Auch dieses Jahr ist der Christbaum der Familie Stocker deckenhoch. Darauf bestehen die beiden erwachsenen Kinder des neuen ÖVP-Generalsekretärs. Vor dem Fest gab Christian Stocker dem STANDARD ein Interview – besinnlich war das Gespräch über weite Strecken dann trotzdem nicht.

STANDARD: Guten Tag, Herr Stocker!

Stocker: Guten Tag, grüß Gott!

STANDARD: Sie sind also ein Gruß-Flexitarier?

Stocker: Mein Gruß ist üblicherweise "Grüß Gott".

STANDARD: Wäre das geklärt. Welche Zielgruppen will die ÖVP unter Ihnen als Generalsekretär ansprechen?

Stocker: Welche Zielgruppen wir erreichen wollen, ergibt sich schon aus unserem Parteinamen. Eine Volkspartei will alle erreichen.

STANDARD: Vorerst will die ÖVP bei der niederösterreichischen Landtagswahl am 29. Jänner möglichst viele Menschen erreichen. Die absolute Mehrheit liegt in weiter Ferne. Auch auf Bundesebene sind die Umfragen miserabel. Wen machen Sie für die desolate Lage der ÖVP verantwortlich?

Stocker: Der Schluss von Niederösterreich auf die desolate Lage ist nicht zulässig. Wenn eine Partei ständig mit Vorwürfen konfrontiert ist, die bis jetzt nicht erwiesen sind, die aber ständig ausgebreitet werden, ist es kein Wunder, wenn kein guter Eindruck entsteht. Aber so ist die Volkspartei nicht. So sind nicht die Bürgermeister und auch nicht die Gemeinderäte!

STANDARD: Wie wollen Sie Ihre Partei aus der Defensive holen?

Stocker: Für uns geht es darum, Vertrauen zurückzugewinnen. Und Vertrauen gewinnt man, indem man mit seiner Arbeit überzeugt.

STANDARD: Sie glauben, die Arbeit in der Bundesregierung wird reichen, damit sich die ÖVP wieder stabilisiert?

Stocker: Das ist ein Faktor. Jedenfalls wollen wir anhand von Ergebnissen und nicht von Vernehmungsprotokollen bewertet werden.

Christian Stocker, Vizebürgermeister von Wiener Neustadt, ist seit drei Monaten Generalsekretär der ÖVP. "So ist die Volkspartei nicht", sagt der Niederösterreicher zu den Korruptionsvorwürfen gegen seine Partei.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Dem niederösterreichischen ORF-Landesdirektor Robert Ziegler wird vorgeworfen, er soll im Landesstudio eine Art Message-Control zugunsten der ÖVP betrieben haben. Es wurde eine Kommission eingesetzt. Das bezeichnen Sie als "Hetzjagd". Sehen Sie keinen Aufklärungsbedarf?

Stocker: Der Anlass für meine Kritik war, dass ein Profil-Journalist, der früher in der niederösterreichischen SPÖ tätig war, jetzt einen Faktencheck zur Niederösterreich-Wahl durchgeführt hat und seine Ergebnisse im ORF verbreiten durfte. Mein Eindruck war, dass hier beim ORF Niederösterreich die Situation sehr streng bewertet wurde. Auf der anderen Seite darf ein Journalist mit SPÖ-Vergangenheit den Wahlkampf in Niederösterreich analysieren. Man kann bei der SPÖ tätig gewesen sein und dann in den Journalismus wechseln. Aber es widerspricht jeder Compliance, dann ausgerechnet einen Check des niederösterreichischen Wahlkampfs zu machen und sich nicht für befangen zu erklären.

STANDARD: Sie werden uns hoffentlich recht geben, dass unabhängige Redaktionen selbst in der Lage sind zu entscheiden, welche Themen zu welchem Zeitpunkt von wem bearbeitet werden. Dafür braucht es keine Zurufe aus der ÖVP-Zentrale.

Stocker: Gilt das für Niederösterreichs Landesdirektor auch?

STANDARD: Natürlich, über dessen Tun und Karriere werden ja wohl hoffentlich auch nicht Sie entscheiden?

Stocker: Nein, aber ich erlaube mir auch in meiner Funktion als Generalsekretär eine Meinung. Wie ist das mit der Meinungsfreiheit?

STANDARD: Niemand beschneidet Sie in Ihrer Meinungsfreiheit. Aber man wird ja wohl nachfragen dürfen: Beginnen Sie jetzt damit, kritische Journalisten einzuschüchtern?

Stocker: Sie sind also der Meinung, dass ein Politiker den Medien nicht auf die Finger schauen darf?

STANDARD: In erster Linie wurden Sie dafür gewählt, Politik für dieses Land zu machen.

Stocker: Also bei allem Verständnis: In einer Demokratie hat sich jede Institution und jede Staatsgewalt der Kritik zu stellen. Zu sagen, ich dürfte darüber nicht sprechen, halte ich für einen bemerkenswerten Zugang. Das grenzt ja an Zensur! Auch Politiker dürfen Medien und Justiz auf die Finger schauen. Das ist das Wesen einer liberalen Demokratie.

STANDARD: Eigentlich wollten wir mit Ihnen lediglich über das Verhältnis zwischen der ÖVP und dem ORF Niederösterreich sprechen. Wie würden Sie es beschreiben?

Stocker: Soweit ich das weiß, ist es ein korrektes, professionelles Verhältnis. Und ich sehe in der Berichterstattung auch keine großen Unterschiede, wenn ich mir das Landesstudio Burgenland anschaue.

