Im Gastblog beschreibt der Astrophysiker Martin Volwerk die verschiedenen "Stationen" auf der Reise zum sonnennächsten Planeten Merkur.

Giuseppe (Bepi) Colombo war Professor für Angewandte Mechanik an der Fakultät für Ingenieurwesen in Padua. Wie es dazu kam, dass eine aktuelle Weltraummission der Esa nach ihm benannt wurde, erzählt dieser Blog.

1. Station: Padua, Italien

Colombo lehrte Schwingungs- und Himmelsmechanik und war maßgeblich an der Planung der ersten Merkur-Mission Mariner 10 beteiligt. Auf Einladung des Jet Propulsion Laboratory (JPL) der Nasa nahm Colombo 1970 an einer Konferenz teil, bei der er seine Berechnungen der Flugbahn der Merkursonde präsentierte. Diesen zufolge könne das Raumschiff mithilfe eines sogenannten Swing-by-Manövers an der Venus mehr als einmal am Merkur vorbeifliegen.

Bepi Colombo war Wegbereiter für den unbemannten Flug zum Merkur.
Foto: ESA

Weitere Untersuchungen von JPL bestätigten, dass der Satellit sechs Monate nach dem ersten Vorbeiflug wieder bei Merkur ankommen würde, wenn man den Swing-by an der Venus exakt berechnen würde. Und so geschah es: Mariner 10 startete am 3. November 1973, flog am 5. Februar 1974 an der Venus und letztendlich dreimal – am 19. März und 21. September 1974 und am 15. März 1975 – am Merkur vorbei.

Flugbahn von Mariner 10 vom Start bis zum ersten Merkurvorbeiflug am 29. März 1974.
Foto: JPL/NASA

Als Mariner 10 am Merkur vorbeiflog, arbeitete Colombo schon an seinem nächsten Projekt: dem sogenannten Space Tether. Hierbei handelt es sich um ein Seil, das für Antrieb, Impulsaustausch, Stabilisierung und Lagekontrolle beziehungsweise zur Aufrechterhaltung der relativen Positionen der Komponenten eines großen verteilten Satellitensystems in Planetennähe verwendet werden kann.

Für die Stabilisierung und richtige Ausrichtung des Raumfahrzeugs werden das Gravitationsfeld der Erde und die Gezeitenkräfte verwendet. Da die Schwerkraft mit dem Quadrat der Distanz von der Erde abnimmt, kann man durch die Verlängerung des verbindenden Seils bewirken, dass der untere Teil stärker von der Erde angezogen wird als der obere. Dabei steht das Seil senkrecht zur Umlaufbahn des Satelliten. Kleine Störungen in der Ausrichtung werden somit schnell korrigiert, weil der Satellit dazu neigt, seine Achse mit dem geringsten Trägheitsmoment senkrecht auszurichten.

Der Tether stabilisiert nicht nur den Satelliten, sondern kann auch die Energie für die Instrumente an Bord liefern. Falls das Seil aus einem leitfähigen Material besteht, wird durch die Bewegung des Seils und durch das Magnetfeld der Erde ein elektrisches Feld induziert, das – ähnlich wie bei einem Elektromotor – elektrischen Strom erzeugt.

Beim Nasa-Experiment TiPS sind die Satelliten mit einem vier Kilometer langen Seil verbunden.
Foto: NRL SED

2. Station: Merkur, Sonnensystem

Am 23. Juni 2022 raste das europäisch-japanische Doppelraumschiff Bepi Colombo – zum zweiten Mal – mit etwa 75.000 Kilometern pro Stunde am Merkur vorbei. Noch vier weitere Male wird dies notwendig sein, um die endgültige Umlaufbahn um den Planeten zu erreichen.

European Space Agency, ESA

Bepi Colombo besteht aus drei unterschiedlichen Teilen, die derzeit gemeinsam in Richtung Merkur unterwegs sind: dem magnetosphärischen Orbiter Mio, der von der japanischen Weltraumbehörde Jaxa geliefert wurde, dem planetaren Orbiter MPO der Europäischen Weltraumorganisation und einem Antriebsmodul namens Mercury Transfer Module (MTM). Erst wenn das Raumschiff am Ziel angekommen ist, werden die drei Teile voneinander getrennt und auch der Hitzeschild, der Mio jetzt noch schützt, entfernt, damit alle wissenschaftlichen Instrumente problemlos arbeiten können.

