Die Wissenschaft kann den Glauben zwar nicht ersetzen, die Frage, wie sich Gott logisch-mathematisch beweisen lässt, beschäftigt Wissenschafter aber bis heute. Inzwischen spielen dabei auch Computer eine Rolle.
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Im Jahr 2013 veröffentlichten zwei Computerwissenschafter eine bemerkenswerte Arbeit: Sie hatten eine Software dazu instruiert, logische Argumente durchzuspielen, die klären sollten, ob Gott existiert. Diese Argumente, die sie in den Programmiersprachen Coq und Isabelle niederschrieben, basieren auf einer noch rund tausend Jahre älteren Arbeit eines Gelehrten und Heiligen namens Anselm von Canterbury. Der mit dem Computer reproduzierte Gottesbeweis stammt allerdings von einem anderen Denker, der die Grundfesten der Mathematik wie kein anderer vor ihm erschüttert hatte.

Kurt Gödel wurde einmal nachgesagt, sich für nichts als Mathematik zu interessieren. Als junger Mann war er schweigsam, doch sobald sein Fachgebiet zur Sprache kam, taute er auf, wie sich seine Studienkollegin, die Mathematikern Olga Taussky, erinnert. Sie habe den Eindruck gehabt, "dass er gern lebhafte Menschen um sich hatte, aber nicht gern zu nichtmathematischer Konversation beitrug".

Wie verfehlt allerdings das Bild eines nur an seinem Gebiet interessierten Nerds ist, kam nach seinem tragischen Tod ans Licht, durch den Fund einer knappen Notiz in seinem Nachlass, die heute noch so mysteriös ist wie zur Zeit ihrer Entdeckung: Kurt Gödel hatte gezeigt, wie sich die Existenz Gottes mathematisch beweisen lässt.

Wiener Kaffeehaus als Schule

Gödel stammt aus dem damals überwiegend deutschsprachigen Brünn, wo er als Kind einer wohlhabenden Tuchproduzentenfamilie aufwuchs. Als er zum Studium nach Wien ging, schrieb er sich dort zuerst für Physik ein, besuchte aber auch Philosophie- und Mathematikvorlesungen.

Das Wien der Zwischenkriegszeit erwies sich auch abseits der Universität als besonders fruchtbarer Boden für den jungen Denker, der in den Kaffeehäusern und Salons mit der Geisteswelt des damaligen Wiens in Kontakt kam.

Der bekannteste Zirkel, mit dem er verkehrte, war der Wiener Kreis um Moritz Schlick, der sich mit den Werken von Ernst Mach und Ludwig Wittgenstein beschäftigte. Gödel selbst meinte später, dass er dem Wiener Kreis viel verdanke, aber nur im Sinn einer "Einführung" in die Probleme, die ihn später interessieren sollten.

Frei von Widersprüchen

Gödel wehrte sich dagegen, sein Werk als "Ergebnis der Atmosphäre der ersten zwanzig Jahre des Jahrhunderts" zu betrachten. Die Physik ließ er jedenfalls bald hinter sich, um so weit in die Theorie einzutauchen, wie es nur irgend möglich ist.

Damals stellte der Mathematiker David Hilbert eine eigentlich simple Frage: Was geschieht, wenn man die Mathematik auf sich selbst anwendet? Zahlen gleichen in gewissem Sinn mathematischen Aussagen. Bei beidem handelt es sich um Konstellationen von Symbolen, die bestimmten Regeln gehorchen. Es müsste möglich sein, mathematische Aussagen über Beweisverfahren zu treffen.

Hilbert hatte ein ambitioniertes Ziel ausgerufen: zu zeigen, dass die Mathematik in ihrer gängigen Form frei von Widersprüchen ist. Die damals entwickelten Methoden begegnen uns heute in Computern wieder, deren Bits und Bytes ebenfalls mit den Zahlen eng verwandt sind. Einem Computer ist es egal, ob er Zahlen addiert oder logische Operationen durchführt. Gödel gelang das Unwahrscheinliche: Er löste Hilberts Aufgabe, allerdings nicht in Hilberts Sinn.

