Ortet jetzt mehr Problembewusstsein, was die Versorgungssicherheit bei Energie betrifft – eine Folge der dramatischen Entwicklungen im gerade zu Ende gehenden Jahr: Verbund-Chef Michael Strugl.

Foto: Andy urban

Zwischen den Feiertagen etwas Energie tanken, um dann wieder voll durchzustarten: Auch für den Chef von Österreichs größtem Stromkonzern Verbund, Michael Strugl, waren die zurückliegenden Monate mehr als anstrengend. Die nächsten Monate werden wohl nicht minder fordernd sein.

STANDARD: Energie ist 2022 zum Topthema geworden. Hätten Sie das vor einem Jahr erwartet?

Strugl: Nicht in dieser Form. Dass ein Krieg dafür sorgt, dass wir eine Energiekriese in bisher noch nicht gekanntem Ausmaß haben würden, war nicht absehbar.

STANDARD: Begriffe wie Merit-Order, Margin-Call oder Speicherfüllstand haben Menschen selbst außerhalb spezialisierter Zirkel sprichwörtlich elektrisiert. Bleibt das so?

Strugl: Diese Krise hat dazu geführt, dass es ein unglaublich hohes Interesse für das Thema gibt – wie in der Pandemie für das Infektionsgeschehen und virologische Fragen. Das wird noch eine Zeitlang so bleiben. Ein Vorteil ist, dass es jetzt mehr Problembewusstsein etwa in Fragen der Versorgungssicherheit gibt. Nachteilig ist, dass zum Teil parteipolitisch taktiert und populistisch agiert wird. Das sehe ich kritisch, denn zur Bewältigung dieser Krise brauchen wir Zusammenarbeit über alle Grenzen hinweg. Ich hoffe, das wird noch was.

STANDARD: Was kann man als Erkenntnis, möglicherweise als Lehre mitnehmen in das neue Jahr?

Strugl: Dass eine sichere und leistbare Versorgung mit Strom nicht selbstverständlich ist und dass es Versorgungssicherheit auch nicht zum Nulltarif gibt.

STANDARD: Wie gehen Sie in das neue Jahr, eher optimistisch, realistisch oder pessimistisch gestimmt?

Strugl: Ich bin Realist, habe aber schon auch einen gewissen Grundoptimismus. Wenn es uns als Gesellschaft jetzt gelingt, die Weichen richtig zu stellen, können wir gestärkt aus dieser Krise hervorgehen.

STANDARD: Bedeutet konkret was?

Strugl: Dass wir beim Ausbau der Erneuerbaren endlich in die Gänge kommen zum Beispiel.

Die Krise ist noch nicht vorbei: Verbund-Chef Michael Strugl.
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STANDARD: Können wir von Krisenmodus schon auf Routine umschalten?

Strugl: Nein. Die Bewältigung der Energiekrise wird uns auch noch 2023 beschäftigen, und es wird weiterer Maßnahmen bedürfen, um die Folgen abzufedern. Parallel zum Krisenmanagement brauchen wir aber eine Strategie, wie wir dieses Land in fünf, zehn Jahren und darüber hinaus sicher und leistbar mit sauberer Energie versorgen können.

STANDARD: Die EU-Kommission wurde beauftragt, Vorschläge für einen neuen Preisbildungsmechanismus am Strommarkt vorzulegen. Wie erfolgversprechend ist das?

Strugl: Der Strommarkt ist komplex. Ein neues Design kann, falsch angewandt, fatale Folgen haben. Auch wenn es jetzt großen Druck gibt und die Diskussion darüber zum Teil sehr verkürzt geführt wird, glaube ich nicht, dass das mit einem Schnellschuss zu schaffen ist. Eine Marktreform so zu konzipieren, dass sie einige Dekaden hält und nicht mehr kaputtmacht, als hilft, ist eine große Herausforderung.

