Ein Kind von etwa 10.000 erkrankt Wochen nach einer Corona-Infektion an MIS-C, einem Multientzündungssyndrom. Nun scheint man erstmals eine Ursache dafür gefunden zu haben.

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Corona ist für Kinder harmlos, hieß es von Anfang an – dabei wurde aber ignoriert, dass es in seltenen Fällen zu schweren Komplikationen kommen kann. Etwa eines von 10.000 Kindern mit Covid-19 erkrankt nämlich einige Wochen später an einer schweren Entzündungsreaktion, die viele Organe betreffen und lebensgefährlich sein kann. Nun scheint man eine Ursache für diese gefährliche Komplikation gefunden zu haben. Dieses MIS-C- oder PIMS-Syndrom dürfte laut neuesten Forschungsergebnissen durch Genmutationen im angeborenen Immunsystem ausgelöst werden. Dies berichteten jetzt US-Wissenschafter in der Wissenschaftszeitschrift "Science".

Kinder erkranken zumeist nicht an schweren Verläufen einer Sars-CoV-2-Infektion. Doch unabhängig von ihren Symptomen kann es rund vier Wochen nach der akuten Krankheitsphase zur Ausbildung von MIS-C kommen. Typische Symptome sind akutes Fieber, Hautausschläge, Bauchschmerzen, Herzmuskelentzündung, Lymphknotenschwellungen und sogar Gefäßveränderungen der Koronararterien des Herzens, wie das "Deutsche Ärzteblatt" am Dienstag online berichtete. Das Syndrom beruht offenbar auf einer überschießenden Entzündungsreaktion der kleinen und mittelgroßen Blutgefäße und kann praktisch den ganzen Körper betreffen.

Verzögerte Überreaktion des Immunsystems

"Der Überbegriff MIS-C steht für ein Multientzündungssyndrom bei Kindern, das nach einer Covid-Infektion auftreten kann", erklärte dazu Klaus Kapelari, leitender Oberarzt der Pädiatrie an der Universitätsklinik Innsbruck, Anfang 2022. "Ursache für die Entzündungsprozesse ist vermutlich eine verzögerte Überreaktion des Immunsystems auf persistierende Virusbestandteile. Die Zahl der Patientinnen und Patienten, die diesem Syndrom zugeordnet werden, steigt in jeder Welle an", sage der Experte. Die Betroffenen müssen intensivmedizinisch betreut werden.

In den USA starben 71 von rund 9.000 Kindern mit MIS-C, das dem seit langem bekannten sogenannten Kawasaki-Syndrom bei Kindern ähnelt. Dafür wurden immer schon überstandene Infektionen und eine darauf folgende überschießende Immunreaktion als Ursache vermutet. Wie das allerdings funktioniert, war bisher nicht bekannt.

Robert Silverman von der Cleveland Clinic in Ohio/USA und Jean-Laurent Casanova von der Rockefeller University in New York haben nun mit ihren Teams erstmals genetische Faktoren identifizieren können, die offenbar das Entstehen von MIS-C bei Kindern begünstigen. Die genetische Ursache weißt darauf hin, dass MIS-C nichts mit der Stärke der Virusbelastung während der Infektion zu tun hat.

Im Rahmen des "Covid Human Genetic Effort" wurden von den Wissenschaftern das Genom oder die in den Zellen produzierten Proteine von 558 Kindern sequenziert, die an MIS-C erkrankt waren. Die Daten wurden mit Kindern verglichen, die Covid-19 überstanden hatten und später dieses Multientzündungssyndrom nicht bekommen hatten. Bei fünf kleinen MIS-C-Patienten wurden die Froschenden erstmals fündig: Sie wiesen Mutationen in den Genen für die Proteine OAS oder RNase L auf.

"Die Produktion von OAS-Proteinen wird durch Interferone als erste Verteidigungslinie gegen Virusinfektionen gefördert. Wenn sie doppelsträngige RNA 'riechen', aktivieren diese OAS-Proteine das Enzym RNase L. Das soll die Vermehrung und Verbreitung der Viren verhindern", schrieben die Cleveland Clinic und die Rockefeller University in einer Presseaussendung vom 20. Dezember.

T-Zellen greifen wild Gewebe an

Silverman stellte den Effekt der Mutationen, die zu dem Entstehen von MIS-C bei manchen Kindern beitragen, so dar: "Die RNase L funktioniert wie eine Schere, die RNA zerschneidet, die in Proteine übersetzt wird. Das umfasst auch Proteine, die als Zytokine, das sind Immunbotenstoffe, Entzündungsreaktionen auslösen." Die im Rahmen des Projekts identifizierten Mutationen in den Genen für OAS-Eiweiße oder für das RNase-L-Enzym dürften auf zweifacher Ebene eine schädliche Wirkung haben: Sie verhindern als OAS-Mutationen entweder die Funktion der RNA-Schere oder bewirken, dass dieses Enzym überhaupt nicht gebildet wird (Mutationen im RNase-L-Gen).

Die Folge dürfte eine starke Entzündungsreaktion sein, die durch Immunzellen (Monozyten und Makrophagen) vermittelt wird. Daraufhin werden Bestandteile von Sars-CoV-2 – auch noch Wochen nach der akuten Erkrankung und nach Ende der Gefahr – den sogenannten T-Zellen als "fremd" präsentiert. Die T-Zellen greifen schließlich "wild" Gewebe an.

"Die T-Zellen sind dann, so vermutet Silverman, für die entzündlichen Angriffe auf die Blutgefäße verantwortlich, die dem MIS-C und dem Kawasaki-Syndrom vermutlich zugrunde liegen. Da die erworbene Immunabwehr erst mit zeitlicher Verzögerung aktiv wird, würde dies erklären, warum die Kinder erst Wochen nach der Infektion an einem MIS-C erkranken", schrieb das "Deutsche Ärzteblatt" dazu. (APA, kru, 28.12.2022)