Amazon Web Services war wesentlich an der Rettung ukrainischer Regierungsdaten beteiligt.

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Amazon hilft geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainern mit Decken, Hygieneartikeln, Lebensmitteln, Windeln und Spielsachen für Kinder – das ist seit dem Angriff Russlands auf das osteuropäische Land am 24. Februar bekannt. Was aber vielleicht sogar noch wichtiger ist als Amazons Lieferungen in die Ukraine, ist, was der US-Techriese aus dem kriegsgebeutelten Land herausgeschafft hat. Wie aus einem Bericht der "Los Angeles Times" hervorgeht, dürfte Amazon eine maßgebliche Rolle dabei gespielt haben, ukrainische Regierungsdaten, Steuerunterlagen und Besitzurkunden vor russischem Zugriff zu schützen.

Seit Kriegsbeginn bringt Amazon handkoffergroße Speicher ins Land. Diese "Snowball Edge" genannten Boxen sind mit Solid-State-Drives ausgestattet. Die sensiblen Daten werden vor Ort in der Ukraine gesichert, und anschließend werden die "Schneebälle" wieder außer Landes in Sicherheit gebracht. Dort werden die Inhalte der Festplatte in Amazons Cloud hochgeladen.

Digitalisierungsminister spricht von Rettung der Wirtschaft

"Das ist der technologisch fortgeschrittenste Krieg in der Menschheitsgeschichte", sagt Mykhailo Fedorov, Vizepremier und Digitalisierungsminister der Ukraine. Amazon habe einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet, nicht nur die Regierung, sondern auch die Wirtschaft der Ukraine zu retten, sagte der 31-Jährige gegenüber der "Los Angeles Times".

Amazon hat bislang rund 75 Millionen US-Dollar an Hilfe für die Ukraine zugesagt, ein Teil davon wurde für die Datenrettungsaktion verwendet. Mittlerweile wurden rund zehn Millionen Gigabyte an Daten gesichert. Darunter Unterlagen über kritische Infrastruktur und Daten, die für das Funktionieren des Wirtschaftssystems der Ukraine unerlässlich sind, ebenso wie Steuerunterlagen, Aufzeichnungen von Banken sowie Eigentumsurkunden. Vor allem Letztere sollen verhindern, dass während des Krieges Häuser, Geschäfte oder Grundstücke mithilfe Russlands unrechtmäßig den Besitzer wechseln.

"Die Cloud kann man nicht mit einer Cruise-Missile ausschalten", sagt Liam Maxwell von Amazon Web Services (AWS).
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Im Laufe der Geschichte sind Eindringlinge "hereingekommen und haben ein gefälschtes Referendum inszeniert und das Land an ihre Kumpel verteilt", sagte Liam Maxwell, Leiter der Regierungstransformation bei Amazon Web Services, dem Cloud-Computing-Zweig des Unternehmens. "So etwas passiert seit Wilhelm dem Eroberer."

Rettungsplan mit Papier und Bleistift

Maxwell traf sich am Tag des russischen Angriffs mit dem ukrainischen Botschafter in London. Gemeinsam skizzierten sie mit Papier und Bleistift den Plan, die wichtigsten Daten der Ukraine außer Landes zu schaffen. Ein Gesetz, das der ukrainischen Regierung verbot, sensible Dokumente außerhalb des Landes zu speichern, musste geändert werden. Insgesamt waren 27 ukrainische Ministerien, 18 Universitäten und die staatliche Remote-Schule K-12 an der Rettungsaktion beteiligt.

Anfangs wurden die "Schneebälle" in ihren stoßsicheren Containern von Dublin nach Krakau in Polen geflogen, von wo sie von den Ukrainern über die Grenze gebracht wurden. Jede dieser Datenboxen kann 80 Terabyte verschlüsselter Daten speichern. Wohin die Container gebracht werden, ist ein Geheimnis. Anfangs dürfte bei der Datenrettung aber viel Handarbeit erforderlich gewesen sein: "Das waren immer die spannendsten Momente am Gepäckkarussell am Flughafen", verrät Maxwell gegenüber der Zeitung. Sind die Daten einmal im Netzwerk von Amazon, sind sie vor russischem Zugriff sicher. "Du kannst die Cloud nicht mit einer Cruise-Missile ausschalten", so Maxwell.

Amazon hofft auf zukünftige Fachkräfte

Ganz uneigennützig ist die Hilfe von Amazon nicht: Da viele ukrainische Flüchtlinge, aber auch polnische Freiwillige im Umgang mit Amazons Web Services und der Datensicherung ausgebildet werden mussten, hofft das Unternehmen, diese nach dem Krieg als Mitarbeiter gewinnen zu können. Dafür hat Amazon in Polen und anderen Orten in Europa Schulungen im Rahmen des Ausbildungsprogramms "IT Skills 4u" angeboten. Auf der anderen Seite muss man keinen Imageschaden in Russland befürchten: Amazon Web Services war nie in Putins Reich tätig. "Aus Prinzip", wie der Manager sagt.

Laut dem Bericht haben bereits andere Länder Interesse an einer dezentralen Speicherung sensibler Regierungsdaten bekundet. Welche das sind, will man bei Amazon nicht verraten, aber vor allem in Südostasien dürfte das Interesse groß sein, wie sich Maxwell entlocken ließ.

Amazon ist bei weitem nicht das erste große Tech-Unternehmen, das sich mit Hilfsaktionen in der Ukraine engagiert. Auch Microsoft und Google unterstützten das angegriffene Land, etwa indem sie gegen russische Hacker vorgingen oder die Zivilbevölkerung vor Luftangriffen warnten.

Der Artikel wurde am 28.12.2022 überarbeitet und um einen Hinweis auf das Ausbildungsprogramm "IT Skills 4U" ergänzt. Gleichzeitig wurde ein missverständlich formulierter Satz korrigiert. Amazon hat 75 Millionen Dollar an Hilfe für die Ukraine zugesagt, diese wurden nicht allein für das AWS-Programm verwendet. (pez, 21.12.2022)