STANDARD: Die Merit-Order, nach der zuerst die günstigsten, dann die teureren Kraftwerke ans Netz gehen, aber das letzte gerade noch notwendige Kraftwerk den Preis aller anderen bestimmt, gilt als Ursache allen Übels.

Strugl: Das sehe ich anders. Die Merit-Order ist im Prinzip ein vernünftiges System, das auf Grenzkosten basiert und dazu führt, dass die günstigsten Erzeugungstechnologien, und das sind die Erneuerbaren, den Vorzug bekommen. Dieser Preisbildungsmechanismus lenkt also auch die Investitionsströme in diese Technologien. Dieser Mechanismus hat mehr als 20 Jahre lang Versorgungssicherheit garantiert und leistbare Strompreise gebracht. Erst in der Krise hat die Merit-Order nicht mehr funktioniert.

STANDARD: Deshalb haben Sie als Präsident von Österreichs Energie einen Vorschlag gemacht, zeitlich befristet in den Großhandelsmarkt einzugreifen, den Gaspreis zu deckeln und die Mengen zu fixieren, damit es zu keinem Mehrverbrauch an Gas kommt. Die Differenz zum Marktpreis hätte der Staat übernehmen sollen.

Strugl: Das umzusetzen wäre zwar auch nicht einfach gewesen, hätte aber einige Vorteile gehabt. Der Gaspreis wäre vom Strompreis entkoppelt worden, und es wäre erst gar nicht zu diesen Preisspitzen gekommen, die noch immer entstehen, wenn ein Gaskraftwerk ans Netz geht. Auf europäischer Ebene war das politisch nicht durchsetzbar.

Ist skeptisch, was die Trennung der fossilen von den erneuerbaren Erzeugungsformen betrifft: Verbund-CEO Michael Strugl.
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STANDARD: Eine der Ideen, die diskutiert werden, ist eine Trennung der fossilen von erneuerbaren Erzeugungsformen. Ein tauglicher Ansatz?

Strugl: Ich bin da sehr skeptisch. Wenn die Erneuerbaren ein eigenes Marktsegment bilden, würden die Preise dort dramatisch sinken. Für private Geldgeber wäre damit der Anreiz weg, in Wind- und Sonnenenergie zu investieren. Ohne privates Kapital ist die Energiewende aber nicht zu schaffen, der Staat allein kann das nicht stemmen.

STANDARD: Die Strompreise im kurzfristigen Stromhandel sind dieser Tage schon fast wieder auf Vorkrisenniveau gefallen. Was bedeutet das?

Strugl: Das ist eine Momentaufnahme und dem Umstand geschuldet, dass die Nachfrage aufgrund von Betriebsferien, aber auch wegen der zurzeit verhältnismäßig milden Temperaturen niedrig ist. Entwarnung zu geben wäre verfrüht, das kommende Jahr wird auch preislich noch sehr herausfordernd.

STANDARD: Ein sparsamer Umgang mit Energie, wie ihn auch das Energieeffizienzgesetz vorschreibt, das vor Weihnachten in Begutachtung ging, heißt unterm Strich weniger Strom verkaufen. Muss sich der Verbund neue Einnahmequellen erschließen?

Strugl: Ich sehe das Gesetz positiv. Auch wir sind interessiert, dass mit Energie effizient und intelligent umgegangen wird. Ich mache mir wenig Sorgen, unsere Produktion nicht im Markt absetzen zu können – im Gegenteil. Der Strombedarf wird trotz aller Effizienzmaßnahmen massiv steigen. Durch die Dekarbonisierung dringt Strom auch in Sektoren wie Mobilität und Raumwärme vor. Wenn die Annahmen einigermaßen richtig sind, werden wir im Jahr 2030 ungefähr 100 Terawattstunden (TWh) brauchen, im Jahr 2040 etwa 140 TWh oder 140 Milliarden Kilowattstunden, das ist eine Verdoppelung gegenüber den 70 TWh heute. Unser Geschäftsmodell ist sehr robust. (Günther Strobl, 30.12.2022)