Natalia und Dmytro sitzen am Küchentisch in einem kleinen Haus in Niederösterreich. Auf der Bank räkelt sich ein langhaariger Kater, am Küchenfenster Richtung Garten flitzt ab und zu eine Schäferhündin vorbei. Eine Alltagssituation, die auf den ersten Blick nichts Besonderes an sich hat.

Doch gemeinsam am Tisch zu sitzen ist für das Ehepaar mehr als besonders. Natalia und Dmytro haben hinter sich, was sich die wenigsten vorstellen können. Im Februar 2022 marschierten russische Soldaten in ihre Heimatstadt Cherson in der Ukraine ein. Natalia konnte flüchten, Dmytro musste bleiben. Erst seit wenigen Wochen sind die beiden wieder vereint.

Seit fast 14 Jahren sind Dmytro und Natalia ein Paar.
Foto: privat

Ein Protokoll über die Liebe im Krieg:

Dmytro:

Als die russische Invasion startete, bin ich um fünf Uhr Früh wegen einer Explosion aufgewacht. Ich habe Natalia gesagt, es seien die Nachbarn, die Lärm machen würden. Aber mir war klar, dass das nicht gestimmt hat. Tagsüber haben wir Helikopter gesehen, die tief über dem Dnepr-Fluss geflogen sind. Unsere Heimatstadt Cherson wurde direkt von Russland besetzt. Ich habe darauf bestanden, dass Natalia die Ukraine verlässt – anfangs hat sie sich ja geweigert, weil sie sich ihr Leben ohne mich nicht vorstellen konnte.

Das Ehepaar lebte in der Hafenstadt Cherson.
Foto: privat

Natalia:

Es war sehr schwierig, zu gehen und Dmytro im besetzten Cherson zurückzulassen. Wir sind seit fast 14 Jahren zusammen – am Valentinstag 2009 haben wir uns kennengelernt. Aber schließlich haben wir entschieden, dass ich gehen sollte. Also bin ich mit Hund und Katze an einen sicheren Ort gegangen. Meine Mutter lebt in Wien, also kam ich im März auch nach Österreich.

Mit Dmytro konnte ich während unserer Trennung meistens Kontakt halten – aber nicht immer. Gerade dann hatte ich große Angst um ihn. Als Mann kann dir im Krieg alles passieren. Die russischen Militärs hätten jederzeit wer weiß was mit ihm machen können. Ende Mai gab es eine Woche lang einen kompletten Netzausfall. Eine ganze Woche lang hatten wir keine Verbindung zueinander. Ich wusste nicht, was in Cherson los war. Ich wusste nicht, wie es Dmytro geht.

Die beiden bereisten die Krim 2009 – über die Halbinsel gelang Dmytro auch die Ausreise.
Foto: privat

Dmytro:

Die mobile Internetverbindung wurde komplett gekappt. Selbst in Cherson konnte ich nur bei den Nachbarn an die Tür klopfen. Das war die einzige Möglichkeit, mit irgendjemandem Kontakt aufzunehmen. Das war psychisch sehr herausfordernd. Die Menschen in Cherson sammelten sich an gewissen Plätzen, an denen es Empfang gab. Jeder rief irgendjemanden an, um zu sagen: "Es geht mir gut!" Aus irgendeinem Grund habe ich in dieser Zeit nicht wirklich an mich selbst gedacht. Ich habe eher an die Zukunft gedacht. Wir haben zusammen Pläne geschmiedet, davon geträumt, wieder zusammen zu sein. Von einem neuen, modernen Haus am Meer, ins Grüne ragend ...

Natalia:

Ich habe versucht zu verdrängen, dass ich Dmytro nie wiedersehen könnte. Natürlich machte ich mir große Sorgen um ihn, aber ich wusste, dass wir irgendwann wieder Seite an Seite zusammen sein würden. Das alles würde enden. Unsere Familie würde wieder ganz sein. Ich bin wahnsinnig froh, dass Dmytro nun hier ist.

Dmytro und Natalia bei einer Bootsfahrt auf dem Dnepr im September 2021.
Foto: privat

Dmytro:

Männer im wehrfähigen Alter können die Ukraine nicht verlassen. Aber da ich in einem besetzten Gebiet war, konnte ich über die Krim nach Russland fahren. Von dort aus bin ich weiter nach Belarus, Litauen, Polen und schließlich nach Österreich gekommen. Eine Woche lang bin ich mit dem Auto durchgefahren. Alleine. Hier angekommen, wurde alles schnell wie früher zwischen Natalia und mir.

Na ja, es hat sich doch einiges verändert – wobei ich weder sagen würde zum Schlechteren noch zum Besseren. Es ist einfach anders. Kleinigkeiten, die uns früher wichtig waren, sind jetzt egal. Wir wurden, wenn ich das so sagen darf, ernster im Umgang miteinander. Und wahrscheinlich auch zärtlicher. Wir sind uns noch näher als zuvor. Wir schätzen uns noch mehr.

Natalia:

Der Krieg hat unsere Sicht auf die Liebe komplett verändert. (Margit Ehrenhöfer, 23.12.2022)