Wie im Rest der Ukraine währte die Ruhezeit zwischen Weihnachten und Neujahr auch in Odessa, wo nur eine Minderheit das Fest der Geburt Jesu feiert, nur kurz. Am Morgen des 29. Dezember wurde die Schwarzmeermetropole von lauten Explosionen erschüttert. Erschüttert im buchstäblichen Sinn: Zahlreiche Menschen, die etwa in der Nachbarschaft des Hafens leben, hob es kurz nach neun Uhr aufgrund der enormen Lautstärke der Einschläge und der aus allen Rohren feuernden Luftabwehr aus ihren Stühlen und Betten. Fenster gingen zu Bruch, vereinzelt füllten sich die Notfallambulanzen der örtlichen Krankenhäuser mit Leuten, die Schnittverletzungen und Hörschäden erlitten.

Das Video stammt vom 29.12., korrigierte sich Kollege Stimeder später selbst unter dem Tweet.

Laut Walerij Saluschnyj, dem Oberkommandierenden der ukrainischen Streitkräfte, umfasste der jüngste russische Großangriff auf das Nachbarland den Einsatz von 69 Cruise Missiles und eine noch unbekannte Zahl an Drohnen. 54 Raketen konnten laut Saluschnyj landesweit abgeschossen werden. Davon allein 21 vor Odessa. Zuvor hatten die prominenten Präsidentenberater Oleksij Arestowytsch und Mychajlo Podoljak in den sozialen Medien die Falschinformation verbreitet, dass es sich bei dem russischen Angriff mit bis zu 120 Raketen um den bisher größten handelt.

Kritische Infrastruktur im Visier

Auf lokalen Telegram-Kanälen verbreitete Bilder und Videos ließen darauf schließen, dass die Angriffe auf Odessa erneut nicht militärischen Zielen, sondern der Energie-Infrastruktur der Stadt galten: Umspannstationen, Stromleitungen und Pumpwerken. Während Stand Donnerstagnachmittag keine Todesopfer und keine Schwerverletzten zu beklagen waren, fielen als Konsequenz überall in der Stadt wie in ihrem Einzugsgebiet der Strom und Teile der Wasserversorgung aus. Um die Schäden zu minimieren, waren manche Viertel in Erwartung der Angriffe bereits zuvor von der Stromversorgung abgeschnitten worden.

In Odessa war das Ausmaß der Schäden, die jene Raketen und Drohnen verursachten, die ihre Ziele trafen, am Donnerstagnachmittag noch nicht abzuschätzen. Trotz der hohen Abschussrate blieben hunderttausende Odessiter bis zuletzt von der Strom- und Wasserversorgung abgeschnitten. Vor dem 24. Februar zählte die Hafenstadt knapp über eine Million Einwohner. Heute leben geschätzt noch immer rund 800.000 in der Stadt, darunter zehntausende, die aus den russisch besetzten Gebieten hierher geflüchtet sind.

Während die Hauptstadt Kiew diesmal offenbar vergleichsweise glimpflich davonkam – laut dem ukrainischen Generalstab wurden dort sämtliche Raketen noch vor dem Einschlag abgeschossen –, fiel dort und in der westukrainischen Metropole Lwiw wie in der ihr benachbarten Kleinstadt Iwano-Frankiwsk ebenfalls der Strom aus, nachdem dort Anlagen des Energieversorgers DTEK getroffen worden waren. Am Donnerstagnachmittag mussten allein in Lwiw knapp eine halbe Million Menschen ohne Strom auskommen. Herman Haluschenko, in der Selenskyj-Regierung als Minister für Energiefragen zuständig, bezeichnete die Situation dort und in Odessa als "besonders schwierig". In Odessa hingen zum Zeitpunkt seiner Stellungnahme noch immer Rauchschwaden am Himmel. (Klaus Stimeder aus Odessa, 29.12.2022)