Big-Tech-Konzerne wie Meta und Google müssen kommendes Jahr ihre Nutzerzahlen bekanntgeben.

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Es ist fast untertrieben, das nun ausklingende Jahr als digitalpolitisch umtriebig zu bezeichnen. Mit dem Digital Markets Act (DMA) und dem Digital Services Act (DSA) hat die Europäische Union zwei Gesetze verabschiedet, die mächtige Internetkonzerne wie Google, Facebook und Co strikteren Regeln für Hassrede und Firmenzusammenschlüsse unterwerfen. Fest steht außerdem, dass Ladekabel für elektronische Geräte wie Smartphones Ende 2024 vereinheitlicht werden. Apple muss sich also bald schon vom Lightning-Stecker verabschieden.

Auch an umstrittenen Vorhaben hat es nicht gemangelt. Allen voran muss hier die Chatkontrolle genannt werden, mit der die Verbreitung von Darstellungen sexualisierter Gewalt gegen Kinder im Internet eingedämmt werden soll – allerdings eine Unterwanderung jeglicher verschlüsselter Kommunikation und somit Privatsphäre im digitalen Raum nach sich ziehen könnte.

Österreich preschte außerdem in Sachen digitale Identität vor und präsentierte bereits im Frühling die ID Austria, also den Nachfolger der Handysignatur. Im Oktober folgte dann der Führerschein am Smartphone, dem in Zukunft auch ein digitaler Zulassungsschein Gesellschaft leisten soll. An einem vergleichbaren, aber grenzüberschreitend funktionierenden Projekt arbeitet auch die EU. Konkret soll die E-IDAS-Verordnung novelliert werden, um den Reisepass, den Führerschein und sogar den Universitätsabschluss auf das Smartphone zu holen. Der Einsatz soll dann auch im europäischen Ausland funktionieren. Kritik gibt es auch hier in Sachen Datenschutz. Die österreichische Grundrechtsorganisation Epicenter Works warnt gar vor "beispiellosen Risiken und Unzulänglichkeiten des neuen elektronischen Identitätssystems der EU". Bürgerinnen und Bürger sollen eine eindeutige Kennnummer erhalten, die sie nachverfolgbar mache.

Während manche der genannten Vorhaben bereits unter Dach und Fach sind – und auf eine Ausarbeitung der Umsetzung warten –, dauern die Verhandlungen bei anderen noch länger an. Hinzu kommt eine Reihe weiterer Gesetze, zum Beispiel der AI Act zur Neuregulierung künstlicher Intelligenz, das Recht auf Reparatur elektronischer Geräte oder auch die angedachte Datenmaut für IT-Riesen wie Netflix und Google, mit der die Telekombranche den Netzausbau querfinanzieren möchte. DER STANDARD gibt einen Überblick über den Stand der wichtigsten netzpolitischen Vorhaben im kommenden Jahr.

Digital Services Act und Digital Markets Act

Schon 20 Jahre ist es her, dass mit dem E-Commerce-Gesetz der EU neue Regeln für Unternehmen im Internet aufgestellt wurden. Entsprechend groß ist also die Bedeutung des nun verabschiedeten Digital Markets Act und des Digital Services Act. Die beiden Gesetze sollen eine zukunftssichere Reglementierung der größten und mächtigsten Tech-Konzerne garantieren, die auch das Aufkommen neuer Spieler am Markt mitbedenkt.

Während der DMA mithilfe wettbewerbsrechtlicher Maßnahmen eine weitere Monopolbildung verhindern soll, widmet sich der DSA vor allem der Desinformation und Hassrede im Internet. Betroffen sind von ersterem nur sogenannte Gatekeeper, also Unternehmen, die Plattformdienste wie Internetbrowser, Suchmaschinen, Messenger oder soziale Netzwerke betreiben und mindestens 45 Millionen monatliche Nutzer haben. Zusätzlich wird ein Jahresumsatz von 7,5 Milliarden Euro oder eine Marktkapitalisierung von 75 Milliarden Euro vorgeschrieben. Der Digital Services Act definiert hingegen "sehr große Onlineplattformen". Hier spielen nur die Nutzerzahlen eine Rolle.

EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager war maßgeblich für den Erfolg des DMA und des DSA verantwortlich.
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Die Einhaltung der neuen Regeln – unter anderem die Verpflichtung, Hassrede innerhalb von 24 Stunden zu löschen, aber auch die Reduktion systemischer Risiken und das Verbot irreführender Website-Designs – soll unter Androhung saftiger Strafen in Höhe von bis zu zehn beziehungsweise sechs Prozent des Jahresumsatzes garantiert werden.