European Space Agency, ESA

Die zwei Sonden Mio und MPO werden in unterschiedliche elliptische, polare Umlaufbahnen gebracht. Mio wird Merkurs Magnetosphäre erforschen, MPO wird den Planeten selbst beobachten. Mios Bahn (590 Kilometer periherm und 1.1640 Kilometer apoherm) hat eine Umlaufzeit von 9,3 Stunden, MPO umkreist Merkur auf einer engeren Bahn (480 Kilometer und 1.500 Kilometer) mit einer Umlaufzeit von 2,3 Stunden.

MPO auf einer kreisförmigen und Mio auf einer stark elliptischen Bahn um den Merkur.
Foto: ESA - C. Carreau

3. Station: Graz, Österreich

Mit Bepi Colombo erforschen zum ersten Mal zwei speziell entwickelte Satelliten gleichzeitig einen anderen Planeten als die Erde. Im perfekten Teamwork werden die beiden Raumsonden Merkur, seine Umgebung und seine Wechselwirkung mit dem Sonnenwind untersuchen und den Forschenden am Grazer Weltrauminstitut (IWF) viele neue wissenschaftliche Daten liefern.

Eines der Hauptziele der Mission ist es, ein besseres Modell von Merkurs internem Magnetfeld zu bekommen. Zuerst war es eine große Überraschung, dass Merkur überhaupt ein Magnetfeld besitzt. Man hatte angenommen, dass der Planet zu klein sei, um einen flüssigen, metallischen Kern zu haben. Bei unserer Erde wird in so einem Kern durch Konvektion ihr internes Magnetfeld erzeugt.

Aus den Magnetometerdaten, die während des Vorbeiflugs von Mariner 10 gewonnen wurden, wurde klar, dass Merkur ein Magnetfeld besitzt.

Magnetometerdaten von Mariner 10.
Foto: Ness et al., Science, 185, 151-160, 1974

Das Bepi-Colombo-Team am IWF Graz forscht an folgenden drei Themen:

1) Magnetfeld

Mit den Daten von Mariner 10 und Messenger wurde das interne Magnetfeld vermessen, und man kam zu dem Schluss, dass es am besten mit einem Dipol (wie zum Beispiel ein Stabmagnet) beschrieben werden kann, der aber nicht im Zentrum von Merkur, sondern um 480 Kilometer (das entspricht 20 Prozent von Merkurs Radius) in Richtung Norden verschoben ist und eine äquatoriale Stärke von etwa 300 nT (Nanotesla) hat. Die Geschichte hat nur einen Haken: Die Messungen wurden durch Messengers Umlaufbahn sehr beeinflusst ("biased"), da der Satellit viel näher am Nordpol als am Südpol war. Deswegen konnten die höheren Momente des Magnetfelds wohl nicht so gut bestimmt werden. Bei den ersten beiden Vorbeiflügen von Bepi Columbo konnte erstmals auch das Magnetfeld in der südlichen Hemisphäre nahe am Merkur vermessen werden. Die Daten werden gerade analysiert.

