Dagmar Leupold erzählt ein märchenhaftes Leben.

Volker Derlath

"Die im Dunkeln sieht man nicht": Der Satz stammt aus der Dreigroschenoper. Und trotzdem hat Bertolt Brecht, als er ihn niederschrieb, wohl nicht an all jene Menschen in den Bäuchen von Theater- und Opernhäusern gedacht, die ebenfalls niemand sieht, nicht wirklich. Weil sie nicht im Lichte eines Scheinwerfers stehen, sondern in irgendwelchen Winkeln Arbeiten verrichten, die zwar unerlässlich dafür sind, dass andere Menschen Kunst schaffen oder erleben können – die aber selbst nicht als Teil des Kunstschaffens gelten. Das Garderobenpersonal zum Beispiel oder die Menschen, die für diejenigen, die beide Hände zum Musizieren brauchen, die Seiten umblättern.

Genau diesen Menschen hat Dagmar Leupold mit Dagegen die Elefanten! ein wunderbares Denkmal gesetzt. Herr Harald, so heißt die Hauptfigur, ist ein Herr, der den allermeisten Menschen in seiner Umgebung wohl kaum auffallen wird. Sie nehmen ihn vielleicht als sorgsamen, wenn auch leicht zwänglerischen Garderobenmitarbeiter in der Oper, der Philharmonie, manchmal auch im "schönsten Theater der Stadt" wahr. Bestenfalls lachen sie über sein seltsames Verhalten, wenn er etwa einer Stammtischrunde das titelgebende "Dagegen die Elefanten!" entgegenschleudert.

So reich, so märchenhaft

Nur wenn man die Gedanken des Herrn Harald kennt, die Worte aneinanderreihen wie sorgsam ausgesuchte, zart aneinanderklimpernde Perlen, versteht man, wie viel Sinn seine vermeintlich erratischen Äußerungen doch ergeben. Über einen gesamten Jahreslauf hinweg begleitet der Roman Herrn Harald, und man wird, wenn man ihn gelesen hat, anders denken über Menschen, die – wie er – ganz für sich allein leben: So reich, so beinahe märchenhaft stellt Leupold sein Leben dar.

Seine Gedanken hält Herr Harald ordentlich im Zaum, weiß sie mithilfe diverser Werkzeuge (eines mit sich selbst durchgeführten Quiz etwa, das der Sammlung und Konzentration dient) in ihre Bahnen zu lenken. Nur manchmal taucht da eine Erinnerung des Harald-Kindes auf, die ein wenig erfreuliches Aufwachsen andeutet. Herr Harald hat Schuppenflechte, die Haut ist eng mit der Seele verbunden bei ihm, und er zieht sich nicht gerne vor Ärzten aus, was die Behandlung erschwert. Aber er hat seinen Umgang mit der Erkrankung gefunden.

Dagmar Leupold, "Dagegen die Elefanten!". € 23,– / 272 Seiten. Jung und Jung, Salzburg 2022.
Jung und Jung

Großartige Kleinigkeiten im Alltag

Dabei hilft nicht zuletzt die Sprache: Er hat immer sein Notizbuch bei sich, notiert kurze Geschichten, Tagträume, das jeweilige Wort des Monats. Kostet die Sprache (Deutsch und manchmal Italienisch, das er mithilfe eines an der Garderobe vergessenen Lehrbuches zu erlernen versucht) wie Wein, lässt die Wörter, ihre Klänge durch die Mundhöhle gluckern, verkostet ihre Tauglichkeit, ihren Geschmack. Aber schreibt er überhaupt? "Gelegentlich weiß er nicht mehr, ob das Notizbuch sein ausgelagerter Kopf ist oder sein Kopf das eingelagerte Notizbuch."

Dagegen die Elefanten! ist nicht zuletzt eine große Liebeserklärung an die Sprache, an Worte, die Muskeln haben, "und die kann man trainieren". Das ist es, was Herr Harald macht, aber er erlebt daneben auch eine ganze Menge, was ihn abends regelmäßig völlig erschöpft ins Bett fallen lässt. Man kommt nicht umhin, sich beim Lesen zu fragen, wie man selbst es schafft, die ganzen großartigen Kleinigkeiten, die Herrn Harald so auf Trab halten, tagaus, tagein völlig auszublenden: Entenküken etwa, denen es über die Straße zu helfen gilt. Oder die Katze, Nanu!, die plötzlich bei Herrn Harald einzieht.

Ohne Kalkül

Und da war noch gar nicht die Rede von der Pistole, die er in einem vergessenen Mantel findet, und seiner Liebe zur (in seinen Augen sträflich missachteten) Notenumblätterin Johanna oder Marie. Ganz genau weiß Herr Harald den Namen nicht, aber seine Fantasie blüht rund um die imaginierte Beziehung mit ihr und den Plan, den er schmiedet: Mithilfe der ihm so unverhofft in die Hände gefallenen Schreckschusspistole, die vorläufig im Römertopf in seinem Backofen ein Zuhause gefunden hat, will er Johanna oder Marie die längst überfällige Achtung verschaffen.

Man weiß nicht recht, ob diese rudimentäre Handlung wirklich eine ist oder nur in Herrn Haralds Kopf entsteht, aber es spielt auch keine Rolle, weil Dagegen die Elefanten! mehr vorzuweisen hat als seine Handlung: eine Sprache, die sich so ausgesucht und ungezwungen zusammenfügt, dass man nicht weiß, ob man diese Worte gerade zum ersten Mal liest oder ob sie nicht immer schon in genau dieser Kombination da waren, weil sie eben zusammengehören. Ein außerordentlicher Roman, der völlig ohne Kalkül oder Berechnung entstanden zu sein scheint. Eher so, als hätte man ihn eben so und nur so schreiben können. (Andrea Heinz, 28.12.2022)