Bis der DSA und der DMA von den betroffenen Unternehmen anzuwenden sind, dauert es noch etwas. Spannend dürfte es aber schon im kommenden Frühjahr werden. Dem aktuellen Zeitplan der EU-Kommission zufolge müssen alle relevanten Plattformen und Suchmaschinen bis zum 17. Februar 2023 ihre Nutzerzahlen bekanntgeben, damit im Rahmen der DSA-Implementierung klargestellt wird, ob sie als "very large online platform" oder auch "very large online search engine" gelten. Betroffene Konzerne müssen die neuen Regeln dann ab Februar 2024 anwenden.

Beim Digital Markets Act dauert es hingegen etwas länger. Er wurde bereits am 1. November verabschiedet und wird ab März 2024 anzuwenden sein. Die Ernennung von Gatekeepern soll spätestens bis zum 6. September 2023 abgeschlossen sein.

Chatkontrolle alias Messenger-Überwachung

Die Chatkontrolle ist derzeit wohl das umstrittenste digitalpolitische Vorhaben der EU. Messenger wie Whatsapp, Telegram und Signal sollen verpflichtet werden, auf Anordnung einer einzurichtenden EU-Behörde auf dem Smartphone ihrer Userinnen und User nach Darstellungen sexualisierter Gewalt gegen Kinder zu suchen. Ein grundsätzlich ehrvolles Vorhaben also, das bei Umsetzung allerdings drastische Folgen für die Privatsphäre aller europäischer Bürgerinnen und Bürger haben dürfte.

Grund dafür ist, dass die Suche nach Missbrauchsmaterial mithilfe einer Datenbank sogenannter Hashes stattfinden soll. Dabei handelt es sich um eine Art digitaler Fingerabdrücke, mit denen Nachrichteninhalte abgeglichen werden sollen, um bekanntes Material zu finden. MIthilfe von KI soll sogar Grooming, also die Kontaktanbahnung von Tätern, erkannt werden. Da die meisten Messenger Ende-zu-Ende-Verschlüsselung anbieten, die Nachrichten auf dem Transportweg absichern, muss der Inhalt auf dem Endgerät ausgelesen werden.

Eine Unterwanderung privater Kommunikation im digitalen Raum befürchten deshalb nicht nur Grundrechtsorganisationen, sondern auch der Europäische Datenschutzbeauftragte (EDPS) und der UN-Menschenrechtskommissar. In einem internen Bericht stellte der EU-Ausschuss für Regulierungskontrolle außerdem infrage, ob die geplante Chatkontrolle überhaupt mit dem EU-Recht gegen Massenüberwachung kompatibel sei.

Von der Chatkontrolle wären Dienste wie Whatsapp, Facebook und Co betroffen.
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Kritik kam auch aus dem EU-Parlament. Bei einer Präsentation vor dem zuständigen Ausschuss wurde die EU-Kommissarin Ylva Johansson im Oktober mit Skepsis konfrontiert. Immerhin dürften Hersteller von Messengern dazu verpflichtet werden, eine Hintertür in ihre Apps einzubauen. Datenschützer warnen, dass man mit dieser potenziell nach jedem gewünschten Schlagwort suchen kann, was eine Gefahr für Oppositionelle, Aktivistinnen und Journalisten bergen könnte. Auf Ebene des EU-Rats hat sich bisher ausschließlich Österreich explizit gegen die Maßnahme ausgesprochen.

Trotz all dieser Kritik scheint die EU-Kommission unbeirrt an der Chatkontrolle festhalten zu wollen. Der Entwurf wird bereits im LIEBE-Ausschuss des EU-Parlaments diskutiert, die Verhandlungen dürften im kommenden Jahr in die heiße Phase gehen. Ob das Gesetz in aktueller Form – oder überhaupt – in Kraft treten wird, ist noch unklar.

USB-C für alle

Mit einiger Verspätung werden Hersteller bald verpflichtet, kompakte elektronische Geräte mit einem USB-C-Anschluss auszustatten. Ziel ist einerseits die Einsparung von jährlich 11.000 Tonnen Elektroschrott, andererseits eine Steigerung der Nutzerinnenfreundlichkeit von Produkten. Konkret umfasst die Regelung neben Smartphones auch Tablets, Digitalkameras, Kopfhörer und Headsets, tragbare Videospielkonsolen und Lautsprecher, E-Reader, Tastaturen, Mäuse, tragbare Navigationssysteme, Ohrhörer und Laptops bis zu einer Ladeleistung von 100 Watt. Wenn Geräte auch kabellos aufgeladen werden können, fällt die USB-C-Pflicht.

Am härtesten dürfte die neue Verpflichtung, die am 28. Dezember 2024 in Kraft treten wird, voraussichtlich Apple treffen. Die meisten Hersteller statten ihre Geräte schon heute mit einem USB-C-Anschluss aus, nur Apple setzt beim iPhone bis heute auf den proprietären Lightning-Stecker. Das dürfte sich bald schon ändern. Gerüchten zufolge soll schon das iPhone 15 auf USB-C wechseln und somit der Frist vorauseilen. Zuvor gab es Befürchtungen, dass die EU mit ihrem Vorstoß zu spät dran sei und Apple gänzlich auf kabellose Aufladung umsteigen könnte. Details darf man im zweiten Halbjahr 2023 erwarten, wenn Apple die kommende iPhone-Generation vorstellt.