2) Exosphäre

Da Bepi Colombo aus zwei Raumsonden in unterschiedlichen Bahnen besteht, kann zum ersten Mal auch Merkurs Wasserstoff-Exosphäre genauer unter die Lupe genommen werden. Vor kurzem hat IWF-Forscher Daniel Schmid unter Verwendung von Messenger-Daten gezeigt, dass man anhand von Magnetfelddaten auch die lokale Dichte der Teilchen innerhalb der Exosphäre bestimmen kann. Dazu werden sogenannte Protonzyklotronwellen untersucht. Diese Wellen im Weltraumplasma entstehen, wenn atomarer Wasserstoff durch die solare UV-Strahlung ionisiert wird und die dabei generierten Protonen aufgrund der Lorentzkraft beginnen, sich um das Magnetfeld zu drehen. Anhand der Magnetfeldmessung der Amplitude kann man die freie Energie der neu ionisierten Wasserstoffatome ermitteln. Diese zusätzliche Energie regt Wellen im Plasma an, woraus man die dafür notwendigen Protonendichte abschätzen kann. Mithilfe der Ionisationsrate kann man aus der ermittelten Protonendichte die entsprechende atomare Wasserstoffdichte berechnen. Die Ergebnisse zeigten, dass die atomare Wasserstoffdichte (H) wesentlich höher ist als ursprünglich angenommen. Außerdem stellte man unter Verwendung numerischer Atmosphärenmodelle fest, dass diese hohe H-Dichte durch Dissoziationsprozesse von molekularem Wasserstoff (H2) erklärt werden kann und auch die H2-Dichte auf der Oberfläche mindestens zwei bis drei Größenordnungen höher ist als bisher angenommen.

An Bord von Bepi Colombo befinden sich Instrumente, die speziell zur Detektion von planetaren Teilchen entwickelt wurden. Mit ihrer Hilfe werden die Berechnungen konkretisiert und damit unser Verständnis von den dynamischen Prozessen, die für die Entstehung der Merkur-Exosphäre verantwortlich sind, verbessert.

3) Teilchenmessung

Die unter der Federführung des Instituts entwickelte Ionenkamera Picam (Planetary Ion Camera) erlaubt insbesondere die Untersuchung der Exo-Ionosphäre auf Zusammensetzung und Ausdehnung sowie dynamische Zusammenhänge innerhalb der merkurnahen Magnetosphäre. Das Teilchen-Messinstrument hat bereits beim ersten Merkur-Vorbeiflug am 1. Oktober 2021, zusammen mit anderen Instrumenten des Serena-Pakets (zum Beispiel MIPA), Messungen auf der Nachtseite des Planeten durchgeführt. Dabei wurden verschiedene Bereiche im Magnetschweif identifiziert, die ihre eigenen Teilchenmerkmale haben und in den Zeit-Energie-Spektrogrammen klar ersichtlich sind. Ähnlich wie bei den Magnetfelddaten zeigen die Teilchen, dass zum Beispiel die Bugstoßwelle sehr nah an Merkur liegt. Serena hat auch ein hoch-energetisches Signal gemessen, das auf die Möglichkeit einer Flussröhre ("flux rope") hindeutet, die sich durch den Magnetschweif bewegt.

Picam und MIPA-Teilchenspektra
Foto: Orsini et al., Nat. Commun., 13, 7390, 2022

4. Station: Kobe, Japan

Ende November fand in Kobe das 22. Bepi Colombo Science Working Team Meeting (SWT) statt. Das IWF war durch Harald Jeszenszky, Gunter Laky, Rumi Nakamura, Yasuhito Narita und Daniel Schmid vertreten. Bei einem SWT wird der "Gesundheitszustand" des Raumschiffs und der Instrumente besprochen, und man diskutiert neue Pläne für die weitere Nutzung der "Cruise Phase", weil nicht alle Messgeräte während der ganzen Zeit eingeschaltet sein können. Schließlich werden auch die Ergebnisse, die aus den bisherigen Daten gewonnen wurden, dem Kollegium präsentiert.

Die IWF-Mitglieder inmitten der Teilnehmenden des Bepi Colombo SWT.
Foto: Go Murakami

Eines der Themen, die in Japan unter anderem erörtert wurden, war das sogenannte Outgassing. Dabei handelt es sich um Gase, die bei der Erwärmung des Satelliten (durch die Sonne oder die Abwärme der Instrumente) freigesetzt werden und die Teilchenmessungen beeinträchtigen können.

Picam hilft mit, diese Gase zu identifizieren und dabei die wissenschaftlichen Ergebnisse zu verbessern.

Am IWF wartet man schon gespannt auf Bepi Colombos nächsten Merkur-Vorbeiflug im Juni 2023 und wertet in der Zwischenzeit die existierenden Daten weiter aus. (Martin Volwerk, 23.12.2022)