Demonstranten fordern bei einer Demo in Bangkok, Thailand, die Freilassung von Aung San Suu Kyi.

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26 Jahre Haft hatte Aung San Suu Kyi bereits ausgefasst. Die Friedensnobelpreisträgerin steht seit Monaten in Myanmar immer wieder vor Gericht, weil ihr in diversen Anklagepunkten der Prozess gemacht wurde. Am Freitag wurde Suu Kyi in fünf Anklagepunkten schuldig gesprochen. Damit ist sie zu sieben weiteren und damit insgesamt 33 Jahren Haft wegen Korruption verurteilt. Die Anwälte von Suu Kyi wollen nun Berufung einlegen.

Die 77-Jährige ist seit fast zwei Jahren unter Hausarrest beziehungsweise in Einzelhaft im Gefängnis. Damals hat ein Militärputsch die demokratische Wende in dem kriegsgebeutelten Land in Südostasien zunichtegemacht. Am 1. Februar 2021, dem Tag des Putsches, wurde Suu Kyi weggesperrt, genauso wie viele andere ihrer politischen Mitstreiter, die noch im Jahr zuvor bei demokratischen Wahlen mit großer Mehrheit gewählt worden waren – unter ihnen etwa der damalige Präsident Win Myint, der wie Suu Kyi der NLD-Partei angehört.

Kein öffentlicher Prozess

Seitdem wurde Suu Kyi wegen haarsträubender Vorwürfe verurteilt, 14 Anklagepunkte sind es insgesamt, darunter: illegaler Besitz eines Walke-Talkies, Verstoß gegen Covid-Maßnahmen, aber auch Anstiftung zur Unruhe oder die Weitergabe von Staatsgeheimnissen. Das sei alles "absurd", ließ sie selbst wissen.

In den letzten Prozessen, die am Freitag endeten, ging es wiederum um Korruptionsvorwürfe. Menschenrechtsgruppen und westliche Beobachter nannten die Prozesse eine Farce. Sie sind nicht öffentlich. Schon der Zeitpunkt der Urteilsverkündung war nur aufgrund von anonymen Quellen bekannt.

Durchbruch im UN-Sicherheitsrat

Das Ende der Prozesse kommt zu einem besonders brisanten Zeitpunkt: Erst vergangene Woche hat der Uno-Sicherheitsrat in einer historischen Resolution die sofortige Freilassung aller "willkürlich inhaftierten Gefangenen" gefordert und dabei Suu Kyi namentlich genannt. Außerdem solle die Gewalt im Land sofort beendet werden. Das wichtigste Uno-Gremium forderte auch dazu auf, sich bei der Konfliktlösung an den Fünf-Punkte-Konsensus zu halten, den der Verband Südostasiatischer Nationen, kurz Asean, im April 2021 erreichen konnte – unter Zustimmung von Myanmars oberstem Machthaber Min Aung Hlaing.

Allein die Tatsache, dass die Resolution im mächtigsten Uno-Gremium überhaupt zustande gekommen ist, ist bahnbrechend: Es ist die erste Sicherheitsrat-Resolution zu Myanmar überhaupt, seitdem die Uno 1948 den neuen Staat per Resolution als Mitglied aufgenommen hat. Das Land war seitdem fast andauernd im Bürgerkriegszustand, Vorwürfe wegen diverser Verbrechen und Gräueltaten standen oft im Raum. Doch auf eine Resolution konnte sich der Sicherheitsrat nie einigen. Bisher scheiterten solche Vorhaben an den Vetomächten Russland und China, etwa 2007 oder auch 2018, als ein geplanter Entwurf erst gar nicht zur Abstimmung gebracht wurde.

Die aktuelle Resolution geht so wie die früheren auf eine britische Initiative zurück. Vergangene Woche wurde sie mit zwölf positiven Stimmen und drei Enthaltungen angenommen. Sowohl China und Russland, ständige Mitglieder im Rat, haben sich enthalten, wie auch Indien, das gerade turnusmäßig vertreten ist.

Asean als Schlüsselfaktor

Warum die zwei Vetomächte die Resolution nicht verhinderten, lässt sich einerseits aus der gewichtigen Rolle Aseans in dem Prozess erklären. Anders als etwa in einer zuvor geplanten Stellungnahme, wird Asean in der Resolution eine Schlüsselrolle bei der Konfliktlösung zuerkannt. Vor allem die im Regionalbund gewichtigen Länder Malaysia, Indonesien und Singapur äußersten sich in den vergangenen Monaten immer Junta-kritischer und lobbyierten für Rückendeckung aus dem Sicherheitsrat. China wollte dem regionalen Partner dabei nicht auf den Schlips treten, meint etwa Philipp Annawitt, Myanmar-Experte und ehemaliger UN-Berater, zum STANDARD. Als "zurückhaltender Partner" hatte China gegenüber Myanmar immer schon eine pragmatische Position.

