Durch Fett und Zucker sind Kekse perfekte Energielieferanten. Feine Aromen und Kindheitserinnerungen machen die süßen Köstlichkeiten noch unwiderstehlicher.
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In Klaus Dürrschmids Reich dreht sich alles um Geschmack: Die Bücherregale biegen sich unter Lektüre zu Psychologie, Geruch, Genuss, Farbe, Gewürzen und Mouthfeel. Auf dem Schreibtisch steht das Modell einer Zunge, daneben eine Schachtel mit schokoladengetunktem Spritzgebäck, Florentinern, Eisenbahnern und anderen süßen Köstlichkeiten. "Ich habe eine sehr positive Beziehung zu Vanillekipferln", erklärt der Leiter des Sensoriklabors der Wiener Universität für Bodenkultur schmunzelnd, während er die Keksvariation inspiziert.

Philosophie des Vanillekipferls

"Für mich sind Vanillekipferln das perfekte Weihnachtsgebäck", sagt er. Es sei das ideale Symbol für die Weihnachtszeit, in der die Geburt eines neuen Lebens und in gewisser Weise der Zyklus des Lebens insgesamt zelebriert werde. Schließlich komme die ganze Familie, von alt bis jung, zusammen, um gemeinsam zu feiern.

Das mürbe Keks repräsentiere all das aufgrund seiner Inhaltsstoffe bestens. "Vanille ist weltweit das Aroma, das für Kindheit steht", berichtet Dürrschmid aus Studien, die er und sein Team in Österreich und international durchgeführt haben. Die Forschenden untersuchten, ob gewisse Aromen bestimmte Altersassoziationen auslösen. "Anfangs war ich skeptisch", gesteht er, "doch die Ergebnisse waren eindeutig."

Vanillekipferl gehören hierzulande zu den beliebtesten Weihnachtsbäckereien. Aus wissenschaftlicher Sicht vereinen sie Geschmäcker, die weltweit mit besonderen Assoziationen besetzt sind.
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Vanille als Aroma der Kindheit

Während Vanille mit Kindheit assoziiert wird, stehen Nuss-Aromen für das reifere Alter. Warum diese Verbindungen hergestellt werden, ist unklar. Zwar gibt es Hypothesen, denn Muttermilch hat ein Vanille-Aroma, doch wissenschaftliche Belege fehlen. Dennoch haben die Ergebnisse Dürrschmid zu einer Hypothese bezüglich des hierzulande enorm beliebten Weihnachtsgebäcks geführt: "Wir haben das Vanille-Aroma als sinnlich wahrnehmbare Kindheit, eine leicht bittere Note, die für das Erwachsenenalter steht, das Nuss-Aroma als das sinnlich wahrnehmbare Alter des Menschen und damit die ideale Abbildung aller Lebensalter im Vanillekipferl."

Damit passe es hervorragend in die Weihnachtszeit, sagt Dürrschmid, der den Keksklassiker schon als Kind selbst gebacken hat, zuweilen auch im Sommer. Obwohl Dürrschmid im Sensoriklabor normalerweise andere Menschen verkosten lässt, greift er bei den Keksen ebenfalls zu und erzählt, dass kürzlich in einer Lehrveranstaltung die Rede auf das beste Weihnachtskeks gekommen sei.

Suche nach dem besten Keks

"Um das herauszufinden, gibt es mehrere Möglichkeiten", erklärt er. Option eins wäre, alle Leute zu befragen, was ihre Lieblingskekse sind. Option zwei sei, die Leute zu beobachten. "Man schaut, wie viele Vanillekipferln, Linzeraugen oder Kokosbusserln gekauft werden, Umsatzzahlen sind ein unschlagbares Argument." Weiters könne man Menschen während des Verzehrs beobachten. Man bietet unterschiedliche Kekse an, lässt eine Gruppe von Leuten auswählen und hat ein gutes Maß für die Beliebtheit der einzelnen Backwerke. Beobachten lasse sich dabei auch, wie viel die Teilnehmenden essen und welche Mimik sie dabei zeigen.

