Nur drei Tage nachdem der spanische König Felipe VI. in seiner Weihnachtsansprache gefordert hatte, die demokratischen Institutionen zu schützen, beendete der Oberste Justizrat (CGPJ) – so etwas wie die Regierung der Richter – die monatelange Blockade bei der Neubesetzung des Verfassungsgerichts. Der konservative und der progressive Sektor votierten einstimmig für die Umbesetzung zweier Posten, die bereits vor sechs Monaten hätten erneuert werden müssen. Damit ist jetzt auch der Weg für die Entsendung zweier weiterer neuer Richter durch die spanische Regierung frei.

Die bisherige konservative Mehrheit von sechs zu fünf progressiven Richtern im Verfassungsgericht ist Geschichte.
Foto: EPA/FERNANDO ALVARADO

Das Ergebnis: Die bisherige konservative Mehrheit von sechs zu fünf Richtern im Verfassungsgericht ist Geschichte. Künftig werden dort sieben progressive Richter und vier konservative sitzen. Das Verfassungsgericht wird bis mindestens 2031 diese Mehrheit behalten – wenn laut Verfassung erneut ein Drittel der Posten erneuert werden muss – zwei durch den CGPJ und zwei durch die künftige Regierung.

Sieg durch Verzicht

Die konservativen Mitglieder im CGPJ, die einst samt und sonders auf Vorschlag des Partido Popular (PP) ernannt worden waren, hatten mit ihrer Sperrminorität die Erneuerung verhindert. Jetzt stimmten die fortschrittlichen Richter im CGPJ für deren Vorschlag, den konservativen Richter César Tolosa und dessen progressive Kollegin María Luisa Segoviano. Sie war bis vor kurzem als erste Frau Präsidentin einer Kammer des Obersten Gerichtshofs.

Die fortschrittliche Fraktion verzichtete damit überraschend auf ihren eigenen Kandidaten José Manuel Bandrés, der von den Konservativen abgelehnt wurde – vermutlich weil er in seinen Urteilen, als er noch in Katalonien tätig war, für die sprachlichen Rechte der Katalanen entschied.

Nicht nur die Erneuerung von Richtern am Verfassungsgericht war längst überfällig: Die Konservativen blockieren auch die seit nunmehr vier Jahren ausstehende verfassungsmäßige Umbesetzung des CGPJ. Der Partido Popular weigert sich strikt, mit der Linksregierung unter Pedro Sánchez eine Liste von Richtern auszuhandeln und diese dann mit der notwendigen Dreifünftelmehrheit im Parlament zu verabschieden. Ob sich das nun ändern wird, ist nicht klar.

Schwerste Krise seit 1981

Die Justizblockade hatte vergangenen Woche zu einer der schwersten politischen Krisen seit dem Putschversuch der Armee und der Guardia Civil 1981 geführt. Die in Minderheit regierende Linkskoalition aus Sozialisten und Linksalternativen wollte ein Gesetz auf den Weg bringen, wonach Richter mit einfacher Mehrheit ernannt werden können. Nach der jahrelangen Blockade durch den PP konnte der sozialistische Regierungschef Sánchez dabei auf die Unterstützung zahlreicher kleinerer Parteien bauen.

Nachdem das Gesetz im Kongress verabschiedet worden war, verhinderte das Verfassungsgericht (mit den Stimmen der Richter, die längst nicht mehr im Amt hätten sein dürfen) die Abstimmung in der zweiten Kammer, dem Senat, mit einer einstweiligen Verfügung. Sánchez kündigte daraufhin an, ein weiteres Gesetz ausarbeiten zu wollen, um die Blockade von CGPJ und Verfassungsgericht zu brechen.

Dies und die mahnenden Worte des Königs reichten jetzt wohl, um die überraschende Abstimmung über das Verfassungsgericht im CGPJ herbeizuführen.

Als "bitteren Sieg" bezeichnet die größte spanische Tageszeitung "El País" die Abstimmung, in der die Konservativen ihre beiden Kandidaten durchsetzten – und dennoch die Mehrheit verloren. Dies hat Folgen: Das Verfassungsgericht muss in den kommenden Monaten über mehrere hochbrisante Themen entscheiden. Darunter über die Verfassungsklage des PP gegen das Abtreibungsrecht von 2010, das Recht auf Sterbehilfe sowie das neue Bildungsgesetz der Regierung Sánchez, das den Konservativen zu wenig "patriotisch" ist. (Reiner Wandler, 28.12.2022)