Seit heuer hat die Europäische Union ein neues höchstes Gebäude: den Varso Tower in Warschau. Mit seinen 310 Metern bis zur Antennenspitze überragt der von Foster and Partners entworfene und von Entwickler HB Reavis errichtete Gewerbeturm den Commerzbank Tower in Frankfurt/Main um zehn Meter. Allerdings gilt das nur, wenn man wirklich die gesamte Konstruktionshöhe betrachtet. Nach der reinen Gebäudehöhe bis zum Dach gerechnet, also ohne Antennenaufbauten, ist nämlich der Commerzbank Tower mit 259 Metern weiterhin die Nummer 1, der Varso Tower mit 236 Metern deutlich dahinter.

Zum Vergleich: Der DC Tower 1 in Wien ist 220 Meter hoch, inklusive Antenne kommt er auf 250 Meter.

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Freilich: Im weltweiten Vergleich sind diese europäischen Bauwerke eher mickrig, und auch in St. Petersburg und Moskau stehen weitaus höhere Gebäude.

Die Liste der höchsten Gebäude Europas führt seit drei Jahren der 462 Meter hohe Lakhta Tower in St. Petersburg an (Bild; Hauptquartier der Gazprom), dahinter drängeln sich mit einigem Abstand vier Moskauer Türme.

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Selbst das höchste Gebäude Europas ist weltweit aber nur die aktuelle Nummer 16. Unangefochtener Spitzenreiter ist weiterhin der Burj Khalifa in Dubai, fertiggestellt 2010. Er ist mit 828 Metern sowohl das höchste Bauwerk als auch das höchste Gebäude der Welt, und zwar mit großem Abstand.

Mit seiner von unten nach oben sich stets verjüngenden Struktur verkörpert er den Begriff "Wolkenkratzer" geradezu idealtypisch. Doch längst hat man sich für seine Höhenklasse eine eigene Bezeichnung ausgedacht: "Megatall", als weitere Steigerung der englischen Bezeichnung für hoch, "tall". Seither heißen die Steigerungsformen im Englischen: Tall – Supertall – Megatall Buildings.

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Um als "Supertall" zu gelten, braucht ein Gebäude gemäß der im Jahr 2009 vom Council on Tall Buildings and Urban Habitat (CTBUH) festgelegten Definition mehr als 300 Meter. Diese Höhe hatte bis 1930 nur der Eiffelturm erreicht, der aber natürlich nicht als Gebäude, sondern nur als Bauwerk gilt.

1930 wurde in New York City aber das Chrysler Building mit 319 Metern Höhe fertiggestellt, ein Jahr später folgte das Empire State Building mit 381 Metern. Die Zeit der Supertall Buildings war angebrochen.

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Und der Burj Khalifa läutete 2010 die Ära der Megatalls ein: Gebäude mit Höhen von mehr als 600 Metern. Zwei Jahre später folgte das Mecca Royal Clock Tower Hotel (Bild) mit 601 Metern, das Teil des Gebäudekomplexes Abraj Al Bait in der saudi-arabischen Pilgerstadt Mekka ist.

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2015 wurde im chinesischen Schanghai der Shanghai Tower (linkes Bild) fertiggestellt, mit 632 Metern noch heute das höchste Gebäude Chinas.

Und in der malaysischen Metropole Kuala Lumpur ist der inklusive Antenne 680 Meter hohe Turm Merdeka 118 gerade in Fertigstellung. Der gemischt genutzte Turm (u.a. Apartments, Hotel, Shopping) ist das zweithöchste Gebäude der Welt, kommt dem Burj Khalifa mit den erwähnten 828 Metern aber eigentlich nicht einmal nahe.

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Mit den erwähnten vier Türmen ist die Liste der aktuell weltweit existierenden Megatall Buildings auch bereits erschöpfend aufgezählt – und wie es scheint, wird der Burj Khalifa diese Liste auch noch lange anführen. Drei Gebäude, die ihn an Höhe übertreffen würden, sind zwar geplant – aber keines davon dürfte aus heutiger Sicht in den nächsten zehn Jahren fertig werden.

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Eines davon wäre zwar schon in Bau, doch seit fünf Jahren, seit Jänner 2018, geht hier nichts mehr weiter. Seither ragt das Stahlgerippe für den Jeddah Tower (ursprünglich Kingdom Tower genannt) in der saudi-arabischen Stadt Dschidda knapp 300 Meter in die Höhe. Der Turm, der wie schon der Burj Khalifa von Adrian Smith entworfen worden war, sollte eigentlich mindestens einen Kilometer hoch werden, so lautete der Plan. Damit wollte man den Burj Khalifa auf die Plätze verweisen.

Doch vor fünf Jahren kam bei dem Mega-Projekt ordentlich Sand ins Getriebe, der Bau wurde gestoppt. Der Grund dafür war zunächst die großangelegte Antikorruptionsaktion der saudischen Machthaber im Jahr 2017. Damals wurden auf einen Schlag hunderte Personen verhaftet, die sich später teilweise mit Milliardensummen wieder freikauften. Auch der maßgebliche Finanzier des Jeddah Towers, Prinz al-Waleed bin Talal, befand sich darunter.

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Später hieß es zwar, der Bau werde weitergehen, und man werde schon im Jahr 2020 große Fortschritte sehen, sagte der Chef der Jeddah Economic Company 2018 zu CNN. Doch es traten weitere Schwierigkeiten auf, unter anderem arbeitsrechtlicher Natur, und mit dem Beginn der Corona-Pandemie war es vorerst endgültig vorbei mit dem Projekt.

