Auf der Nordhalbkugel sind die grün leuchtenden Schleier besonders im Winter gut zu sehen, wenn die Luft klar ist und die Sonne tagsüber gar nicht aufgeht.
Foto: IMAGO/Panthermedia

Ein klarer Nachthimmel, Sterne, wohin das Auge reicht, und dazwischen taucht ein grau-grüner Dunstschleier auf: Der fast gespenstische Nebel erhält die Form von Bändern, die teilweise übereinanderliegen und sich wie Meereswellen bewegen, langsam, fast so wie das Schiff, auf dem sich die Beobachterinnen und Beobachter dieses phänomenalen Naturschauspiels im hohen Norden befinden.

Wieder einmal sind elektrische Teilchen der Sonnenwinde auf Sauerstoff- und Stickstoffatome der oberen Erdatmosphäre getroffen. Die Winde sind enorm schnell, sie erreichen, wenn sie die Sonne verlassen, 300 bis 500 Kilometer in der Sekunde. 98 Prozent werden vom Erdmagnetfeld abgestoßen, glücklicherweise, sonst wäre ein Leben auf unserem Planeten nicht möglich. Die übrigen zwei Prozent sind ungefährlich für Menschen, dringen durch das Magnetfeld und verursachen die Lichtspiele.

An Deck der Polarlys

Das Meer ist ruhig wie nur selten zu dieser Jahreszeit. Das Passagierschiff Polarlys gleitet auf seiner Reise von Bergen nach Kirkenes und wieder zurück – sanft wie auf einem weichen Teppich – an der Küste Norwegens vorbei. Normalerweise hört man nur das Rauschen der Wellen, die das Schiff beim Fahren macht, Maschinengeräusche und natürlich das Flüstern und Lachen der Menschen, die auf Deck 5 spazieren gehen und sich unterhalten. Aber in diesem Moment sind sie alle still, versammeln sich am Bug, staunen und versuchen mit teilweise unzureichenden Kameras oder Handys Fotos von diesen Nordlichtern – Aurora borealis – zu machen.

Nur wenige haben das notwendige Stativ mit, um die Belichtungszeit so auszudehnen, dass die Nordlichter darauf gut sichtbar werden und vor allem das Bild nicht verwackelt wird. Hans Koechl, Amateurastronom aus Kärnten, bittet, nicht zu blitzen. Er muss es ein- bis zweimal wiederholen, weil einige Gäste mit ihrer fotografischen Ausrüstung nicht zurechtkommen.

Das bessere "Auge"

Koechl erklärt, wie aus dem Dunst in der Kamera das berühmte grüne Licht wird. Bei Nacht sehen Menschen mit den Stäbchen, jenen Sinneszellen der Netzhaut, die Lichtwahrnehmung ermöglichen. Wir sehen mit ihnen aber nur grau, Farben nehmen wir erst wieder wahr, wenn es heller wird. Die Kamera filtert das Licht anders als unsere Augen, daher erscheinen sofort alle Nordlichter in Farbe.

Es liegt natürlich ein Zauber in der Luft. Und ein wenig Wissenschaftsgeschichte: Nordlichter wurden erstmals vom norwegischen Physiker Kristian Birkeland (1867- 1917) wissenschaftlich beschrieben. Bei einer Reise 1897 wollte er seine Theorie, die Sonnenstürme würden ausschlaggebend sein, in der Realität nachweisen – dabei kam er fast ums Leben. Es war wohl die Kälte, die ihm damals zu schaffen machte. Heute ist allgemein bekannt, dass Nordlichter zu Ausfällen bei technischen Geräten führen können – vor allem bei Satelliten und Flugzeugen, weshalb bei starken Aktivitäten die Flughöhe geringer gehalten wird.

Mythen und Zufälle

Wer nicht weiß, wie Nordlichter entstehen und zu esoterischem Hokuspokus neigt, könnte sich leicht irreleiten lassen. In der nordischen Mythologie war der Aberglaube, es handelte sich bei Nordlichtern um Zeichen von Verstorbenen, gar keine Seltenheit. Die Naturerscheinung wurde auch oft als Vorbote von Kriegen und Seuchen gesehen.

Wer sich in einschlägigen Internetforen bewegt, wird derlei auch heute noch lesen können. Wir wissen natürlich, dass das Unsinn ist, wir wissen, wie Nordlichter entstehen und sind schlicht begeistert über die Himmelskonstellation und das physikalische Zusammenwirken verschiedener Komponenten. Dazu gehört der Zufall, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein. In diesem Fall ist es Skjervøy, eine Kommune nordöstlich von Tromsø auf dem 70. nördlichen Breitengrad. Das ist innerhalb des nördlichen Polarkreises, der bei 66,5 Grad liegt.

Nordlichter treten in den Polarregionen auf und sind von Finnland über Norwegen bis nach Kanada und Alaska besonders häufig.
Foto: Irene Stachon / Lehtikuva / AFP

Wäre das Schiff jedoch auf den gleichen Breitengraden im Süden unterwegs, dann würde man sich in der Antarktis befinden. Polarlichter kann man aber auch dort beobachten (Aurora australis), diese Region ist freilich unbewohnt und wird von Menschen nur zu Forschungszwecken besucht.

Ersatz für die Sonne

Tageslicht sieht man in diesen Tagen nördlich des Polarkreises nur wenig. Die Sonne geht hier im Winter nicht auf, das heißt aber nicht, dass es 24 Stunden dunkel ist. Die Menschen auf dem Schiff können wahrhaft spektakuläre Lichtspiele bestaunen. Da die Sonne sich ausschließlich hinter dem Horizont bewegt, kann man eine relativ lange Phase roten Lichts am Himmel und am Meer erleben. Das Morgenrot geht direkt ins Abendrot über.

Und wenn man genau schaut, ist ab und zu eine Fata Morgana zu sehen. Das Licht wird zwischen kalter Luft und warmer Meeresströmung gebrochen und lässt manche Insel in der Ferne schwebend erscheinen. Dazu braucht es allerdings ein gutes Auge oder jemanden, der genau darauf aufmerksam macht.

Wir fragen den mitreisenden Astronomen Koechl, ob es möglich sei, Polarlichter vorherzusagen: Er erklärt den Kp-Index, der von Julius Bartels 1949 am Geophysikalischen Institut Potsdam entwickelt wurde, um die Strahlung der Sonnenwinde durch ihre magnetische Wirkung darzustellen.

Warten auf Glücksmomente

Der Index ermöglicht eine Orientierung, es bedeutet aber keinesfalls, dass man auch das Glück hat, Polarlichter zu sehen. Denn während der Reise erleben wir das Naturschauspiel, obwohl ein Index von nur drei angegeben wurde. Am nächsten Tag wiederum ist nichts zu sehen, obwohl der errechnete Kp-Wert von fünf eigentlich eine höhere Wahrscheinlichkeit suggerierte.

Die Faustregel heißt: Um besonders schöne Nordlichter zu sehen, muss die Solarwindgeschwindigkeit hoch und das interplanetare Magnetfeld im Verhältnis zum planetaren Magnetfeld negativ sein. Alles in allem sind das schon recht viele Eventualitäten, die es braucht, um das beeindruckende Naturschauspiel bewundern zu können. Und wenn es dann tatsächlich gelingt, wird man diesen Moment auch nie vergessen. (Peter Illetschko, 01.01.2023)