Martin Kusej zieht seine Bewerbung für eine zweite Amtszeit am Burgtheater überraschend zurück.

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Die Diskussion über die Burgtheater-Ausschreibung war in diesem Herbst so heiß wie selten zuvor. Nun tritt Direktor Martin Kušej die Flucht nach vorne an und zieht überraschend seine Bewerbung in einem schriftlichen Statement zurück.

Darin heißt es: "Meine Person und das gesamte Burgtheater wurden durch den späten und langwierigen Entscheidungsprozess zur Zukunft der Burgtheaterdirektion in eine unsägliche, das Haus schädigende Situation manövriert. Grundlage für die Zukunft meiner Arbeit als Direktor über meinen laufenden Vertrag hinaus ist uneingeschränktes Vertrauen vonseiten des Eigentümers. Dies ist offensichtlich nicht gegeben, daher ziehe ich meine laufende Bewerbung zur Fortsetzung meiner Direktion mit sofortiger Wirkung zurück."

Die neue Leitung soll schon am Mittwoch um 11 Uhr bei einer Pressekonferenz bekanntgegeben werden, so ein Aviso der Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne). Kušej werde seinen laufenden Vertrag erfüllen und auch in der kommenden und damit letzten Saison 2023/24 dem Hauses vorstehen, hieß es auf Nachfrage.

Ausschreibung war notwendig

Kušej steht dem österreichischen Nationaltheater seit der Spielzeit 2019/20 vor. Eine Ausschreibung war gemäß dem Bundestheaterorganisationsgesetz notwendig geworden. Der Direktor hatte seine Wiederbewerbung bereits im Frühsommer angekündigt. Mit kritischen Tönen zu seiner bisherigen Amtszeit brachte die Kulturstaatssekretärin das Feld möglicher weiterer Anwärterinnen und Anwärter über den Sommer hinweg in Bewegung und hat so den Druck auf Kušej erhöht.

"Neue Richtungen und Ästhetiken suchen, den üblichen Mainstream verlassen und mich noch einmal einem gewissen Risiko aussetzen": Mit diesem Vorsatz war der Kärntner Slowene, der 2004 bis 2006 Schauspieldirektor der Salzburger Festspiele war und von 2011 bis 2019 das Münchner Residenztheater leitete, am Burgtheater angetreten, um ein "adäquates, zeitgemäßes Programm" zu bieten, das der Diversität der Stadt gerecht werde. Verschiedene kulturelle und sprachliche Hintergründe sollten im Ensemble und im Spielplan für eine buntere Mischung sorgen: weg vom Nationaltheater, hin zu Weltoffenheit. Dem eigenen Anspruch wurde man in der Folge jedoch nur teilweise gerecht.

Müdes Lockdown-Programm

Mit der Premiere von Euripides' "Die Bakchen" in der Inszenierung von Ulrich Rasche startete Kušej seine Direktion. Seine erste Wiener Neuinszenierung galt Kleists "Hermannschlacht". Sie wurde von der Kritik ebenso verhalten aufgenommen wie Kušejs "Wiederbegegnung" mit Theo van Goghs "Das Interview" nach elf Jahren, die er im Februar 2020 im Akademietheater als Ersatz für eine kurzfristig abgesagte Inszenierung Kornel Mundruczos herausbrachte. Die von Kušej selbst inszenierte Eröffnungspremiere 2020/21, Calderóns "Das Leben ein Traum", fand unter Corona-Bedingungen mit reduziertem Publikum statt.

In den Monaten des Lockdowns wurde der Burgtheaterdirektor nicht müde, auf die vorhandenen Sicherheitskonzepte hinzuweisen und von der Politik Planbarkeit einzufordern. Als alle Bühnen wieder öffnen durften, blieb jedoch ausgerechnet die Spielstätte Burgtheater monatelang wegen Umbaus geschlossen. Während viele deutschsprachige Theater Aufführungen streamten oder alte Aufzeichnungen aus dem Archiv holten und die Staatsoper mit dem ORF Vorstellungen und Premieren im leeren Haus für das TV-Publikum spielte, nahmen sich die Aktivitäten des Burgtheaters vergleichsweise bescheiden aus.

Einige spezielle Programme, Lesungen und die schließlich beim "Nestroy" für einen Corona-Spezialpreis nominierte "Wiener Stimmung" mit neuen Texten waren alles, was das Haus zu bieten hatte. Mehrfach erklärte Kušej, kein Freund des Streamens von Aufführungen zu sein, da das Theater den Live-Charakter brauche.

Einige Höhepunkte

Die Saisonen 20/21 und 21/22 brachten einige Höhepunkte. Barbara Frey überzeugte mit Anna Gmeyners "Automatenbüfett", mit dem die mit Maria Lazar begonnene Serie an Autorinnen-Wiederentdeckungen fortgesetzt wurde, Frank Castorf brachte innerhalb kurzer Zeit mit großer Geste sowohl Jelinek als auch Handke auf die Bühne, mit "Adern" der jungen Lisa Wentz gab es eine überzeugende Uraufführung, Simon Stone blieb Garant für spannende Neuschreibungen klassischer Stoffe.

Zuletzt geriet Kušej immer stärker unter Druck: Das Volkstheater unter Kay Voges schien nach ebenfalls holprigem Start besser Tritt zu fassen und brachte einige Produktionen heraus, die deutlich frischer und ästhetisch innovativer wirkten. Im Haus mehrten sich kritische Stimmen zu Führungsstil und mangelnder Präsenz des Direktors. Einige Abgänge aus dem Ensemble und der Chefetage brachte man damit in Zusammenhang.

Kušej selbst, zuletzt als Regisseur der Kehlmann-Uraufführung "Nebenan" erstaunlich konventionell, wies dies "aufs Schärfste zurück": "Die Stimmung ist supergut hier." Ein hausinterner Aufruf an seine Belegschaft, der medial "falschen Darstellung" öffentlich entgegenzutreten, blieb jedoch ohne Reaktion.

Neue Direktion

Für die künstlerische Geschäftsführung des Burgtheaters ab 1. September 2024 sollen sich 15 namhafte Personen beworben haben, darunter bemerkenswert viele Frauen, wie vielfach kolportiert wurde. Ein gutes Drittel der Kandidatinnen und Kandidaten wurde Ende November zu Hearings eingeladen.

In den vergangenen Wochen war heftig über mögliche Kušej-Nachfolgerinnen spekuliert worden. Als Name wurde zuletzt immer wieder Anna Bergmann ins Spiel gebracht. Die 44-jährige Deutsche ist seit 2018 Schauspieldirektorin in Karlsruhe und hatte damals mit der Ansage für Aufsehen gesorgt, nur Frauen inszenieren lassen zu wollen (ein Diktum, das allerdings nicht mehr gilt, Anm.).

2011 arbeitete sie als Regisseurin im Kasino am Schwarzenbergplatz, 2013 am Akademietheater. In den vergangenen Jahren hat sie am Theater in der Josefstadt "Fräulein Julie", "Madame Bovary" und Jelineks "Rechnitz (Der Würgeengel)" inszeniert. Zuletzt hatten Medien berichtet, neben Kušej wären noch eine Frau und ein Mann in der Schlussrunde, beide nicht aus Österreich. Ebenfalls genannt wird Stefan Bachmann, derzeit Intendant in Köln. Der Schweizer Regisseur hat dank zahlreicher Inszenierungen am Haus Burgtheater-Erfahrung. (afze, APA 20.12.2022)