Spritzgebäck, Eisenbahner, Kokosbusserl und Co.: Die Auswahl an Keksen ist äußerst umfassend. Ebenso divers ist die Palette an Aromen.
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Eine probate Methode sind auch sensorische Tests: Probandinnen und Probanden kosten verschiedene Kekse und werden hinsichtlich ihres Erlebnisses befragt. Zusätzliche Aussagekraft haben Reaktionen des autonomen Nervensystems, etwa Pulsrate, Hautleitfähigkeit und die Weite der Pupillen (Dilatation). Offene Pupillen zeigen gesteigertes Interesse an.

Interessant oder abstoßend?

Dieses muss aber nicht zwingend positiv sein, weiß Dürrschmid. "Es kann auch bedeuten, dass man an etwas interessiert ist, weil es so unglaublich grausig und abstoßend ausschaut", lacht er. Kostet man dann etwas nicht gerade Wohlschmeckendes, erhöht sich die Leitfähigkeit der Haut. "Die steigt nach ein, zwei Sekunden an, und man beginnt zu schwitzen", erläutert er.

All diese Kniffe finden auch im Sensoriklabor Anwendung. "Das Labor wird primär für die Produktentwicklung eingesetzt, das heißt, neue Produkte werden sensorisch-analytisch beschrieben", sagt Dürrschmid. Die Tests gehen in acht kleinen Kabinen, versehen mit Schiebefenster, durch das die zu verkostenden Proben gereicht werden, über die Bühne. Auf einer erhöhten Ablage kann ein Laptop platziert werden, um via Kamera die Reaktionen der Verkostenden aufzuzeichnen.

Das Licht in den Kabinen lässt sich farblich anpassen, damit Testpersonen nicht von der Farbe der zu probierenden Lebensmittel beeinflusst werden. In diesem Teil des Labors herrscht zudem Unterdruck, damit keine Gerüche von außen eindringen. Um unverfälschte Ergebnisse zu garantieren, werden sämtliche Proben zudem kodiert und randomisiert, Tests sind immer als Blindverkostung angelegt.

Ernährungskultur im Umbruch

Meist geht es um die Frage, für wie gut oder schlecht Konsumentinnen und Konsumenten verschiedene Produktvarianten empfinden. Mit diesem Wissen lassen sich Rezepturen verändern, um die Akzeptanz zu steigern. Auch eruieren die Forschenden, wie Verpackungen gestaltet sein müssen, damit Menschen zugreifen, und wie Informationen über Produkte auf deren Akzeptanz wirken.

Aktuell verändert sich die Ernährungskultur unserer Gesellschaft, der Trend geht zu ökologisch besser produzierten Lebensmitteln und zum Ersatz von Fleisch durch pflanzenbasierte Produkte. Ob dadurch auch Weihnachtsgans und Bratwürsteln verdrängt werden, ist fraglich. Sowohl Kekse als auch Karpfen und Festtagsbraten sind stark mit unserer emotionalen Bindung an Weihnachten verknüpft und tief in unserer Kultur verankert. Zudem ist die Aufnahme energiedichter Lebensmittel untrennbar mit dem Winter verbunden.

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Weihnachten ist – auch aufgrund vieler Traditionen – das Fest kulinarischer Genüsse. Diese sind Teil unserer emotionalen Bindung an das Fest.
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Vorliebe für aromatische Kalorienbomben

Zu dieser Präferenz existieren viele Hypothesen, etwa jene, dass das Aufrechterhalten der Körpertemperatur mehr Energie braucht und deshalb mehr Kalorien aufgenommen werden. Genetische Dispositionen stehen ebenso zur Debatte wie eine Art Urinstinkt, der alle Tiere dazu bringe, sich Fettpolster anzufressen. "Das machen wir auch, indem wir schon mit dem Martini-Gansl beginnen und das möglichst durchhalten", scherzt Dürrschmid.

Kekse passen da bestens dazu, denn "Mensch habe generell einen ausgeprägten Zug zu Produkten, die süß und aromatisch sind – und voller Kalorien". Sie seien eine perfekte Energiequelle, raffiniert dekoriert und optisch ansprechend, haben unterschiedliche Texturen und seien aromatisch sehr vielfältig, sagt er anerkennend. "Das sind schon kleine sensorische Kunstwerke." (Marlene Erhart, 24.12.2022)