Das aktuellste Bild auf dem Twitter-Kanal des Jeddah Towers stammt von Juni 2018. Und dort ist auch noch von einer Fertigstellung 2021 die Rede.

Im selben Jahr hieß es zwar in Medienberichten, dass man die Straßenbau- und andere vorbereitenden Arbeiten für den Bau der "Jeddah Economic City", deren Herzstück der Jeddah Tower werden sollte, schon fast abgeschlossen habe. Neben mehr als 200 weiteren Hochhäusern soll dort eben auch der Jeddah Tower (Bild: Visualisierung) als höchstes Gebäude der Welt entstehen, war damals in den Arab News zu lesen.

Doch ob der Tower tatsächlich jemals fertig gebaut wird, ist offen. "Der Bau ist nach wie vor auf unbestimmte Zeit gestoppt", teilte eine Sprecherin des österreichischen Unternehmens Doka vor wenigen Tagen dem STANDARD mit. Doka sollte für den Bau die Schalungen liefern.

Foto: Reuters, Visualisierung: Adrian Smith + Gordon Gill Architecture

Der Baustopp beim Jeddah Tower hatte zudem – jedenfalls nach Ansicht mancher Beobachter – auch Auswirkungen auf ein Projekt in Dubai. Auch dort war zuvor schon mit dem Fundament für den Dubai Creek Tower begonnen worden – doch just nach dem Baustopp in Dschidda wurde auch dieses Projekt auf Eis gelegt.

Emaar Properties – die Firma, die auch den Burj Kahlifa gebaut hat – brauche den von Santiago Calatrava entworfenen, sehr schlanken (und deshalb "abgespannt" geplanten) und bis zu 1400 Meter hohen Dubai Creek Tower (die endgültige Höhe wurde nie verraten) jetzt nicht mehr bauen, denn dem Burj Khalifa werde vom Jeddah Tower nicht der Rang abgelaufen werden – das dürfte der Grund dafür sein, dass der Bau des Dubai Creek Towers auf Eis gelegt wurde, munkelt man.

Das Projekt findet sich auch auf der Website von Emaar nicht mehr; und der Entwickler hat vor wenigen Monaten zudem einen Investor entschädigt, der am Dubai Creek Land gekauft hatte – unter dem Glauben, dass man den Dubai Creek Tower von seinem Projekt aus sehen würde können, war im September in Arabian Business zu lesen.

Visualisierung: Emaar

Genaue Angaben das Projekt betreffend hatten die Kollegen von Arabian Business auch nicht bekommen. Es scheint aber ganz so, als hätte Emaar das Projekt Dubai Creek Tower mittlerweile aufgegeben.

Allerdings: Der arabische Wettlauf um den höchsten Turm dürfte noch nicht beendet sein (falls er das überhaupt jemals sein wird). Denn vor wenigen Wochen gab der saudi-arabische Fonds PIF (Public Investment Fund) bekannt, nördlich von Riad (Bild) einen neuen Wolkenkratzer bauen zu wollen – und zwar einen, der gleich zwei Kilometer (!) hoch werden soll. Das berichtete MEED Anfang Dezember. Der Turm soll quasi aus einem 18 Quadratkilometer großen neuen Stadtentwicklungsgebiet herauswachsen, das wie alle gigantomanischen Projekte in Saudi-Arabien unter dem Programm "Vision 2030" läuft. Dieses soll die Abhängigkeit des saudischen Bruttoinlandsproduktes von Öl und Gas bis 2030 deutlich verringern. Auch die 170 Kilometer lange Bandstadt "Neom – The Line" gehört dazu.

Foto: AP

Wird dieser zwei Kilometer hohe Turm aber jemals gebaut werden? Das scheint eher unwahrscheinlich, die Liste an aufgegebenen Megatall-Projekten ist lang. Man erinnere sich etwa an den Nakheel Tower in Dubai, der 750 Meter hoch werden sollte, 2009 aber gecancelt wurde.

Auch die Pläne für einen in Japan geplanten "Megatall Skyscraper" klingen eher wie der Fiebertraum eines Architekten: Im Rahmen des Projekts "Tokyo 2045" will man in der japanischen Metropole einen gleich 1700 Meter hohen Turm (Bild) mit 420 Stockwerken errichten. Er soll noch dazu ein Wohnturm werden und bis zu 55.000 Menschen ein Zuhause bieten. Erste Pläne dafür stammen von Kohn Pedersen Fox Associates, gebaut werden soll der Wolkenkratzer auf einer aufgeschütteten Insel in der Bucht von Tokio.

Und derzeit auch nur als "Vision" wird beim Council on Tall Buildings and Urban Habitat (CTBUH) der Oblisco Capitale Tower in Ägypten gewertet. Er ist mit einer Höhe von einem Kilometer geplant und sollte eigentlich ab 2024 gebaut werden, und zwar in der neuen Hauptstadt Ägyptens, 50 Kilometer östlich von Kairo. An der noch namenlosen Stadt, die einmal sechs Millionen Menschen beherbergen soll, wird schon gearbeitet. Doch wird es dort auch zum Bau des einen Kilometer hohen Wolkenkratzers kommen, der irgendwann ab 2030 den Burj Khalifa als höchstes Gebäude der Welt ablösen könnte? Nun, man wird sehen. (mapu, 1.1.2023)

Bild: Mashton444/Wikimedia/CC BY 4.0