Der digitale Ausweis der EU

Nach Österreich und so manch anderem Mitgliedstaat will die EU einen unionsweit gültigen digitalen Ausweis einführen. Ziel ist, Ausweisdokumente wie den Reisepass und den Führerschein auf das Smartphone zu befördern. Das soll unter anderem ermöglichen, im Ausland ein Hotelzimmer oder einen Mietwagen zu reservieren oder auch das Alter beim Clubeintritt oder Zigarettenkauf zu verifizieren. Im Rahmen einer Novelle der E-IDAS-Verordnung sollen Mitgliedsstaaten zur Einführung einer ID-Wallet verpflichtet werden, in der die kompatiblen Ausweise gespeichert werden können.

Die EU arbeitet an einem digitalen Ausweis.
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Datenschützer warnen vor verheerenden Folgen für die Privatsphäre, da allen Userinnen und Usern eine eindeutige digitale Kennung zugewiesen werden soll. Laut Epicenter Works erlaube das "die Verfolgung und Erstellung von Profilen des Nutzungsverhaltens, sei es bei Interaktionen mit verschiedenen Unternehmen oder bei staatlichen Stellen".

Die Verhandlungen befinden sich bereits in vollem Gange, laut Epicenter befinde sich der Industrieausschuss des EU-Parlaments bereits in der Endphase der Verhandlungen. Im kommenden Jahr dürfte sich zeigen, ob die EU auf die Sorgen der Datenschützerinnen und Datenschützer eingeht.

Mautstraßen im Internet

Überraschenderweise griffen die EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager und der Digitalkommissar Thierry Breton im Frühling die Idee der Telekom-Lobby auf, Tech-Konzerne wie Google und Netflix für den Ausbau ihrer Infrastruktur bezahlen zu lassen. Als Begründung führte die Lobbygruppe ETNO an, dass die größten Internetkonzerne mehr als die Hälfte des Datenverkehrs zu verantworten hätten, aber keinen Beitrag zur Instandhaltung leisten würden. Medienberichten zufolge soll schon kommendes Jahr ein konkreter Gesetzesentwurf vorliegen.

Dabei gibt es scharfe Kritik von Datenschützern und der EU-Regulierungsbehörde BEREC. Letztere hält in einer vorläufigen Bewertung fest, dass es keine Beweise dafür gebe, "dass ein solcher Mechanismus angesichts der derzeitigen Marktlage gerechtfertigt ist". Grundrechtsorganisationen wittern hingegen eine Gefahr für die Netzneutralität. Genaueres zu den Plänen der EU dürfte man schon Anfang 2023 erfahren.

Neue Regeln für KI

Ein weiteres Gesetzesvorhaben der Europäischen Union widmet sich künstlicher Intelligenz. Diese durchdringt zwar fast jeden unserer Lebensbereiche, wird aber nicht ausreichend reguliert. Ein Problem, dessen sich der AI Act annimmt. Ziel von diesem ist, "die EU zu einem erstklassigen Zentrum für KI zu machen und sicherzustellen, dass die KI auf den Menschen ausgerichtet und vertrauenswürdig ist". Die EU-Kommission will also die Innovation fördern und gleichzeitig den systemischen Risiken wie zum Beispiel der Diskriminierung durch Algorithmen entgegenwirken. Dafür werden unterschiedliche Risikolevels festgelegt, an denen sich die jeweiligen Regeln orientieren.

Die EU will die Risiken künstlicher Intelligenz mindern.
Foto: IMAGO/Alexander Limbach

Anfang Dezember hat sich auch der EU-Rat auf eine gemeinsame Position geeinigt. Auffällig ist hier, dass die Mitgliedsstaaten großzügige Ausnahmen vom Verbot biometrischer Überwachung einfordern wollen, um den Strafverfolgungsbehörden den Einsatz von Gesichtserkennungssystemen zu ermöglichen. 2023 dürften weitere Details bekannt und die Verhandlungen konkreter werden.

Recht auf Reparatur

Nachdem die Vereinheitlichung von Ladeanschlüssen erfolgreich durchgeboxt worden ist, will die EU nun die Reparatur von Smartphones und Laptops erleichtern. Konkretes Ziel ist ein von Kundinnen und Kunden selbst austauschbarer Akku. Anfang Dezember konnten die Mitgliedsstaaten und das EU-Parlament hierzu eine vorläufige Einigung erzielen. Wie DER STANDARD berichtete, soll das Gesetz schon in den kommenden Wochen, also Anfang Jänner, in Kraft treten. Bis zur Umsetzung dauert es allerdings noch länger. Die Übergangsfrist soll dreieinhalb Jahre betragen. (mick, 31.12.2022)