Das kann es nicht gewesen sein, sagt Werner Fischer, ein pensionierter Betriebswirt, über die Arbeit im Klimarat – jener Bürgerinnenversammlung, die in der ersten Hälfte dieses Jahres Empfehlungen für die österreichische Klimapolitik ausgearbeitet hat.

Im Juni überreichte sie der Regierung ein Dokument mit 93 Forderungen. Jetzt wollen die Bürgerinnen und Bürger Druck für deren Umsetzung machen und haben sich in einem Verein organisiert. "Wenn wir als Einzelpersonen bei den Ministerien nachfragen, was aus unseren Empfehlungen geworden ist, haben wir weniger Gewicht. Im Verein treten wir gemeinsam auf", so Fischer.

93 Ideen haben die Mitglieder des zufällig zusammengewürfelten Klimarats.
Illustration: Fatih Aydogdu

Es war ein demokratiepolitisches Experiment für Österreich: Über sechs Wochenenden trafen sich 88 Personen, die zufällig ausgewählt worden waren, um Reformen vorzuschlagen, mit denen Österreich seinen Teil dazu beitragen soll, die Erderhitzung zu stoppen. Ein wissenschaftlicher Beirat begleitete die Treffen, gab Inputs und lieferte die Studien als Basis für die Entscheidungen.

Bodenversiegelung stoppen

Dazu teilte sich der Rat in fünf Gruppen auf, die zu den Bereichen Energie, Mobilität, Wohnen, Produktion und Konsum sowie Landnutzung und Ernährung berieten. Anschließend wurde im Plenum über die dort ausgearbeiteten Empfehlungen abgestimmt. Zu den 93 Ergebnissen zählt unter anderem die Reduktion des Energieverbrauchs, eine verpflichtende Reparierbarkeit von Produkten, die Schaffung von Grundlagen für den Humusaufbau sowie der Stopp der Bodenversiegelung.

Zu Letzterem fordert der Klimarat, die Raumordnungskompetenz mit Anfang 2024 weg von den Gemeinden hin zum Land zu verlagern – so wie es auch heute schon in der Schweiz und in Bayern gehandhabt wird. Das soll Interessenkonflikte verhindern und auf Bürgermeisterinnen und Bürgermeister für die Neuwidmung minimieren, argumentiert der Klimarat.

Eine Vertreterin des Klimarats überreicht die Empfehlungen.
Foto: Imago/Michael Indra

"Etwa zwei Drittel der Forderungen sind im jetzigen System relativ leicht umsetzbar. Ein Drittel ist disruptiv", erklärt Patrick Scherhaufer von der Universität für Bodenkultur Wien, Teil des Evaluationsteams zum Klimarat. Zu diesen disruptiven Forderungen zählt er unter anderem den Stopp der Bodenversiegelung sowie die Flächenwidmung von der Gemeinde- auf die Landesebene zu verlagern. Mit ihnen sende der Klimarat ein klares Signal: Ausreichend über die Konsequenzen der Klimakrise informiert, würden Bürgerinnen und Bürger weitreichende Veränderungen mittragen, so Scherhaufer.

Das sagt auch Werner Fischer: "Es gibt wahrscheinlich keine Teilnehmer des Klimarats, die ihre Sicht nicht vollkommen verändert haben." Besonders wichtig sei gewesen, zusammen mit Menschen außerhalb der eigenen Blase nach Lösungen zu suchen, glaubt er. Die Ausgangssituation der Teilnehmenden sei sehr unterschiedlich gewesen – am Ende konnten sich dennoch alle hinter die gemeinsamen Empfehlungen stellen, sagt der 65-jährige Betriebswirt, der in der Gruppe für Produktion und Konsum mitgearbeitet hat. "Im Klimarat waren alle politischen Lager vertreten. Trotzdem war es kein Problem, Einigkeit zu erzielen", so Fischer. "Umso tragischer ist es, dass in der österreichischen Politik weiterhin kaum politischer Wille erkennbar ist."