Überraschendes Dilemma

Nur sieben Jahre nach Beginn seines Studiums in Wien erschütterte Gödel die Welt der Mathematik mit einer bahnbrechenden Arbeit, die heute als seine wichtigste gilt und ihn zu einem Star der damaligen Mathematik machte: Er zeigte, dass in der Mathematik nicht alle wahren Sätze beweisbar sind. Der erstaunliche Prozess, dessen Gödel sich bediente, lässt sich im Buch "Gödel, Escher, Bach" (1979) von Douglas Hofstadter nachlesen. Es gelang ihm, eine Aussage zu bilden, die behauptete: "Ich bin nicht beweisbar." Wer sie beweisen will, landet in einem Dilemma. Es gelang ihm, die Mathematik zu einer Art Kannibalismus zu verleiten.

Die damalige Wissenschaft versuchte, auf verschiedenen Ebenen festen Boden zu finden. Der Wiener Kreis verfolgte dabei ein ähnliches Ziel wie David Hilbert. Doch Gödel zerstörte die Hoffnungen in der Mathematik in ähnlicher Weise, wie es Quantenphysik und Relativitätstheorie für die Physik taten, mit Folgen, die bis heute nachwirken.

Kein fester Boden mehr

Das damit verbundene Gefühl lässt sich in zeitgenössischen Erzählweisen von Netflix-Serien wie "Dark" wiederfinden. Es gibt keinen festen Boden, auf den Verlass wäre, Zukunft und Vergangenheit sind nicht in Stein gemeißelt, und jede Wendung kann sicher Geglaubtes ins Gegenteil verkehren. Dennoch lassen sich solche Geschichten erzählen. Wer keine Serien mag, kann sich Karl Poppers Doktrin als Beispiel bedienen, dass unser Wissen einem Schiff ähnle, das wir während der Fahrt über den Ozean umbauen müssen. Was wir im Moment als Wissen akzeptieren können, muss als Ausgangspunkt genügen. Popper war übrigens, im Gegensatz zum jungen Gödel, zu den Treffen des Wiener Kreises nicht eingeladen, worüber er sich später bitter beschweren sollte.

Während Hilbert festen Boden suchte, arbeitete Gödel mit den verfügbaren Mitteln und erreichte gerade auf diese Weise sein bahnbrechendes Ergebnis. Wie gelang es Gödel, derart freischwebend im intellektuellen Raum zu agieren? An Vertrauen in die Tragfähigkeit der Prinzipien von Leben und Wissenschaft schien es ihm nicht zu mangeln. "Die Vorstellung", schreibt er seiner Mutter, "dass alles in der Welt einen Sinn hat, ist übrigens genau analog zu dem Prinzip, dass alles eine Ursache hat, worauf die ganze Wissenschaft beruht." Gödel hatte also offenbar im Gegensatz zu seinen Freunden beim Wiener Kreis keine Berührungsängste mit Metaphysik.

Kurt Gödel (links) und Albert Einstein waren gute Freunde und Kollegen in Princeton.

Freundschaft mit Einstein

Gödel erging es wie vielen anderen, die in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts Bahnbrechendes in jungen Jahren veröffentlichen: Sein Hauptwerk war früh abgeschlossen. Dann kam der Krieg. Die Flucht vor den Nazis führte ihn 1940 mit der Transsibirischen Eisenbahn über Japan ins US-amerikanische Princeton. Im Zuge seiner Einbürgerung musste sich Gödel mit der amerikanischen Verfassung vertraut machen und soll dabei eine logische Lücke entdeckt haben, die es erlaubt, im Rahmen der Regeln eine Diktatur zu errichten. Worin genau diese Lücke bestand, ist bis heute allerdings nicht bekannt.

