Im Verteidigungsministerium in Taipeh werden taiwanische Flaggen geschwenkt.

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Ein Jahr statt vier Monate – die Verlängerung ist durchaus massiv. Eigentlich hatte Taiwans Regierung geplant, die allgemeine Wehrpflicht ganz abzuschaffen und stattdessen auf ein Freiwilligenheer zu bauen. Noch in den 1990er-Jahren mussten Männer bis zu drei Jahre im Heer dienen. Sukzessive wurde diese Zeit aber verkürzt, zuletzt auf bloß noch vier Monate. Doch nun kam alles anders. Ab 2024 müssen junge Männer wieder ein ganzes Jahr zum Militär. Das hat die Präsidentin der Insel, Tsai Ing-wen, am Dienstag bekanntgegeben.

Auch wenn der Schritt für viele überraschend kam – der Zeitpunkt ist es eigentlich nicht. Schon seit Monaten spitzen sich die Spannungen zwischen der Insel Taiwan und der Volksrepublik China zu. Peking betrachtet Taiwan als abtrünnige Insel, die irgendwann wieder ans Festland angegliedert werden müsse, zur Not auch mit Gewalt. Taiwan wiederum funktioniert als demokratischer selbstregierter Quasistaat, der vor allem unter der regierenden Demokratische Fortschrittspartei (DPP) unter Tsai immer mehr mit einer echten Unabhängigkeit liebäugelt.

Tsai Ing-wen möchte das taiwanische Heer vergrößern.
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Die USA stehen Taiwan im Konflikt mit China zur Seite. Sie unterstützen den Inselstaat seit Jahrzehnten mit militärischen Lieferungen. Präsident Joe Biden hatte in den vergangenen Monaten auch mehrmals angedeutet, mit einer langen Strategie zu brechen, und sprach sich positiv dafür aus, Taiwan im Falle eines Angriffs Chinas aktiv zu verteidigen.

Offensichtlich möchte Taiwan aber auch eigenständige Schritte setzen, um die eigene Armee schlagkräftiger zu machen. Als Grund für die Wehrdienstverlängerung nannte Tsai, dass Chinas "Einschüchterungen und Drohungen gegen Taiwan" immer "offensichtlicher" würden. Das aktuelle System sei "ineffizient", fügte sie hinzu. Es würde nicht ausreichen, um mit der Bedrohung des chinesischen Militärs umzugehen.

Militärische "Stachelschweinstrategie"

China betrachtet Taiwan wiederum als von Washington gesteuert. Die USA würden die "Stachelschweinstrategie" verfolgen, hieß es vor wenigen Tagen in der staatlichen "Global Times". Mithilfe von Waffenverkäufen und militärischer Hilfe würde Washington aus der Insel ein "militärisches Stachelschwein" machen, das "das Festland nicht beißen könne". Dem würde sich Peking aber widersetzen: "Jedes Mal, wenn die USA den Widerstand der DPP gegen die Wiedervereinigung unterstützen, verdoppeln wir den Druck."

Gerade in der vergangenen Woche wurde wieder ordentlich an der Eskalationsschraube gedreht. Die USA haben da ihre Budgetpläne für 2023 veröffentlicht. Darin findet sich auch ein fetter Posten von rund zehn Milliarden US-Dollar für Waffenlieferungen und militärische Unterstützung für Taiwan. Das erboste wiederum Peking, das darin einen Bruch des "Ein-China-Prinzips" verortet. Auf diesen Kompromiss hatten sich die Streitparteien geeinigt: Es gibt nur ein China – wer die legitime Regierung stellt, bleibt strittig.

Militärmanöver um Taiwan

Als Antwort auf das neue US-Budget führte das chinesische Militär ab Sonntag wieder massive Manöver in der Straße von Taiwan durch, sowohl zu Wasser als auch in der Luft. Dabei drangen dutzende Kampfjets in Taiwans Luftverteidigungszone ein. Auch eine gedachte Grenzlinie über dem Meer wurde übertreten. Außerdem sollen chinesische Flieger auch in den eigentlichen taiwanischen Luftraum eingedrungen sein. Bei diesem Manöver habe es sich um den bisher größten Übergriff der chinesischen Luftwaffe gehandelt, hieß es von taiwanischen Medien.

Für Peking sind die Manöver nicht bloß eine Möglichkeit, "Willen und Entschlossenheit" zu zeigen, hieß es in der "Global Times". Es seien vor allem Militärübungen für den Ernstfall.

Taiwan möchte wiederum angesichts der Bedrohungslage Stärke zeigen. Darin sieht Taipeh den Schlüssel, Peking von einem echten Angriff abzuhalten. "Solange Taiwan stark genug ist, wird es (...) nicht zu einem Schlachtfeld werden", sagte Tsai, als sie die längere Wehrdienstzeit verkündete.

Laut Beobachtern aus Taiwan wird der Schritt dazu führen, dass die taiwanische Armee um rund 60.000 bis 70.000 Soldaten vergrößert wird. Derzeit zählt sie 165.000. (saw, 28.12.2022)