"Also bei allem Verständnis: In einer Demokratie hat sich jede Institution und jede Staatsgewalt der Kritik zu stellen."
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Bleiben wir in Wien: Was wird die unbeliebte schwarz-grüne Regierung im kommenden Jahr tun, um Fahrtwind zu bekommen?

Stocker: Die ÖVP wird aus den Entwicklungen im U-Ausschuss und mit der Justiz ihre Lehren ziehen. Wir haben den Entwurf des Korruptionsstrafrechts überarbeitet und jetzt den Grünen eine rechtskonforme Lösung übermittelt. Im Jänner bei der Regierungsklausur wollen wir uns mit dem Gesetz befassen.

STANDARD: Mandatskauf wird also bald ein Strafrechtstatbestand sein?

Stocker: Ja, das wird in der Reform des Korruptionsstrafrechts enthalten sein. Wir hatten erhebliche Bedenken bei dem Entwurf, der uns vonseiten des Justizministeriums vorgelegt wurde. Aber jetzt haben wir eine Variante gefunden, auf die man sich einigen sollte.

STANDARD: Für die Justiz finden Sie selten lobende Worte. Halten Sie die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft für politisch motiviert?

Stocker: Ich halte es für rechtsstaatlich schwierig, wenn wir Verfahrensdauern haben, die bis zu einem Jahrzehnt gehen, bevor eine Anklage oder Einstellung erfolgt. Hier kommen wir mit dem Grundrecht auf ein faires Verfahren in Konflikt.

STANDARD: Gegen lange Verfahrensdauern gibt es ein Rezept: Staatsanwaltschaften personell aufstocken.

Stocker: Ich habe die Information, dass die WKStA personell nicht schlecht aufgestellt ist.

STANDARD: Sie wollen, dass im Rahmen von Ermittlungen die Sicherstellung von Handys und damit die Arbeit von Staatsanwälten erschwert wird. Hoffen Sie, dass dadurch die WKStA besser im Zaum gehalten wird?

Stocker: Die Frage, wie man die Sicherstellungsbestimmungen ändert, hat mit der WKStA gar nichts zu tun. Da geht es um die Frage, wie die Strafrechtsprozessordnung mit der technischen Entwicklung Schritt hält. Ein Handy ist heute etwas anderes als vor zwanzig Jahren.

STANDARD: Seit bald 100 Jahren gibt es das Amtsgeheimnis. Inzwischen ist Österreich das einzige Land in Europa, in dem es noch kein Recht auf Auskunft gibt. Wann kommt das Informationsfreiheitsgesetz?

Stocker: Ich bin zuversichtlich, dass das noch in dieser Legislaturperiode gelingen wird.

"Ich halte es für rechtsstaatlich schwierig, wenn wir Verfahrensdauern haben, die bis zu einem Jahrzehnt gehen, bevor eine Anklage oder Einstellung erfolgt."
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Die ÖVP soll laut Rechnungshof 2019 um 900.000 Euro mehr für den Wahlkampf ausgegeben haben, als sie angegeben hat. Warum kämpft die ÖVP in Wahlkämpfen nicht mit fairen Mitteln?

Stocker: Ich weise zurück, dass wir im Wahlkampf 2019 nicht mit fairen Mitteln gekämpft hätten. Die nun dem Unabhängigen Parteien-Transparenz-Senat zur Prüfung vorgelegten Rechtsfragen sind für uns eindeutig – und zwar insofern, dass diese 900.000 Euro nicht als Wahlkampfkosten einzustufen sind.

STANDARD: Sollte sich der Senat der Einschätzung des Rechnungshofs anschließen: Werden Sie sich im Namen der Partei für die unlautere Vorgehensweise entschuldigen?

Stocker: Würde sich denn der Rechnungshof entschuldigen, wenn es anders ist? Wenn die Entscheidung vorliegt, werden wir uns diese ansehen und darauf so reagieren, wie dann zu reagieren sein wird.

STANDARD: ÖVP-Klubchef August Wöginger sprach sich unlängst im Interview mit dem STANDARD für eine Überarbeitung der Europäischen Menschenrechtskonvention aus. Pflichten Sie ihm bei?

Stocker: Es ist klar, dass die Menschenrechtskonvention nicht änderbar ist, nur weil Österreich das wollen würde. Es gibt Bestimmungen, die in ihrem Inhalt außer Streit stehen, die in ihrer Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof aber weiterentwickelt wurden. Und diese Weiterentwicklung ist in gewissen Teilen zu kritisieren. Es gibt eine gerichtliche Entscheidung, wonach selbst jemand, der schwere Straftaten bei uns begeht, nicht abgeschoben werden darf. Da frage ich mich, wer und welcher Artikel schützt die Bevölkerung in unserem Land?

STANDARD: Gerade ist Gerald Fleischmann, der als "Mister Message-Control" von Ex-Kanzler Sebastian Kurz bekannt wurde, zum Kommunikationschef der Partei bestellt worden. Soll mit ihm wieder mehr Message-Control in der ÖVP einziehen?

Stocker: Fleischmann ist ein Vollprofi. Ich bin froh, ihn im Team zu haben. Über Message-Control mache ich mir keine Gedanken.

STANDARD: Nachdem wir schon mit einer Grußformel begonnen haben, wollen wir so auch schließen: Schöne Feiertage!

Stocker: Wir wollen mit unseren Formeln konsistent bleiben, also: Ein gesegnetes Weihnachtsfest! (Katharina Mittelstaedt, Sandra Schieder, 24.12.2022)