Sie kämpfen um ein Opernhaus: Demo in London.

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"Jauchzet, frohlocket!" Vergangene Woche machte sich das Kammerorchester Britten Sinfonia ums Londoner Musikleben verdient. Denn Bachs berühmtes Oratorium zur Weihnacht wird in der Acht-Millionen-Metropole kaum je aufgeführt; das schlanke Konzert im Barbican Centre bleibt eine absolute Ausnahme in einem Land, in dem viele Musikbegeisterte vor dem Christfest unbedingt Händels Messias hören möchten.

Die allesamt freiberuflich tätigen Musiker und ihr Orchesterdirektor Meurig Bowen jauchzen dieser Tage freilich selten, und nach Frohlocken ist ihnen schon gar nicht zumute. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel ereilte das Ensemble im November eine Hiobsbotschaft: Für die kommenden Jahre hat die zuständige Kulturbehörde Arts Council England (ACE) den Zuschuss von bisher 400.000 Pfund pro Jahr gestrichen. Im Haushalt tut sich damit ein gähnendes Loch von rund 30 Prozent auf. "Wir waren ziemlich perplex über diese Entscheidung", berichtete Bowen in gut englischem Understatement dem "Guardian."

Bis Ende 2026 ohne Staatsgelder

Wie das in Cambridge beheimatete Orchester müssen viele Kulturunternehmen, vor allem im englischen Südosten, für die nächsten Jahre bis Ende 2026 ohne Staatsgelder planen. Zu den Betroffenen zählt in London das Barbican Centre mit seinem großen Konzertsaal, Theatern und mehreren Kinos; es kann sich wenigstens auf Unterstützung der City of London verlassen, wo die milliardenschwere Finanzbranche des Landes angesiedelt ist.

Auf null gestellt werden auch die renommierten Theaterhäuser Donmar Warehouse, Hampstead – wo Berühmtheiten wie Literatur-Nobelpreisträger Harold Pinter, Filmemacher Mike Leigh und Romancier Hanif Kureishi ihre ersten Schritte machten – sowie das Gate Theatre, das erst im Sommer in ein neues Quartier umgezogen war.

Die größten Wellen aber schlägt die Entscheidung gegen eine weitere Subventionierung der English National Opera ENO. Das renommierte Haus, seit 1968 im Londoner Coliseum-Theater beheimatet, soll statt bisher 12,6 Mio. pro Jahr jetzt lediglich noch eine Zahlung von insgesamt 17 Millionen über drei Jahre erhalten, allerdings nur unter einer Bedingung: dem Umzug in eine andere englische Großstadt. Aber wohin? Das ließ ACE-Chef Nicholas Serota, der legendäre langjährige Leiter der Tate-Museen, bewusst offen.

Elf Kulturminister

Immerhin 78.000 Menschen haben eine Petition zur Unterstützung des vielbesuchten Opernhauses unterzeichnet, dessen Stärke nicht zuletzt ausmachte, dass es mit seinen Produktionen viel im Land auf Tourneen unterwegs war. Vor allem mit Blick auf die ENO wurden die ACE-Verantwortlichen im Parlament heftig abgewatscht. Die Organisation habe "ohne jede Strategie mit unzuverlässigen Daten eine unzureichende Konsultation durchgeführt", wetterte der erfahrene konservative Abgeordnete Peter Bottomley.

Wie wenig Wertschätzung der Kultursektor in der Regierung unter Premier Rishi Sunak genießt, verdeutlicht die Besetzung des zuständigen Ministeriums DCMS. Dessen derzeitige Chefin Michelle Donelan ist die elfte Amtsinhaberin binnen knapp dreizehn konservativer Regierungsjahre. Unter Labour-Premier Tony Blair (1997–2007) gab es lediglich eine Wachablösung in dem Haus, das innerhalb der Whitehall-Bürokratie stets um Anerkennung und Mittel kämpfen muss.

Weniger Geld für London

Der dauernde Wechsel macht sich negativ bemerkbar. Museen, Theater, Opernhäuser und Konzertsäle werden viel weniger vom Staat subventioniert als auf dem Kontinent. Im jüngsten Finanzjahr bis April 2022 schlugen im Budget 4,56 Mrd. Pfund für die Künste zu Buche, etwa ein Viertelprozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Hingegen erwirtschaftete der Sektor 2019 mit rund 226.000 Jobs den Ermittlungen des Parlaments zufolge 2019 immerhin 10,5 Mrd. Pfund. Seither hat die Covid-Pandemie Tausende von Jobs gekostet, viele Theater und Programmkinos mussten schließen.

Es war Donelans Vorgängerin Nadine Dorries – bekannt als Autorin populärer Groschenromane –, die zu Jahresbeginn dem ACE die Vorgabe auferlegte: weniger Geld für London, mehr Hilfe für den Rest des Landes. Dafür gibt es nachvollziehbare Argumente. Das Königreich gehört zu den besonders zentralisierten Demokratien der Welt, politisch, wirtschaftlich und eben auch kulturell ballen sich Macht und Expertise in der Hauptstadt und ihrem Speckgürtel im englischen Südosten.

Das spiegelte sich im Vorgehen des ACE wider: Pro Kopf der englischen Bevölkerung vergab es bisher jährlich sechs Pfund; in London betrug die entsprechende Summe 21 Pfund. Insgesamt liegt das reale ACE-Gesamtbudget um mindestens 30 Prozent niedriger als 2010. (Sebastian Borger aus London, 23.12.2022)