Die Antwort der Klimaministerin Leonore Gewessler auf die Empfehlungen des Klimarats sei klar gewesen, dass sie die Übergabe als Beginn sehe und möglichst viel umsetzen wolle, so Fischer. "Aber klar war eben auch: Viele stehen auf der Bremse."

So gingen die zuständigen Ministerien in einer 130-seitigen Antwort zwar sehr detailliert auf die Forderungen des Klimarats ein, doch blieben sie an anderer Stelle ausweichend, ihnen seien bei so mancher Forderung die Hände gebunden. Etwa antwortete das Klimaministerium sowohl auf die Empfehlung zum Stopp der Bodenversiegelung als auch zum Grundrecht auf Klimaschutz, dass für die nötige Verfassungsänderung derzeit die Zweidrittelmehrheit im Parlament fehle.

Klimarat institutionalisieren

Der Klimarat-Verein wolle jetzt Druck aufbauen, kündigt Fischer an. Dazu soll zunächst eine weitere Gesprächsrunde mit allen Fraktionen organisiert und eine parlamentarische Behandlung für die 93 Empfehlungen eingefordert werden, sagt er. Auch sei es ein Ziel des Vereins, möglichst viele Bürgerinnen und Bürger in Österreich zu erreichen. "Wären alle Menschen so umfassend informiert über die Folgen der Erderhitzung, stünden wir heute schon ganz woanders", glaubt Fischer.

Auch der Transformationsforscher Daniel Hausknost von der Wirtschaftsuniversität Wien nennt den Klimarat eine "enorme Chance", die stark ausgebaut und im politischen System verankert werden müsse. Auf dem Weg zu einer klimagerechten Gesellschaft stünde die repräsentative Demokratie vor enormen Herausforderungen. "Die repräsentative Demokratie war sehr gut darin, das Wachstum zu managen. Jetzt, wo es um die Veränderung des Systems und die Abkehr vom Wachstumsmodell geht, ist sie überfordert", sagt Hausknost und verweist auf die Gelbwestenbewegung in Frankreich 2019. Verantwortliche Entscheidungsträgerinnen und -träger könnten die nötigen Schritte kaum selbst verantworten.

Partizipative Demokratieformen könnten dabei ein Stück weit Abhilfe schaffen, wenn auch unwahrscheinlich sei, dass Bürgerinnen und Bürger all jene Maßnahmen mehrheitlich befürworten würden, die für eine effektive Klimawende notwendig wären. "Dennoch, der Klimarat zeigt, dass Bürgerinnen und Bürger zu weit mehr Transformation bereit sind, als das repräsentative System von sich aus zulassen würde", sagt der Wissenschaftler.

Europaweiter Versuch

Ähnliche Modelle gibt es bereits in ganz Europa. Als Vorbild für den österreichischen Klimarat dienten jene aus Frankreich und Großbritannien, sagt Scherhaufer aus dem Evaluationsteam. Aus Frankreich habe man etwa Anleitungen für den partizipativen Prozess übernommen. Dort sei bereits einiges umgesetzt worden oder kurz davor – wie zum Beispiel das innerfranzösische Flugverbot, das Bürgerinnen und Bürger gefordert hatten. Vom britischen Modell habe man sich hingegen die starke Einbindung der Forschung abgeschaut, erzählt der Politikwissenschafter weiter.

Die starke Einbindung der Wissenschaft findet sich auch beim deutschen Pendant. Doch im Unterschied zu Österreich wurde der Prozess dort nicht von oben, von der Regierung angestoßen, sondern durch den Verein BürgerBegehren Klimaschutz sowie von Scientists for Future. Das Ergebnis war ein Bürgergutachten mit dem Auftrag an die Politik, das 1,5-Grad-Ziel ernst zu nehmen.

Ein Vorbild für die Zukunft solcher Versammlungen sieht Scherhaufer in Ostbelgien: Dort gibt es ein ständiges Bürgerinnengremium, das Versammlungen einberufen kann.

Für Kontinuität will auch der Klimarat mit seinem Verein sorgen. "Unsere Empfehlungen dürfen nicht in der Schublade verschwinden", so der Klimarat-Teilnehmer Fischer. (Alicia Prager, 20.12.2022)