Léa Seydoux: "Wenn man Trauer verspürt, dann fühlt man sich gleichzeitig auch sehr lebendig."

Les Films Pelléas

Eine Affäre, ein Vater, der erblindet und ins Altersheim kommt, die Mühen des Alleinerziehens: Léa Seydoux spielt in Mia Hansen-Løves An einem schönen Morgen eine verwitwete Übersetzerin vor emotionalen Herausforderungen. Die französische Schauspielerin (James Bond 007: Keine Zeit zu sterben, Crimes of the Future) im Gespräch über die Nähe von Tod und Lebensfreude, die Suche nach Wahrheit in ihren Rollen und den Unterschied in der Arbeit mit Regisseurinnen und Regisseuren.

STANDARD: Wie haben Sie die lebensnahe Mutter-Tochter-Beziehung mit Camille Leban Martins, die Ihre Tochter spielt, entwickelt?

Seydoux: Sie ist ein bisschen frech, ich mochte sie sehr. Sie ist keine Schauspielerin und hatte deshalb keine einstudierte Mimik. Sie war einfach sehr natürlich – das war genau, was wir wollten.

STANDARD: Sie haben gesagt, es war ein Privileg, eine normale Frau spielen zu können.

Seydoux: Ich habe schon in einigen Filmen sehr komplizierte Figuren gespielt, da tun sich dann die Leute nicht so leicht damit, sich zu identifizieren. Diesmal durchlebt meine Figur lauter Gefühle, die wir alle schon einmal gehabt haben. Ich mache Filme schon auch, um Menschen zu berühren. Das ist doch die Hauptsache! Das Beste, was ich zurückbekommen kann, ist zu sehen, wie ein Film Menschen berührt und ihnen vielleicht dabei hilft, Dinge wahrzunehmen, zu verstehen, vielleicht auch über sich selbst. Das passiert jedenfalls mir, wenn ich einen Film sehe, den ich mag. Auf eine gewisse Weise hat mir das Kino geholfen zu leben. Natürlich auch Bücher, Bilder, Musik – überhaupt alles, was eine Verbindung zu meinem Leben und meinen Gefühlen herstellt.

Weltkino Filmverleih

STANDARD: Ist einfach zu sein das Schwierigste beim Schauspielen?

Seydoux: Mir selbst fällt es leichter, wenn es in der Rolle eine Wahrheit gibt, die ich spüre. Wenn ich etwas spiele, das überlebensgroß ist, eine Geschichte oder eine Figur, finde ich nicht so leicht eine Verbindung. Ich habe noch nie eine Superheldin gespielt, aber auch in Superheldinnen und Superhelden muss man wohl eine gewisse Wahrheit finden. Wenn ich einen Film mache, habe ich immer Angst, dass die Leute mit dem, was ich tue, nichts anfangen können. Aber vermutlich ist es tatsächlich das erste Mal, dass ich einen normalen Menschen gespielt habe, und ich bin tatsächlich überhaupt nicht normal (lacht), schon wegen meines Berufs. Es war insofern eine Art Komposition für mich. Ich habe große Empathie für meine Figur, ich war sehr gerührt von dem, was sie durchmacht, als ich das Drehbuch gelesen habe. Ich liebe, wie subtil und elegant Mia Hansen-Løve die Geschichte erzählt.

STANDARD: Wie war die Arbeit mit ihr? Die Schauspielerin Vicky Krieps meint ja, sie sei sehr streng am Set.

Seydoux: Oh ja, das stimmt. Sie ist sehr streng. Es gibt keinen Raum für Improvisation, sie liebt es, viele Takes zu machen, ist sehr strukturiert und fordernd. Aber man sieht das Handwerk nicht.

STANDARD: Macht es einen Unterschied, ob ein Mann oder eine Frau Regie führt?

Seydoux: Ja, tatsächlich. Bei einer Regisseurin spiele ich sehr oft eine Art Alter Ego von ihr ...

STANDARD: Also keine Fantasiefigur ...

Seydoux: Ganz genau. Bei Männern hat man oft so ein Gefühl von "Anderssein", ich denke, wenn man ein Mann ist, hat man mehr eine "Vision" von einer Frau. Das ist auch spannend, es ist einfach eine andere Perspektive. Was ich jedenfalls liebe, ganz egal, ob es ein Regisseur oder eine Regisseurin ist, ist die Zusammenarbeit, das Gefühl, den Film gemeinsam mit der Regie zu schreiben. Das war auch mit Mia so, obwohl sie so tough ist. Ich hatte Ideen, und sie hat sie auch verwendet. Ich möchte das Gefühl haben, mit jemandem zu kollaborieren und nicht unter jemandes Autorität zu stehen. Ich mag Autorität nicht.

STANDARD: Das Schöne an dem Film ist unter anderem, dass zu trauern und sich zu verlieben einander nicht ausschließen. Dass es auch in traurigen Situationen viel Humor gibt, das ist optimistisch, nicht deprimierend.

Seydoux: Wir kennen das doch alle, wenn wir mit dem Tod zu tun haben, fühlen wir uns manchmal noch mehr dem Leben verbunden. Die beiden existieren nicht ohneeinander. Wenn man unendliche Trauer verspürt, dann fühlt man sich gleichzeitig auch sehr lebendig.

STANDARD: Als Nächstes drehen Sie mit Audrey Diwan eine Neuadaption von "Emmanuelle", können Sie schon etwas verraten?

Seydoux: Sagen wir so: Ich bin bereit, die Natur der Frau zu erforschen. Es wird ein Porträt einer Frau von heute. (Julia Pühringer, 30.12.2022)