Das Land Beringia, also jene Brücke zwischen Asien und Amerika, die es den Menschen einst ermöglichte, den Doppelkontinent zu Fuß zu erreichen, tauchte offenbar später aus dem Meer auf als bisher angenommen.

Foto: AP/Saul Loeb

Lange Zeit galt die Clovis-Kultur als Wurzel aller späteren indigenen Völker auf dem amerikanischen Kontinent. Ihre Angehörigen oder zumindest ihre unmittelbaren Vorfahren sollen die ersten Menschen gewesen sein, die vor mehr als 13.000 Jahren das neue Land betraten. Zahlreiche Funde der vergangenen 25 Jahre stellten jedoch mittlerweile klar, dass die Besiedelungsgeschichte Amerikas doch etwas komplizierter ist und in vielen Aspekten immer noch Rätsel aufgibt.

Heimat und Durchzugsgebiet im hohen Norden

Über eines zumindest herrscht in der Fachwelt weitgehende Einigkeit: Welches Volk auch immer aus Asien kommend als erstes Amerika besiedelt hat, es erreichte den neuen Kontinent vom Norden her über die Landbrücke Beringia. Vermutlich nutzten sie für ihre Wanderung gegen Ende der letzten Kaltzeit die allmählich eisfreien Küsten der Landverbindung, doch es mehrten sich zuletzt auch Hinweise, dass Beringia selbst für Jahrtausende Heimat von Menschen gewesen ist. Immerhin war die "Landbrücke" zwischen Asien und Amerika genau genommen eine bisweilen recht große Region mit einer Nord-Süd-Ausdehnung von über 1.500 Kilometern.

Wann Beringia erstmals aus dem Meer aufgetaucht war, ließ sich bisher nicht mit Sicherheit sagen. Viele vermuteten, dass dies bereits früh während der letzten Eiszeit geschah, doch das dürfte ein Irrtum sein, wie eine aktuelle Studie zeigt: Die Untersuchung der Meeresspiegelentwicklung in dieser Region lässt darauf schließen, dass die Bering-Landbrücke erst vor etwa 35.700 Jahren entstand, also weniger als 10.000 Jahre vor dem Höhepunkt des letzten eiszeitlichen Maximums.

Verzögerte Eisbildung

"Das bedeutet auch, dass mehr als 50 Prozent des globalen Eisvolumens am letzten Gletschermaximum vor 46.000 Jahren gewachsen sind", sagt Tamara Pico von der University of California Santa Cruz, Autorin der nun im Fachjournal "Pnas" präsentierten Studie. "Das ist wichtig, um die Rückkopplungsprozesse zwischen Klima und Eisschilden zu verstehen. Es impliziert nämlich auch, dass es eine erhebliche Verzögerung bei der Entwicklung von Eisschilden gab, nachdem die globalen Temperaturen gesunken waren."

Die neuen Erkenntnisse sind vor allem in Bezug auf die menschliche Migration interessant, weil sie das Zeitfenster zwischen dem Auftauchen von Beringia und der mutmaßlichen Ankunft der Menschen in Amerika deutlich verkleinern. "Möglicherweise haben die Menschen schon damit begonnen, die Landbrücke zu überqueren, sobald sie sich aus den Fluten erhoben hatte", sagte Pico.

Die Karte zeigt die vermutete Ausdehnung von Beringia vor rund 18.000 Jahren.
Illustr.: Government of Yukon

Isotope und Modelle

Das Team um Erstautor Jesse Farmer von der Princeton University analysierte für seine Studie Stickstoffisotope aus Sedimenten vom Meeresboden. Aufgrund der Unterschiede in der Stickstoffisotopenzusammensetzung von pazifischen und arktischen Gewässern gelang es den Forschenden, einzugrenzen, wann Meerwasser aus dem Pazifischen Ozean in die Arktis gelangte. Die gewonnenen Ergebnisse glichen Farmer und seine Gruppe mit Meeresspiegelmodellierungen ab, die auf verschiedenen Szenarien für das Wachstum der Eisschilde basieren.

"Das Spannende für mich ist, dass die Untersuchung eine völlig unabhängige Erhebung des globalen Meeresspiegels in diesem Zeitraum darstellt", sagt Pico. "Einige der bisher diskutierten Eisschildszenarien unterscheiden sich erheblich von unseren Resultaten." Die Ergebnisse stützen auch jüngste Studien, die darauf hindeuten, dass der globale Meeresspiegel vor dem letzten Gletschermaximum viel höher war, als frühere Schätzungen vermuten ließen.

"Als würde man auf Brotteig schlagen"

Der durchschnittliche globale Meeresspiegel lag demnach während des letzten Gletschermaximums etwa 130 Meter niedriger als heute. Der tatsächliche Meeresspiegel an einem bestimmten Ort wie der Beringstraße hängt jedoch von Faktoren wie der Verformung der Erdkruste durch das Gewicht der Eisschilde ab. "Es ist, als würde man auf Brotteig schlagen – die Kruste sinkt unter der Eismasse und hebt sich an den Rändern", sagt Pico.

Die Ergebnisse weisen darüber hinaus auf eine viel komplexere Beziehung zwischen Klima und globalem Eisvolumen hin. Aus diesem Grund schlagen die Forscherinnen und Forscher neue Zugänge zur Untersuchung der Mechanismen vor, die den Gletscherzyklen zugrunde liegen. (tberg, 29.12.2022)