme und dort Asyl beantrage, dürfe nach Ruanda abgeschoben werden. Dies widerspreche weder der UN-Flüchtlingskonvention noch heimischen Gesetzen, urteilte das Duo. Die "Enttäuschung" werde den Widerstand nicht beenden, kündigten die Organisationen an: "Wir kämpfen weiter gegen diese brutale und feindselige Politik."

Zielgruppe sind den Regierungsplänen zufolge vor allem alleinreisende junge Männer, die seit mehreren Jahren vermehrt mit Schlauchbooten den Ärmelkanal überqueren. In diesem Jahr sind bereits mindestens 44.000 Menschen auf diesem Weg ins Land gekommen. Den Schlepperbanden müssen sie dafür zwischen 3000 und 7000 Euro pro Person bezahlen; erst vergangene Woche starben vier Menschen, als ihr Boot kenterte.

Das Königreich nimmt auf offiziellem Weg Flüchtlinge aus Hongkong, der Ukraine und Afghanistan auf. Unter den "illegal" Ankommenden waren dennoch viele Afghaner, zudem Iraner und Menschen aus Ostafrika, vor allem dem Sudan. Viele von ihnen erhalten derzeit nach häufig jahrelanger Ungewissheit am Ende doch politisches Asyl.

"Partnerschaftsvertrag"

Das Vorhaben der Regierung ist durch einen "Partnerschaftsvertrag" mit Ruanda abgesichert. Für die Anlaufphase bezahlte London umgerechnet knapp 140 Millionen Euro, später sind Zahlungen von jährlich etwa 1,6 Milliarden Euro vorgesehen. Die Deportierten würden dort einer rechtlichen Prüfung unterzogen und gegebenenfalls dauerhafte Ansiedlungsrechte erhalten. Die Rückkehr nach Großbritannien wäre ausgeschlossen.

Eine gleichzeitige Klage von acht Migranten, die für den ersten Abschiebungsflug vorgesehen waren, nahm das Gericht zum Anlass, dem Innenministerium eine neuerliche Prüfung der individuellen Umstände aufzuerlegen.

Erst im Jänner wollen die Richter entscheiden, ob gegen ihre Entscheidung Berufung eingelegt werden kann. Notfalls könnten die Betroffenen auch eine Sprungrevision zum Supreme Court anstreben. Deportationsflüge nach Ruanda würde es deshalb frühestens im Sommer 2023 geben.

Im November erst hatte Großbritannien ein neues Abkommen mit Frankreich unterzeichnet. Mit üppigen Zahlungen aus London sollen mehr Polizisten entlang der Kanalküste patrouillieren, zudem werden Aufklärungsdrohnen angeschafft.

Radikale Vorschläge

Einwandererkind Sunak steht wegen der gesamten Einwanderungspolitik im Kreuzfeuer. Um die Flanke gegen Rechtspopulisten wie Nigel Farage abzusichern, machen in der Regierungspartei immer radikaler werdende Vorschläge die Runde. Neben der Deportation nach Afrika ist auch von dauerhafter Internierung ohne Verfahren die Rede. (Sebastian Borger aus London, 19.12.2022)