Nach Krise sieht das nicht aus. Zumindest, wenn man durch die größeren Städte geht. Viele scheinen sich die Feiertage nicht durch Zukunftssorgen verderben zu wollen.

Eine andere Erklärung wäre, dass die Regierung viele Probleme – Teuerung, Nachfragerückgang – einfach mit Geld anschüttet, und zwar schon seit Beginn der Pandemie. Das ist grundsätzlich nicht falsch. Vor fast hundert Jahren war es konventionelle Weisheit, dass man sich in der Weltwirtschaftskrise "gesundsparen" müsse. Das Ergebnis waren reihenweise Bankenkrachs, eine Depression mit 25 Prozent Arbeitslosen und die Nazis als stärkste Partei. Wenigstens daraus hat man gelernt, wenn auch in Österreich die konkrete Umsetzung mit massiver Überförderung bestimmter Liebkinder und generell unklaren Kriterien einherging.

Viele scheinen sich die Feiertage nicht durch Zukunftssorgen verderben zu wollen.
Foto: APA/dpa/Frank Rumpenhorst

Gewissheitszerstörungen

Dennoch spürt fast jeder in diesen Tagen, dass alte Gewissheiten nicht mehr gelten. Da ist zunächst die ganz große Verunsicherung. Wer hätte gedacht, dass eine Atommacht in Europa einen verbrecherischen Krieg beginnt und die bisherige Ordnung Europas zerstören will? Wer hätte gedacht, dass dieses eiserne chinesische Regime, das alles im Griff zu haben schien, ein katastrophales, von diktatorischer Hybris geleitetes Missmanagement in Sachen Corona zusammenbringt, das – wieder! – den Rest der Welt gefährdet? Und wer hätte gedacht, dass in der Leitdemokratie USA nur mit knapper Not ein undemokratischer Putschversuch eines abgewählten Präsidenten abgewehrt werden konnte?

Aber es gibt auch in unserem ziemlich geordneten, sehr wohlhabenden Land in der Mitte Europas die plötzliche Erkenntnis, dass viele wichtige Errungenschaften, die man eigentlich für garantiert hielt, plötzlich in Gefahr scheinen. An erster Stelle das Gesundheitssystem, in das wir – grundsätzlich zu Recht – Unsummen investieren, das aber vor dem Kollaps zu stehen scheint. Ärzte und Pflegepersonal in den Spitälern sind am Rande des Zusammenbruchs, niedergelassene Kassenärztinnen und -ärzte werden allmählich zur Seltenheit, schon überhaupt im ländlichen Raum. Mitten in einer Welle von Atemwegsinfektionen (keineswegs nur Corona) werden plötzlich Medikamente knapp – weil wir die Produktion fast zur Gänze aus Europa wegverlagert haben. Dass wir jahrzehntelang dachten, wir könnten uns bei unserer Energieversorgung fast vollkommen auf eine aggressive Despotie konzentrieren, weil wir mit den Russen eh so gut können, ist die zweite große Gewissheitszerstörung dieses Jahres.

Versagen der Politik

Das kann man nicht alles mit den Verwerfungen durch die Pandemie erklären, da hat auch die Planung versagt – bei Ärzten und Pflegepersonal waren Pensionierungswellen nicht vorhersehbar? (Ebenso nicht beim Personal der Wiener Verkehrsbetriebe?) Junge Leute, die den Ärzteberuf ergreifen wollen, siebt man mit absurd gestalteten Aufnahmsprüfungen aus?

Letztlich wird vernünftige, auch unbequeme Politik viel schwerer, weil das grundsätzliche Vertrauen in die Politikerklasse weitgehend erodiert, wie ständig neue Umfragen zeigen. Ein gefrustetes Wahlvolk schielt schon wieder auf die Rechtspopulisten, die schon wieder vorne liegen, trotz ihrer x-mal bewiesenen Korruption und Inkompetenz. Ist auch die Gewissheit in Gefahr, dass ein rechter Krakeeler nicht Kanzler werden kann?

Nein, wir schaffen das alles schon irgendwie. Vermutlich. Wir sind kein failed state. Wir müssen nur zur Kenntnis nehmen, dass es mit vielen alten Gewissheiten vorbei ist. Und darauf achten, nicht wieder auf populistische Scheinlösungen hereinzufallen. (Hans Rauscher, 23.12.2022)