In Princeton traf er auf einen weiteren in der Fremde gestrandeten deutschsprachigen Forscher: Albert Einstein. Zwischen den beiden entwickelte sich eine Freundschaft, die sich nebenbei in einigen Arbeiten Gödels zur allgemeinen Relativitätstheorie niederschlug. Gödel kommentierte das mit seiner ganz eigenen Bescheidenheit: Dass für jemanden wie ihn so einfach sei, etwas Neues beizutragen, beweise, dass die Relativitätstheorie erst ganz am Anfang stehe.

Gott ist etwas, zu dem sich nichts Größeres denken lässt

In die Zeit in Princeton fällt auch die Niederschrift des Gottesbeweises, den er in einer Phase schlechter Gesundheit seinem Freund Oskar Morgenstern gegenüber begeistert erwähnte. Es handelte sich nur um eine kurze auf das Jahr 1970 datierte Notiz, die Gödel zu Lebzeiten nicht veröffentlichte. Sie basierte auf einer fast tausend Jahre alten scholastischen Arbeit eines Gelehrten namens Anselm von Canterbury, der für einen faszinierend einfachen Gottesbeweis bekannt ist: Gott ist etwas, zu dem sich nichts Größeres denken lässt. Wenn er nun aber nur im Kopf existieren würde und nicht in Wirklichkeit, dann ließe sich etwas Größeres denken, nämlich ein wirklich existierender Gott. Das kann aber nicht sein, weshalb er existieren muss.

Auf den ersten Blick deutet nichts darauf hin, dass die Zeichenreihe in Gödels Notizbuch mit dem knappen Titel "Ontologischer Beweis" etwas mit dieser alten Idee zu tun hat. Doch tatsächlich hat Gödel nichts anderes getan, als den Gottesbeweis Anselms von Canterbury in eine mathematische Form zu bringen. Anders als Anselm ging Gödel von der Idee eines Wesens aus, das alle positiven Eigenschaften in sich vereint und leitete daraus seine Existenz ab. Warum veröffentlichte Gödel dieses erstaunliche Ergebnis nicht?

Gödel im Computer

Morgenstern gestand er, sich vor einer Veröffentlichung gescheut zu haben, weil die Menschen sonst glauben könnten, er würde tatsächlich an Gott glauben. Dabei habe er sich nur für die "logische Untersuchung" selbst interessiert. Er gestand aber später in einem Brief an seine Mutter: "Es war zu erwarten, dass mein Beweis früher oder später nützlich für die Religion sein würde."

Tatsächlich kam es anders. Während unter religiösen Menschen Gödels Gottesbeweis nach wie vor wenig bekannt ist und Glaube offenbar wichtiger ist als abstrakte Argumente, wurde Gödels Beweis zur Spielwiese für moderne Methoden der Logik. 2013 erlangte eine außergewöhnliche Meldung große mediale Aufmerksamkeit: Zwei Forscher hatten Gödels Beweis in einen Computer gespeist und ihn so auf Herz und Nieren geprüft. Einer davon war der an der Technischen Universität Wien tätige Computerwissenschafter Bruno Woltzenlogel Paleo.

Kurt Gödel, etwa um 1950, während seiner Zeit in Princeton.
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"Unserer Arbeit an der computergestützten formalen Verifikation von Gödels ontologischem Beweis ging eine Arbeit von Edward Zalta und Paul Oppenheimer voraus, die Anselms ontologischen Gottesbeweis ebenfalls mit automatisierten Argumentationswerkzeugen formal verifiziert haben", erinnert sich Woltzenlogel Paleo. "Wir setzten diese Arbeit fort, indem wir mehrere Varianten des ontologischen Beweises analysierten, die von verschiedenen Philosophen nach Gödel vorgeschlagen wurden."

