Die Bewohnerinnen und Bewohner Roms sind den Anblick inzwischen gewohnt: Wildschweine, die in den Abfallbergen rund um die Müllcontainer nach etwas Essbarem suchen. Gelegentlich auch ganze Rotten, die mit ihren Frischlingen auf Hauptstraßen und Gehsteigen im Slalom um Autos, Busse, Fahrräder und Fußgänger herumspazieren.

Für viele Italienerinnen und Italiener kommen die Wildschweine viel zu nah – nämlich bis in die Städte hinein.
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Inzwischen wird die Wildschweinpopulation auf dem Territorium der Ewigen Stadt auf mehrere tausend Exemplare geschätzt – mit den entsprechenden Folgen für die Sicherheit im Straßenverkehr. Auf der Via Cassia, einer der sieben Konsularstraßen Roms, ist bereits ein Motorradfahrer bei einem Zusammenstoß mit einem Wildschwein ums Leben gekommen.

Auch Füchse, Wölfe und Bären im Visier

Damit soll es nun ein Ende haben: Laut dem Antrag eines Abgeordneten von Giorgia Melonis postfaschistischen Partei Fratelli d'Italia soll die Jagd auf Wildtiere künftig auch in Städten erlaubt sein – und zwar überall und das ganze Jahr hindurch. Die Regierung ist mit dem Vorstoß einverstanden.

Erlegt werden dürfen demnach nicht nur Wildschweine, sondern auch Füchse und sogar geschützte Tierarten wie Wölfe und Bären. Letztere treiben ihr Unwesen zwar noch nicht in Rom, aber in ländlichen Gebieten unweit der Stadt. In der beliebten Skistation Roccaraso in den Abruzzen zum Beispiel hat im vergangenen Jahr ein Braunbär dem Laden eines Zuckerbäckers einen Besuch abgestattet, während der offiziellen Öffnungszeiten. In besonders kalten Wintern sind in den südlichen Abruzzen auch schon hungrige Wölfe in Siedlungsgebieten gesichtet worden.

Trotz der nicht zu leugnenden Sicherheitsprobleme hat die geplante Gesetzesänderung bei Tierschützern und bei den Grünen einen Aufschrei des Entsetzens ausgelöst. "Ein Wildwest-Gesetz, das gegen die Verfassung und die Habitat-Richtlinie der EU verstößt", nennt Massimo Comparotto, Präsident des Tierschutzvereins Oipa, die Initiative. Nicht nur geschützte Wildtiere seien gefährdet: "Jedes Jahr zählen wir am Ende der Jagdsaison die Toten und Verletzten unter Jägern und Unbeteiligten. Diese Opferzahlen würden sich multiplizieren, wenn die Safari auch auf Stadtgebiete ausgedehnt wird", betont Comparotto.

Jagdfreigabe als Sicherheitsproblem

Tatsächlich dürften sich viele Römerinnen und Römer bereits fragen, ob sie künftig ihre Müllsäcke nur noch mit einer kugelsicheren Weste zum Container bringen können und ob man es noch wagen könne, im Stadtpark Villa Borghese in den Dämmerstunden joggen zu gehen.

Die Regierung lässt sich von den Protesten freilich nicht beirren: Die Jäger und die Waffenproduzenten zählen zu den treuesten Wählerschichten der italienischen Rechtsparteien. Der neue, postfaschistische Minister für Landwirtschaft, Lebensmittelsouveränität und Forstwesen, Francesco Lollobrigida (er ist verwandt mit der berühmten Filmdiva und gleichzeitig Schwager von Meloni), weist darauf hin, dass es sich bei der "Wildschweinplage" nicht nur um ein Problem der Verkehrssicherheit, sondern auch um eines der öffentlichen Gesundheit handle. Denn die Wildschweine übertrügen die Schweinepest auf die Hausschweine.

Angesichts der im Parlament herrschenden Mehrheitsverhältnisse hat der Vorstoß durchaus Chancen, beschlossen zu werden. Die auf Stadtgebiet erlegten Tiere sollen gemäß Lollobrigida im Übrigen auch für den Verzehr freigegeben werden – natürlich erst nach den entsprechenden Kontrollen durch die Gesundheitsbehörden.

Und so werden, mutmaßt die Zeitung "La Repubblica" ironisch, die Speisekarten der Römer Trattorien und Ristoranti wohl schon bald durch neue lokale Spezialitäten bereichert werden – etwa durch "Arrosto di Cinghiale della Via Appia" – Wildschweinbraten von der Via Appia. Und das zudem "a chilometro zero", also ohne lange Transportwege – und damit vorbildlich ökologisch und nachhaltig. (Dominik Straub, 22.12.2022)