Alexander Kail (Stanton Chase, links) hat Hannes Kainz als Wachstumsmanager für die Patchbox gefunden.
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Ein Start-up im Tech-Bereich mit gerade einmal fünf Millionen Euro Umsatz, 17 Mitarbeitenden und keinem Gewinn holt einen erfahrenen Top-Manager aus der internationalen Konzernwelt an Bord – zu den Gehaltsbedingungen der Multis in diesen Positionen. Also rund 200.000 Euro Jahresbrutto aufwärts. Über Phantom-Shares und künftige Stakes könnte das für ehemalige Konzernleute enorm lukrativ werden. So weit ist der Wechsel des Managers verständlich. Aber warum hat der junge Spezialist für bessere Verkabelung und Wartung von Servern, Patchbox, das gemacht?

Jedenfalls, sagt Alexander Kail vom Executive-Search-Unternehmen Stanton Chase, sei das kein Einzelfall. Immer häufiger würden Investoren für ihre Beteiligungen auf dem Weg in die nächste Dimension Konzernexpertise suchen – oder suchen lassen. Mittlerweile mache das fast ein Fünftel des Geschäfts im traditionellen Search von Stanton Chase aus, berichtet Kail. Auf Kandidatenseite finde er ein volles Portfolio – die Motive zum Wechsel aus dem Konzern in ein Start-up seien ziemlich ähnlich: Nach vielen Jahren in Hierarchien mit langen Entscheidungswegen, nach Jahren, in denen die getragene Verantwortung nicht mitgestaltet werden konnte, Ziele wie ein Wasserfall von oben nach unten gespült wurden, wächst die Lust auf Unmittelbarkeit, auf Wirksamkeit, auf kurze Wege und aktive Gestaltung der Verantwortung.

Kürzlich ist ein solcher Kandidat Kails in Wien bei Patchbox als Chief Sales Officer und Mitglied der Geschäftsführung (gemeinsam mit den beiden Gründern) in das Team mit rund 30 Jahren Durchschnittsalter eingezogen. Hannes Kainz soll Strukturen, Prozesse und die Möglichkeit des Wachstums und der Skalierung in die Truppe bringen. Investor Constantia New Business (CNB) will solcherart 25 Millionen Umsatz bis 2025. Kainz, zuvor internationaler Sales-Mann bei Nixdorf und zuletzt auch Account Executive im Bundesrechenzentrum, sieht in den kommenden Jahren mit internationalem Rollout – auf dem Plan steht der Aufbau eines Sales-Netzwerks in den USA – 250 Millionen Euro auf der Umsatzseite.

STANDARD: Im Oktober sind Sie aus der internationalen Konzernwelt in ein Team von knapp 20 Leuten – Durchschnittsalter 30 – gekommen. Was haben Sie vorgefunden?

Kainz: Ein enorm engagiertes, cooles Team, sehr dynamisch, sehr impulshaft – mit einer hohen Fluktuation. Ich bin mit 48 der Älteste.

STANDARD: Sind Sie gekommen, um Konzernstrukturen und -prozesse auszurollen? Werden Sie freudig begrüßt?

Kainz: Wir wollen die Dynamik, die schnellen Entscheidungen und die kurzen Wege nicht verlieren, die brauchen wir auch für unser Wachstum. Mir taugt das! Aber wir brauchen Prozesse – etwa für Onboarding. Basale Strukturen eben, das gibt auch Sicherheit und Berechenbarkeit. Das wollen die Leute hier auch.

STANDARD: Was hat Sie aus einer guten Karriere im Konzern getrieben?

Kainz: Ich will endlich wieder das, wofür ich verantwortlich bin, auch gestalten können. Führungskräfte im Konzern sind tendenziell Verwalter, oft ist man am Ende eine Nummer, es werden Ziele von oben wie in einem Wasserfall herunterdekliniert. Hier kann ich unmittelbar wirksam sein, Führung und Strukturen so einbringen, dass die Leute selber zu Entscheidungen kommen. Um diese Befähigung geht es mir, das ist mein Purpose.

STANDARD: Haben Sie dafür auf Gehalt verzichten müssen?

Kainz: Das Gesamtpaket hat sich mehr in Richtung unternehmerische Verantwortung verschoben.

STANDARD: Frage an den Personalberater, der Sie gefunden hat: Herr Kail – stehen wir eigentlich am Anfang einer größeren Bewegung aus Konzernen hinaus, eine Art Braindrain in Richtung Start-ups?

Kail: Wir haben nun rund 15 bis 20 Prozent unseres Geschäftsvolumens im Executive-Search Mandate von Investoren oder Stiftungen, die für ihre Beteiligungen, für die nächsten Schritte der Start-ups, erfahrene Manager und Führungspersönlichkeiten suchen, die den Gründern zur Seite stehen. Und auf Kandidatenseite ist das Interesse groß – das ist vor fünf Jahren noch nicht so gewesen.

STANDARD: Die gehaltliche Einstufung in der Konzernwelt wird da immer mitgenommen?

Kail: Ja, im Wesentlichen. Wir sprechen bei vergleichbaren Positionen von rund 200.000 Euro Jahresbrutto aufwärts. Es kommt in der Remuneration allerdings stärker die unternehmerische Verantwortung zum Tragen.

STANDARD: Auch Start-ups wie Patchbox suchen neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wo sind all die Leute, die von Bitpanda und anderen weggegangen sind oder gehen mussten?

Kail: Hier merkt man schon Bewegung – manche setzen aber noch auf Sicherheit und warten ab. (Karin Bauer, 30.12.2022)