In "Drei Schwestern" am Landestheater Niederösterreich stehen am Ende alle Zeichen auf einen beginnenden Krieg.

Franzi Kreis

Bei den für ein ganzes Leben in der Provinz gestrandeten drei Schwestern aus Anton Tschechows gleichnamigem Drama (1901) läuft von früh bis spät The Kardashians. Besonders ihr ebenso aller Entfaltungsmöglichkeiten beraubter Bruder Andrej (Florian Carove) drückt sich am schillernden Mattscheibenleben der US-amerikanischen Celebrity-Familie die Nase platt – ein Robert Kardashian des 19. Jahrhunderts.

Andrej ist vom Frustessen dick geworden und fügt sich, geschwächt und deprimiert, in eine Ehe mit der ehrgeizigen Natascha (Marthe Lola Deutschmann), die durch Kriszta Székelys St. Pöltener Inszenierung eine Leopardenprintspur der zwischenmenschlichen Verwüstung zieht (Kostüme: Dóra Pattantyus).

Endzeit-Panorama

Diese drei Schwestern gehören ganz der Gegenwart an (zumindest kennen sie Botox) und sind doch völlig aus der Zeit gefallen. Das für sie bestimmte Leben gibt es nicht mehr: "Wir wissen so viel Überflüssiges!", jammern sie. Eine jede hat sich zur Bewältigung dieser Tragik eine andere Rüstung zugelegt: Olga (Bettina Kerl) hält sich an der Disziplin einer angehenden Schuldirektorin fest, Mascha (Julia Kreusch) windet sich zu allen Tageszeiten unter Melancholieschmerzen, und die Jüngste, Irina (Laura Laufenberg), träumt sich in die Großstadt: "Nach Moskau! Nach Moskau!"

Regisseurin Székely, beheimatet am Katona-József-Theater in Budapest, kümmert sich mit Sorgfalt um alle Figuren annähernd gleichwertig und zeichnet so das Panorama einer privilegierten Gesellschaft in einer Endzeitphase – von Menschen, die von der Zukunft träumen, aber keinen Weg dorthin finden. Ein zutiefst russisches Motiv, für das Florentin Groll als trinkfreudiger Arzt der erste menschgewordene Beweis zu sein scheint. Die Neuinszenierung am Landestheater Niederösterreich verknüpft diesen Lethargiezustand über das im Stück vorhandene militärische Personal mit der Kriegsgegenwart. Zieht das Regiment ab, so ist von einer "militärischen Spezialoperation" die Rede. Dramaturg Ármin Szabó-Székely hat Ulrike Zemmes Übersetzung neu gefasst.

"Like A Virgin"

Weiter im Panorama: Der verwöhnte Leutnant Tusenbach (Tobias Artner) kommt über Ankündigungen nicht hinaus; Soljonyi (Lennart Preining) mit Anonymous-Maske fühlt sich leer und trotzdem geladen wie der Antiheld aus Fight Club. Olgas Gatte Kulygin (Michael Scherff) übertüncht alles und jedes mit furchteinflößend guter Laune und macht sich mit einer hinreißenden Eigeninterpretation des Madonna-Songs Like A Virgin über jeden Zweifel erhaben. Oberstleutnant Werschinin (Tim Breyvogel) wiederum hat das Zeug zum Guru einer neuen Zeit: Für ihn zieht sich Mascha, die immer wegwill, die Schuhe doch wieder aus.

Mit welcher Aussicht werden Andrejs Kinder aufwachsen? Eine Idee davon liegt in ihren Namen; sie heißen nach den Sprösslingen der Ölmagnatenfamilie aus der 80er-Jahre-TV-Serie Dallas: Bobby und Pamela. Dräut gar eine Oligarchenzukunft? Viele anregende Details hat Székely hier verwoben. Allzu moralinsauer wirkt lediglich der spröde Schluss mit wohlfeil aufgesetzten Friedensappellen. (Margarete Affenzeller, 28.12.2022)