Wenn die Schwangerschaft nicht klappt, beginnt für Paare oft ein langer Leidensprozess.

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Wenn es mit der geplanten Schwangerschaft einfach nicht klappen will, ist der Weg in eine Kinderwunschklinik für viele Paare die letzte Option. Hier kommt vor allem die sogenannte In-vitro-Fertilisation (IVF) zum Einsatz. Dabei handelt es sich um eine Methode der künstlichen Befruchtung, bei der Eizelle und Sperma in einem Reagenzglas außerhalb des Körpers zusammengebracht werden. Im Falle einer Befruchtung erreicht der Embryo nach fünf Tagen das Stadium einer sogenannten Blastozyste und wird in die Gebärmutter transferiert.

Gemessen am Leidensdruck, von dem viele Betroffene berichten, ist die Erfolgsquote der Methode jedoch bescheiden. Laut österreichischem IVF-Register wurden im Jahr 2021 in darauf spezialisierten heimischen Zentren 9657 Embryotransfers durchgeführt. Diese führten zu 3354 Schwangerschaften, was einer Erfolgsquote von 34,7 Prozent entspricht. Durch wiederholten Embryonentransfer lässt sich die Wahrscheinlichkeit erhöhen. Die Österreichische IVF-Gesellschaft spricht von durchschnittlich 50-prozentigen Erfolgswahrscheinlichkeit nach drei Versuchen.

Chancen auf Schwangerschaft erhöhen

Um die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Schwangerschaft zu erhöhen, wollen Forschende des Software Competence Center Hagenberg (SCCH) daher zusammen mit dem Kinderwunsch-Zentrum des Kepler-Universitätsklinikums in Linz künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen einsetzen.

Bei der Befruchtung mittels In-vitro-Fertilisation entstehen in der Regel mehrere Blastozysten. Da meist nur eine, selten auch zwei in die Gebärmutter transferiert werden, ist es wichtig, die geeignetsten zu identifizieren. Welche Blastozysten am besten für den Transfer geeignet sind, entscheiden Embryologinnen und Embryologen anhand bewährter Merkmale. Meist kommt die Klassifizierung nach David Gardner zum Einsatz. Diese kennt drei Kriterien: den Grad der Ausdehnung der Blastozyste, die Qualität der inneren Zellmasse sowie die Qualität der äußeren Zellschicht, Trophoektodermes genannt.

Hilfestellung für Fachleute

Das erste Kriterium kann fünf Werte annehmen, die beiden anderen je drei. Es gibt rechnerisch also 45 mögliche Bewertungen einer Blastozyste. Anhand von Bildern, die mit Durchlichtmikroskopie aufgenommen wurden, weisen die Fachleute den vorliegenden Blastozysten jeweils einen dieser Werte zu und reihen sie damit nach ihrer Eignung für einen Transfer in die Gebärmutter.

An dieser Stelle setzen die Hagenberger an. Sie entwickeln ein System, das mittels Lernmethoden aus der künstlichen Intelligenz darauf trainiert wird, Bilder von Blastozysten nach den genannten Kriterien zu klassifizieren. "Wir trainieren Modelle, die mit den Bilddaten und den Einschätzungen der Fachleute gefüttert werden", sagt Florian Kromp, Senior Data Scientist beim SCCH. "Daraus lernen die Modelle dann selbstständig, welche Eigenschaften für eine Klassifizierung der Blastozysten relevant sind."

Bei den verwendeten Modellen handelt es sich um sogenannte "Vision Transformers", eine erst wenige Jahre alte Methode in der Bilderkennung. Dabei wird das Bild zuerst in mehrere Abschnitte zerlegt. Verschiedene hintereinander angewendete Mechanismen finden dann sukzessive Zusammenhänge zwischen ihnen. Dadurch wird es möglich, Information, die über verschiedene Stellen im Bild verteilt sind, zu extrahieren. Das System soll die Fachärztinnen und -ärzte allerdings nicht ersetzen, sondern ergänzen. Schon jetzt trifft im Regelfall nicht eine Embryologin allein die Entscheidung über die Qualität der Blastozysten, sondern berät sich mit Kollegen.

Um die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft bei künstlicher Befruchtung zu erhöhen, sollen künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen helfen.
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Vertrauen in neue Systeme stärken

Der künstlichen Intelligenz käme damit die Rolle einer zusätzlichen Expertise zu, die die zwangsläufig subjektive Komponente der professionellen menschlichen Einschätzung um mathematische Präzision ergänzt. Das Projekt läuft noch bis März 2023 und wird vom Land Oberösterreich im Rahmen des Programms #upperVISION2030 gefördert. Weitere Fördermittel erhält das SCCH über die Forschungsförderungsgesellschaft FFG und das Klimaschutzministerium.

In Zukunft soll das Modell aus Oberösterreich nicht nur Blastozysten nach den Gardner-Kriterien klassifizieren können, sondern auch gleich die Wahrscheinlichkeit mitliefern, wie treffsicher die Klassifikation ist. Dafür werden Methoden des statistischen Lernens implementiert, um Konfidenzintervalle für die getroffenen Aussagen berechnen zu können. Damit soll das Vertrauen in das neue System gestärkt werden.

Transparente Entscheidungen

In dieselbe Richtung geht eine weitere Besonderheit, an der die Forschenden des SCCH bereits tüfteln. Anhand von Heatmaps, also farblich gekennzeichneten Versionen der Bilder, soll visuell deutlich gemacht werden, welche Teile des Bildes für die Entscheidung genutzt wurden. Damit wollen die Projektverantwortlichen der weitverbreiteten Meinung entgegentreten, dass künstliche Intelligenz eine intransparente "Black Box" sei, deren Entscheidungsfindung im Dunkeln bleibe.

Die Kombination von künstlicher Intelligenz und Reproduktionsmedizin ist ein Forschungsfeld von wachsendem Interesse. Verschiedene Gruppen entwickeln weltweit Modelle, die auch andere Faktoren als die aus Oberösterreich berücksichtigen. Auch die Qualität von Spermien und Eizelle, klinische Daten oder eine genetische Bewertung des Paares spielen zunehmend eine Rolle.

Die Entwicklung des SCCH könnte als Baustein dazu beitragen, dass die Erfolgswahrscheinlichkeit bei künstlicher Befruchtung steigt. "Je mehr Daten man zur Verfügung hat, desto besser kann man bestimmte Eigenschaften extrahieren", ist Datenwissenschafter Kromp zuversichtlich. (Raimund Lang, 3.1.2023)