Die regionale und internationale Stimmungslage bewegt sich in eine Richtung, der Schattenregierung NUG eine Chance zu geben, bemerkt Joanne Lin Weiling vom ISEAS in Singapur zum STANDARD. "Die Situation vor Ort ist außerdem bisher nur schlimmer geworden. Es bringt kaum Fortschritt, wenn China und Russland weiterhin für die Militärregierung mauern", fügt sie hinzu. Sogar Russland und China hätten das Interesse daran verloren, "ihren Kopf dafür hinzuhalten, die Gräueltaten zu verteidigen", schätzt Louis Charboneau von Human Rights Watch ein.

Resolution stark abgeschwächt

Damit China und Russland, zwar nicht zustimmen, aber zumindest nicht blockieren, wurde der Text außerdem ordentlich heruntergewässert. Ein frühere Entwurf enthielt Drohungen zu Kapitel-7-Maßnahmen, sprich den stärksten Maßnahmen der internationalen Gemeinschaft, nämlich die Drohung, zur Not auch mit Gewalt wieder Frieden herzustellen.

Wie aus einem Sicherheitsratsbericht hervorgeht, stellten sich China, Brasilien, Indien und Russland dem entgegen. Auch abgeschwächte Formulierungen, ohne explizite "Kapitel 7"-Nennung, gingen den Ländern zu weit. Am Ende enthält die Resolution nun überhaupt keine Anmerkungen zu Konsequenzen. Auch ein geplantes regelmäßiges Berichtsystem wurde unter dem Druck der Vetomächte gestrichen.

Zahnloses Dokument

Die Resolution wird daher von verschiedenen Organisationen und Ländern als zahnlos kritisiert. Amnesty International zum Beispiel begrüßt zwar das Zustandekommen, fordert aber eben genau jene Androhungen von notfalls militärischen Konsequenzen, falls die Punkte nicht umgesetzt würden.

Auch Tom Andrews, UN-Sonderberichterstatter, merkte an, dass die Resolution "ohne die Kapitel-7-Befugnisse" die "illegale Militärjunta nicht davon abhalten wird, das Leben von 54 Millionen Menschen in Myanmar anzugreifen und zu zerstören". Es brauche Taten, und diese würden – das zeige die Resolution – nicht vom Sicherheitsrat kommen.

So wie Andrews sehen auch andere die Gefahr, dass das Dokument in eine Sackgasse führen könnte: Länder könnten auf den Asean-Prozess verweisen, ohne selbst aktiv zu werden. Der Asean-Prozess steckt aber fest, weil bei der Umsetzung des Fünf-Punkte-Konsensus bisher keine Fortschritte zu beobachten sind. Die burmesischen Generäle können sich wiederum ebenfalls auf den Asean-Prozess ausreden.

Passagen, die die Generäle in Schwierigkeiten versetzen, enthält die UN-Resolution wiederum nicht: Es wird kein Stopp von Waffenlieferungen gefordert, und es gibt keine direkte Verurteilung der Junta. In der Resolution stehe nicht viel mehr drin als eine Wiederholung der Schlüsselwerte der Uno, meint Weiling. "Es wäre schwer für China oder Russland, da ein Veto einzulegen."

Indien pocht auf "stille und konstruktive Diplomatie"

Die Stimmenthaltungen begründeten die zwei Länder allerdings damit, dass Peking lieber eine bloße Stellungnahme, anstelle einer Resolution gesehen hätte. Moskau verweist darauf, dass die Situation in Myanmar nicht die internationale Sicherheit gefährde. Indien begründet seine Stimmenthaltung damit, dass man lieber auf "stille und konstruktive Diplomatie" setze. Das Land setzt traditionell auf Multilateralismus und betont – nicht nur im Myanmar-Konflikt –, mit allen Parteien kommunizieren zu wollen.

Ein Land, das in der Uno hinter der Resolution steht, ist kurioserweise Myanmar selbst: Dessen Botschafter bei den UN, Kyaw Toe Mun, hatte sich kurz nach dem Putsch hinter die abgesetzte Regierung um Aung San Suu Kyi gestellt und seinen UN-Posten nie aufgegeben. Bis heute ist er als Vertreter der alten, gewählten Regierung dort. Er begrüßte die Resolution: Sie werde die Junta bestimmt treffen, merkt er an. Zumindest kann sie sich nicht mehr darauf verlassen, dass China und Russland unter allen Umständen für sie mauern.

Für Suu Kyi selbst bleibt die Situation allerdings düster. Niemand rechnet damit – darüber sind sich alle einig –, dass das Regime auf die Forderungen der Resolution eingehen wird. Die Forderung, sie und alle anderen willkürlich Inhaftierten freizulassen, wird wohl kaum Konsequenzen haben. (Anna Sawerthal, 30.12.2022)