Fehler im Beweis

Ein Durchbruch gelang Woltzenlogel Paleo und seinem Kollegen Christoph Benzmüller von der Freien Universität Berlin 2016, als sie in Gödels Argumentation eine Lücke fanden. In den "Proceedings of the Twenty-Fifth International Joint Conference on Artificial Intelligence" veröffentlichten die beiden eine weitere Arbeit mit dem Titel "The inconsistency in Gödel’s ontological argument: a success story for AI in metaphysics". "Darin wird gezeigt, dass computergestützte automatisierte Argumentationstools in der Lage waren, einen Fehler in einem Manuskript von Gödel zu entdecken, der seit mehreren Jahrzehnten unbemerkt geblieben war", sagt der Forscher. Hieß das, dass der Beweis nun ungültig war? Nein, erklärt Woltzenlogel Paleo: "Glücklicherweise kann dieser Fehler leicht behoben werden: Es gibt konsistente Varianten von Gödels ontologischem Beweis." Ein zweiter Beweis Gödels aus dieser Zeit, der sich mit dem Konzept mathematischer Unendlichkeit beschäftigt, ist übrigens tatsächlich fehlerhaft.

Es gibt also allem Anschein nach einen gültigen Gottesbeweis. Auf die Frage, ob die Existenz Gottes nun bewiesen ist, antwortet Woltzenlogel Paleo, der inzwischen für ein Unternehmen Blockchain-Technologien entwickelt, ausweichend: "Jeder logische Beweis, unabhängig davon, ob er von Gott, Zahlen oder etwas anderem handelt, hängt von Definitionen und Axiomen, also Annahmen, ab. Logische Beweise sind nicht absolut. Sie zeigen, dass, wenn die Axiome wahr sind, die bewiesene Aussage ebenfalls wahr sein muss." Ob die Axiome wahr sind, bleibe eine Frage des Glaubens, betont der Forscher. In Gödels Beweis werde Gott als ein Wesen definiert, das alle positiven Eigenschaften besitzt. Dafür würden fünf Axiome über positive Eigenschaften vorgeschlagen und vorausgesetzt. "Unsere Arbeit zeigt, dass Gödels Beweis, nach der Korrektur des Fehlers im Manuskript, korrekt ist. Das bedeutet, dass man, wenn man an die vorgeschlagenen Axiome glaubt und sich an die Regeln der Modallogik höherer Ordnung hält, akzeptieren muss, dass Gott in der definierten Form existiert."

Crux der Vorbedingungen

Das eigentliche Problem liegt also in den Vorbedingungen, darunter etwa die nicht unmittelbar einsichtige Annahme, dass jede Eigenschaft eines Dings entweder gut oder schlecht sein muss. Ein Graubereich ist nicht vorgesehen. Ist die Wahrheit der Annahmen nicht erwiesen, bleibt auch die Schlussfolgerung zweifelhaft. So einfach lässt sich Glaube nicht ersetzen. Wie steht es eigentlich um Gödels Religiosität? "Die Religionen sind fast alle schlecht, nicht aber die Religion", notiert er sich einmal. Er wolle nicht glauben, dass Gott alle nichtkatholischen Menschen nur geschaffen habe, um sie in die Hölle zu schicken. Aber: Es gebe Grund anzunehmen, dass die Welt "vernünftig ausgerichtet" sei.

Für Gödel endete der Kampf um die eigene Vernunft 1978. Schon seit Jahren hatte er an psychotischen Schüben gelitten, die in Princeton akut wurden. Er war überzeugt davon, Ziel eines Vergiftungsanschlags zu sein. Als seine Frau wegen eines Schlaganfalls ins Krankenhaus musste und Gödel allein zurückblieb, aß er kaum noch. 1978 starb er an "Unterernährung und Auszehrung", wie es im Totenschein heißt. So erlosch der vielleicht zu wache Geist, der sich vermeintlich nur für Mathematik interessierte, aber Philosophie, Physik, Recht und sogar Religion mühelos durchdrang. (Reinhard Kleindl, 25.12.2022)