Karen (Franziska Hartmann) kümmert sich um Zoe, gespielt von Aennie Lade.

Foto: ZDF, Georges Pauly

Jasper Klein (Leopold Mühlbauer), Elli Klein (Mila Denev), Marie Klein (Peri Baumeister), Rami Aziz (Omran Saleh), Sarah Reimers (Mina Tander), Greta Reimers-Stein (Emilia Kowalski), Zoe Brandt (Aennie Lade) und Karen Holt (Franziska Hartmann).

Foto: ZDF, Sandra Hoever

Dass es in den schnöseligen Vorstädten hinter den Glasfassaden der Villen brodelt und dort eine ganz und gar nicht heile Welt zu Hause ist, wissen wir nicht erst seit "Big Little Lies" oder der kürzlich ausgestrahlten ORF-Serie "Tage, die es nicht gab". Wie schnell dieses Gefüge aus Bobo-Freundinnen, Karriere-Ehemännern und so verwöhnten wie vernachlässigten Kindern Risse bekommen und wie schnell die Blase, in der es sich diese Vorzeigefamilien eingerichtet haben, zerplatzen kann, zeigt jetzt auch die sechsteilige TV-Serie "Neuland", die am Dienstag und Mittwoch im ZDF (ab 22.15 Uhr) und noch länger in der ZDF-Mediathek zu sehen ist.

Viele Fragen, keine Antworten

Die Spirale aus Lügen, Gewalt, Mobbing und Beziehungsdramen setzt ein, als Alexandra Brandt, alleinerziehende Mutter zweier Töchter, spurlos verschwindet. Von einem Tag auf den anderen ist sie weg, die Polizei hat keine Spur, ihr Umfeld ist geschockt. Warum ist sie weg, und wo ist sie? Die Antworten auf diese Fragen fehlen ebenso wie jene auf die Frage, was jetzt aus der jugendlichen Lea und ihrer jüngeren Schwester Zoe werden soll.

Als Ersthelfer springen Alexandras Freundinnen ein. Längerfristig soll Alexandras Schwester Karen Holt (wunderbar spröde: Franziska Hartmann) die beiden Mädchen betreuen. Sie ist Berufssoldatin – früher unter anderem im Kosovo und in Afghanistan –, wird von ihrem Einsatz in Mali heimgeholt in ihre alte vermeintlich idyllische Heimat Sünnfleth.

In Camouflageanzug und Baseballkappe, wortkarg, traumatisiert von ihren Einsätzen und suchtkrank will sie so gar nicht in diese schnöselige Welt passen, in der sich die Helikoptermamas im Elternverein der Schule engagieren und in der nach außen zur Schau gestellter Perfektionismus mehr zu zählen scheint als alles andere. Tabletten und Flachmann helfen Karen gegen die Traumata der Vergangenheit, aber auch gegen ihre Angst vor der Zukunft.

tb vent

Vom Kriminalfall zum Gesellschaftsdrama

Drehbuchautor und Produzent Orkun Ertener ("KDD – Kriminaldauerdienst", "Die Chefin", "Letzte Spur Berlin") nimmt das Verschwinden Alexandras zum Anlass, alten Geheimnissen, Rollenbildern und verschiedenen Beziehungskonstellationen rund um Alexandras Freundinnen, die Eltern der Schulfreundinnen und die Kollegen auf den Grund zu gehen. Und welche Abgründe sich da auftun, ist oft überraschend, schockierend und vor allem schmerzhaft. Was mit einem Vorfall in der Grundschule – Zoe wird von einem Mitschüler heftig angegriffen – beginnt, zieht seine Kreise.

Es geht um Selbstoptimierung, Panik im Hinblick auf sozialen Abstieg, Rassismus, Missbrauch. Jede Familie hat hier ihr echt schweres Packerl zu tragen. Bei Marie (Peri Baumeister) und Hauke Klein (Godehard Giese) sind das etwa (nicht nur) unterschiedliche Meinungen über Erziehung und Lebensentwürfe, bei Sarah Reimers (Mina Tander) und ihrem Partner Erik (Steve Windolf) geht es um #MeToo-Themen, bei Anke Ritter (Anneke Kim Sarnau) und ihrem Mann Daniel (Christian Erdmann) um Gewalt und Manipulation.

"Es ist einfacher, zu den Opfern zu gehören als zu den Tätern", sagt Karen einmal. Aber einfach ist hier gar nichts, ehrlich sind die wenigsten, und sich weiter zusammenzureißen ist keine Option mehr.

Aus einem Kriminalfall wird mehr und mehr ein spannendes Gesellschaftsdrama, gekonnt entlarvt Regisseur Jens Wischnewski die Lebenslügen und Egoismen hinter den pipifeinen Vorstadtgärten. Harter Stoff, aber sehenswert. (Astrid Ebenführer, 27.12.2022)