In Kabul gingen afghanische Frauen auf die Straße, um gegen ihre Ausschließung von den Universitäten zu demonstrieren.

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Blitzlichtartig werden von Zeit zu Zeit die Zustände in Afghanistan unter den Taliban erhellt, wenn sich etwas als leicht verständliche Schlagzeile eignet: Dass Frauen aus Universitäten ausgesperrt werden, ist so eine. Aber um es entsprechend der afghanischen Realität zu formulieren: Es gibt ab jetzt auch für jene Mädchen keine akademische Bildung mehr, die noch glücklich genug waren, die Hochschulreife zu erlangen. Neue Schulabsolventinnen wären nicht mehr dazu gekommen. Denn die Taliban haben längst die Schulbildung für Mädchen ab der siebten Schulstufe gekippt.

VIDEO: In Afghanistan wirkt sich die Herrschaft der Taliban immer stärker auf die Einwohner aus, vor allem auf Mädchen und Frauen.
DER STANDARD

Die Hälfte der jungen afghanischen Bevölkerung wird ihrer Bildung und Bewegungsfreiheit beraubt. Was es für eine Gesellschaft im 21. Jahrhundert bedeutet, wenn dieser Zustand länger anhält, kann man sich gar nicht vorstellen.

Keine Mäßigung in Sicht

Von den Hoffnungen, dass sich die "neue" Generation der Taliban als pragmatischer erweisen könnte als jene, die von den USA im Winter 2001 gestürzt wurde, ist nichts geblieben. Als die islamisch-paschtunischen Nationalisten im August 2021 die Macht in Kabul wieder übernahmen – und den USA nach zwanzig Jahren einen Abgang bescherten, der an das Ende des Vietnamkriegs erinnerte –, hatte die internationale Gemeinschaft jene Taliban-Vertreter vor Augen, mit denen die USA immerhin zuvor in Katar über eine Machtteilung in Afghanistan verhandelt hatte. Sie wurden von den an der alten Garde geschulten Ideologen verdrängt. Alle Versprechen von Mäßigung haben sich in Luft aufgelöst. Nun tauchen die aus den späten 1990er-Jahren bekannten Bilder von Auspeitschungen wieder auf, öffentliche Hinrichtungen wurden vor kurzem wiederaufgenommen.

Informelle Beziehungen

Bemerkenswert ist, dass die Taliban fast ein Jahr abgewartet haben. Sie hatten wohl damit gerechnet, zumindest bei einigen Staaten in der Region die formelle Anerkennung ihrer Herrschaft erlangen zu können. Aber nicht einmal Pakistan, dessen Rolle als Taliban-Sponsor oft kritisiert wurde, ist dazu bereit. Auch Russland und China, die nichts auslassen, um die USA zu antagonisieren, bleiben bei informellen Beziehungen.

Dennoch haben die Taliban das erste Jahr überstanden, ohne dass das Land zusammengebrochen ist – und jetzt fallen die letzten Schranken. Der Westen hat Afghanistan abgeschrieben. Die ganze Aufmerksamkeit gilt jetzt dem Kampf der tapferen Iraner und Iranerinnen, und das hilft auch dabei, das eigene Versagen in Afghanistan zu vergessen. (Gudrun Harrer, 23.12.2022)